Wenn man einer befreundeten Person die eigene HIV-Infektion offenbart und diese die sensible Information dann unabgesprochen weiterträgt, kann man sich wehren, erklärt Jasper Prigge.

Mit Freund*innen oder Kolleg*innen offen über die HIV-Infektion reden zu können, kann fraglos befreiend und entlastend sein. Doch jede*r sollte selbst darüber entscheiden können, ob und wann er*sie sich gegenüber Angehörigen, Freund*innen oder am Arbeitsplatz als HIV-positiv outet.

Ein Mandant des Düsseldorfer Anwalts Dr. Jasper Prigge hatte einer Freundin anvertraut, dass er mit HIV lebt. Als die Freundschaft später zerbrach, plauderte sie die HIV-Infektion am gemeinsamen Arbeitsplatz aus. Der Mann wehrte sich – mit Erfolg.

Wir sprachen mit Jasper Prigge über die Hintergründe.

Zum Wesen eines freundschaftlichen Verhältnisses gehört, dass man auch über sehr private Dinge spricht. Müsste dann sicherheitshalber immer betont werden, dass dies im Vertrauen geschieht, also Verschwiegenheit gewahrt werden muss?

Das hängt natürlich immer vom Kontext ab.

Wenn ich eine private Beziehung zu einer Person pflege, mit der ich befreundet bin, muss ich davon ausgehen können, dass meine privaten Informationen auch im Vertraulichen bleiben.

In einer Freundschaft muss ich davon ausgehen können, dass meine privaten Informationen auch im Vertraulichen bleiben.

Dr. Jasper Prigge zum Fall eines Mandanten, dessen HIV-Infektion unabgesprochen gegenüber Kolleg*innen offengelegt wurde

Wenn diese weitergetratscht werden, kann das die Privatsphäre verletzten, weil sich die andere Person bewusst sein muss, dass diese sensiblen Informationen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind.

Im Fall Ihres Mandanten hat eine Freundin dessen HIV-Infektion unabgesprochen im Kolleg*innenkreis offenbart. Der Betroffene hat erst über Dritte davon erfahren und dann Sie eingeschaltet. Auf welcher Rechtsgrundlage kann eine solche Weitergabe einer privaten Information unterbunden werden? Es handelt sich ja nicht um üble Nachrede oder eine unwahre Tatsachenbehauptung.

Informationen aus dem ganz privaten Umfeld weiterzuerzählen, greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, und ein solcher Eingriff ist nur in ganz seltenen Fällen tatsächlich gerechtfertigt.

Daher konnte mein Mandant eine strafbewehrte Unterlassung verlangen, da ja bereits das erstmalige Weitererzählen die Gefahr birgt, dass die Information immer weiter getragen wird.

Dies ist nur mit anwaltlicher Unterstützung möglich?

Es ist durchaus empfehlenswert, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, denn es gilt, das Recht auf freie Meinungsäußerung gegen die allgemeinen Persönlichkeitsrechte abzuwägen. Das ist nicht immer einfach.

Zudem sollte anwaltlich geprüft werden, ob eine Unterlassungserklärung rechtlich ausreichend und damit wirksam ist. Denn sollten später die vertraulichen Informationen dennoch weitergegeben werden, habe ich bei einer solchen nochmaligen Verletzung meiner Persönlichkeitsrechte womöglich wenig in der Hand, um mein Recht, beispielsweise eine Vertragsstrafe, durchzusetzen.

Bis zu diesem Punkt wurde allerdings noch kein Gericht eingeschaltet, oder?

Eine solche außergerichtliche Aufforderung zur Unterlassung gibt die Möglichkeit, den Streit ohne Gerichtsverfahren beizulegen.

Erst wenn die abgemahnte Person keine Unterlassungserklärung abgeben will oder sich nicht in der gesetzten Frist meldet, kommt es zu einem Gerichtsverfahren. In diesem wird dann geprüft, ob Persönlichkeitsrechte tatsächlich verletzt werden.

Da ein Klageverfahren lange dauern kann, gibt es zudem die Möglichkeit eines Eilverfahrens. Mit einer einstweiligen Verfügung kann eine weitere Verbreitung der Information schnell unterbunden werden.

Wenn die Beklagte, wie in unserem Fall, sie nicht als abschließend akzeptiert und anerkennt, muss ich trotzdem auch Klage einreichen. Denn die einstweilige Verfügung ist stets nur für einen Übergang gedacht und kann die unerwünschte Weitergabe der Informationen nur über einen bestimmten Zeitraum verhindern.

Für eine endgültige Klärung braucht es eine rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache.

In Ihrem Fall hat das Landgericht die einstweilige Verfügung ohne große Diskussion erlassen?

Die Argumente in der Antragsschrift waren offenkundig ausreichend dargelegt, sodass keine zusätzliche Überzeugungsarbeit geleistet werden musste.

Die Gegenseite hat sich auch nicht gegen die einstweilige Verfügung gewehrt. Konkret hat sie gar nicht reagiert und sie damit auch nicht anerkannt.

Das Landgericht hat daher der nachfolgenden Klage stattgegeben und ein mittlerweile rechtskräftiges Urteil erlassen. Die Anwalts- und Prozesskosten müssen von der Gegnerin übernommen werden.

Hervorzuheben ist, dass das Landgericht den Anspruch auf Unterlassung von vornherein als gegeben ansah. Das Gericht prüft nämlich auch inhaltlich, wenn der Betroffene sich nicht meldet, ob der Antrag den Erlass eines Urteils rechtfertigt.

Das Gericht hat also dezidiert festgestellt, dass die ungewünschte Offenbarung einer HIV-Infektion einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellt.

