Für Schwule, vor allem wenn sie in den sechziger Jahren aufgewachsen sind, ist der erste Besuch einer Schwulenbar oder eines Clubs eine ganz besondere, eindrückliche Erfahrung.

Schwule Bars mit Darkrooms hatten zwischen den beiden Lockdowns 2020 wieder geöffnet – die dunklen Hinterzimmer dienten dabei aber als Lounges mit Mindestabstand. Und das, nachdem im vergangenen Jahr in Berlin-Schöneberg einige behördliche Beschwerden über Baumängel dazu führten, dass etwa der beliebte Darkroom in Toms Bar erstmal schließen musste.

Die Institution des dunklen Hinterzimmers – oder Kellers – ist in der schwulen Subkultur nicht nur nicht wegzudenken, und wird daher auch die Pandemie überdauern, sondern hat seit ihrer Etablierung Ende der 1970er Jahre ihren Reiz nicht eingebüßt. Wenn sie auch rein zahlenmäßig gemeinsam mit den Bars während des berüchtigten Kneipensterbens ab den 2000er Jahren weniger geworden sind. Die Schuld an Letzterem wird gerne den schwulen Datingplattformen Grindr und GayRomeo gegeben. Da man dort unkompliziert auch in der flachen, heterosexuellen Pampa schwul sein kann.

Mehr als bloß Schutz

Die Subkultur, zumindest Teile von ihr, mitsamt den Saunen, Darkrooms sowie die entsprechend umgenutzten Parkanlagen, braucht es – bundesweit. Damit trotzen sie der Behauptung, die sexuellen und sonstigen sozialen schwulen Orte brauche es nur, weil die Schwulen durch die Diskriminierung ins Versteck ihrer Subkultur getrieben worden seien. Diejenigen, die Bars und Darkrooms aufsuchen, suchen dort aber nach mehr (oder anderem) als bloß nach Schutz.

Schon in einer Zeit lange bevor Grindr und GayRomeo mit der analogen Subkultur in Konkurrenz treten sollten, noch vor der Verbreitung der Darkrooms sogar, und zu der Zeit, als die schwule Subkultur tatsächlich zu einem viel größeren Anteil als Schutz vor Diskriminierung verstanden werden konnte, waren die Bars und Clubs bedeutsame Treffpunkte – und bar-gewordene Wendepunkte in vielen schwulen Lebensgeschichten. Treffen ermöglichten die Bars mit Namen wie „Hoppla, Sir!“ in den 60er Jahren mit anderen Schwulen – und nicht zuletzt mit dem eigenen Schwulsein.

Maria oder Stefan M. Weber (67), ehemals Westberliner Schwulenaktivist und nach wie vor schwuler Buchhändler, erinnert sich an seine „erste Schwulenbar“ namens „Goldener Heinrich“ mitten im Stuttgarter Rotlichtviertel. Ende der 60er Jahre – der Paragraf 175 wurde erst 1969 reformiert – landete Maria zum ersten Mal zwischen den älteren homosexuellen Stammgästen, die rauchend und biertrinkend Jungspunden wie ihm nachschauten und den Huren vom umliegenden Straßenstrich, die dort mit ihrem günstigen und guten Essen vom Gasthof gegenüber bei einer Pause zu sich nahmen: „Am späteren Abend stand man auch gerne mal in kleinen Gruppen vor dem Tresen und rieb sich diskret gegenseitig die entblößten Schwänze. Für den kleinen Stefan die große Welt, ganz und gar aufregend, unvergesslich und prägend.“

Foto: Spyros Rennt

„Die Schwänze sah man ja kaum“

Wie er dort überhaupt hinkam, erinnert er sich nicht, doch den schlechten Ruf der Gegend, in der sich der „Goldene Heinrich“ befand, vernahm Maria geradewegs als Anreiz, sie aufzusuchen. Eine Zeit lang bedeutete die Kneipe für sie „die Welt“: „Ich war nicht allein! Es gab noch andere wie mich!“ Der Weg aus der Isolation in einer heterosexuell erlebten Umwelt verschwisterte sich hier mit aufregendem sexuellem Treiben – wenn auch etwas verdruckst: „Die Schwänze sah man ja kaum, verborgen von Barhockern und dem Tresen.“ Die erste schwule Beziehung fand Maria auch in der Zeit, aber nicht im Heinrich, sondern in der Klappe an der Straßenbahnhaltestelle Charlottenplatz. Solche Klappen, also öffentliche Toiletten, auf denen Männer Sex mit Männern haben, gibt es heute in Deutschland kaum noch. Parks und Seen als Cruisinggebiete haben sich erhalten.

Erwin Gruhn, engagierter Fotosammler zur Geschichte der Schwulenbewegung und in den 70er Jahren im Umfeld der „Homosexuellen Aktion Westberlin“ (HAW) unterwegs, lernte die ersten anderen Schwulen auch Ende der 60er Jahre, aber noch nicht in der Subkultur, kennen. Erst dort waren sie offener: „in der Bar war alles klar!“ In Essen besuchte er 1974 den beliebten „Club David“ – Erwins erster Gang in „die Sub“. Nahe am Hauptbahnhof gelegen, wurde man zunächst durch ein Guckloch observiert, bevor man eintreten durfte, eine Sicherheitsvorkehrung, die bis heute noch an ausgewählten Bars und in vielen Darkroomkneipen gesichtet werden kann. Auf Arbeit, in der Schule „gab es so gut wie keine Schwulen, zumindest nicht offen. Von daher war die Sub der beste Ort für uns.“ Mit dem Uns meint Erwin die Schwulen insgesamt, die das Schwulwerden als subjektiven Prozess durchlaufen mussten, so seine Einschätzung, und die Angebote wie Kneipen und schwule Buchläden als Hilfe dafür wahrnahmen.

In Buchläden und alternativen Bars wie dem „Café TucTuc“ in Hamburg oder dem „Anderen Ufer“ in Westberlin waren Kunst, Kultur und Aktivismus anzutreffen. Vom Letzteren hatte Maria schnell genug, als das wortführende Mitglied einer Westberliner Schwulengruppe „Allgemeine Homosexuelle Arbeitsgemeinschaft“ (AHA) wegen ihm eine außerplanmäßige Mitgliederversammlung einberief: „Ich sollte mich rechtfertigen, weil ich mit einem HAW-Mitglied eine Beziehung führte. Ich verstand nur Bahnhof und mir war das zu blöd.“

Mehr als bloße Vergnügungsstätte

Mit den neuen Schwulenläden und den an sie oftmals angebundenen politischen Gruppen versuchten engagierte Homosexuelle vorrangig in Unistädten der BRD in den 70ern eine Alternative zur Subkultur anzubieten. Hier konnte man nicht nur zum ersten Mal andere Schwule treffen – sondern Schwule, die sich für linke Themen interessierten und politisch aktiv sein wollten. So bildete sich eine eigene, eben schwulenpolitische Subkultur heraus, die wiederum je nach Stadt und je nach linker Strömung unterschiedliche Regeln aufwies. Für die einen Schwulen der 68er Generation wurden diese Gruppen und Läden zu einem Hort für ein gänzlich neues Selbstbewusstsein. Andere erlebten das Ganze als zu wenig sexuell, zu verbohrt oder elitär. Spricht man mit Schwulen dieser Generation von ihren jeweils aufgesuchten Räumen, so eint sie die Erfahrung des Neuen. Bis zu einem gewissen Grad hat sich daran wenig geändert.

Als Maria in Westberlin ankam – also noch bevor er sich wegen seiner gruppenübergreifenden Beziehung rechtfertigen musste –, wurde „