Hätte das Landgericht bei einer anderen Diagnose wie etwa Krebs oder Multipler Sklerose ähnlich reagiert?

Möglicherweise, aber ich glaube schon, dass bei einer HIV-Erkrankung die damit immer noch verbundene höhere Stigmatisierung einen besonderen Faktor darstellt.

Dr. Jasper Prigge; Foto: privat

Ein anderes Landgericht käme bei einem ähnlich gelagerten Fall also zur gleichen Entscheidung?

Das lässt sich so einfach nicht sagen, da Gerichte selbstständig entscheiden und befinden. Das ist letztlich immer auch abhängig vom konkreten Einzelfall.

Ich halte aber die Entscheidung für richtig, dass niemand aufgrund von Informationen, die im Vertrauen mitgeteilt wurden, in die Öffentlichkeit gezerrt werden kann – und sei es nur die kollegiale Öffentlichkeit in einem Betrieb. Denn dies beeinträchtigt das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, also das Recht, selbst darüber zu entscheiden, was andere über mich wissen.

Was aber, wenn das Getratsche nicht in der Kantine, sondern in den Sozialen Medien stattfindet? Wie kann ich mich da wehren?

In den Sozialen Medien ist die Verbreitungswirkung natürlich weitaus höher, deshalb ist umso mehr schnelles Handeln erforderlich, sonst können sich solche Informationen unkontrolliert weiterverbreiten. Es ist essenziell, zeitnah zu entscheiden, ob man dagegen vorgehen möchte.

Wenn mir bekannt ist, wer die Information verbreitet, kann ich mit einer Aufforderung zur Unterlassung unmittelbar gegen diese Person vorgehen.

Sie muss dann nicht nur die fragliche Veröffentlichung in den Sozialen Netzwerken löschen: Sollten andere von ihr die Nachricht erhalten und weiterverbreitet haben, muss die Person sich zudem darum kümmern, dass auch diese Veröffentlichungen verschwinden.

Für diesen Schritt ist ebenfalls anwaltliche Unterstützung notwendig?

Es ist auf jeden Fall empfehlenswert, eine außergerichtliche Abmahnung über eine Anwaltskanzlei aussprechen zu lassen, weil nur dann gesichert ist, dass man rechtzeitig auch gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen kann. Wenn ich zu lange warte, besteht das Risiko, dass ich keine Eilentscheidung des Gerichts mehr erhalte.

In der Regel sollte man spätestens einen Monat, nachdem man von der unerwünschten Verbreitung der persönlichen Information Kenntnis erlangt hat, vor Gericht gehen.

Die ungewünschte Offenbarung einer HIV-Infektion stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar.

Dr. Jasper Prigge

Was aber, wenn jemand anonym private Informationen in den Sozialen Netzwerken über mich verbreitet?

Hier kann ich das jeweilige Soziale Netzwerk in Anspruch nehmen, indem ich beispielsweise Facebook, Instagram oder Twitter mitteile, dass eine bestimmte Äußerung rechtswidrig ist, und das Netzwerk zur Löschung auffordern. Die Rechtswidrigkeit muss natürlich begründet werden.

Sollte das Netzwerk der Aufforderung nicht zeitnah nachkommen, kann ich gegen das Unternehmen – wieder auf dem Wege einer einstweiligen Verfügung – unmittelbar vorgehen.

Für diesen letzten Schritt müsste ich wieder anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Gibt es auch öffentliche Intuitionen, die mich in einem solchen Fall unterstützen?

Wenn ich öffentliche Stellen einschalte, etwa die Datenschutzbeauftragten der Bundesländer, mangelt es leider etwas an Effektivität, denn sie können erst dann in Aktion treten, wenn das Soziale Netzwerk trotz Aufforderung nicht gehandelt hat und damit ein Verstoß gegen meine in der Datenschutzgrundverordnung verbürgten Rechte vorliegt.

Es gibt Vereine und Institutionen wie die Deutsche Aidshilfe oder im Bereich Hasskriminalität Hate Aid, die Betroffene unterstützen können. Wenn es allerdings schnell gehen muss, ist zu raten, spezialisierte Anwält*innen aufzusuchen, um den Fall einschätzen zu lassen.

Wann könnte es beispielsweise schwierig werden, die Verbreitung persönlicher Informationen zu unterbinden?

Zum Beispiel, wenn ich mit bestimmten Informationen bereits an die Öffentlichkeit getreten bin. Wenn ich etwa im Rahmen eines Interviews über meine HIV-Infektion gesprochen oder dies in einem Facebook-Post mitgeteilt habe, muss ich damit rechnen, dass andere darüber sprechen.

Ansonsten kommt es darauf an, ob die fraglichen Informationen so sensibel sind, dass eine Geheimhaltung gerechtfertigt ist. Das wird, gerade was medizinische Diagnosen angeht, vielfach der Fall sein, denn ich habe das Recht, über Informationen, die ich nicht selbst der Öffentlichkeit preisgegeben habe, selbst zu bestimmen, wo, wann und mit wem ich sie teile.

Vielen Dank für das Gespräch!


Weitere Beiträge zum Thema HIV und Recht (Auswahl):

Rechtssicherheit für eine Karriere im Öffentlichen Dienst: Interview mit Matthias Schlenzka, Leiter der Abteilung Öffentlicher Dienst und Beamtenpolitik beim DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg, zum Thema HIV (Beitrag auf magazin.hiv vom 20. April 2020)

Karriere und Beruf mit HIV? Na klar! (Beitrag auf hiv-diskriminierung.de)

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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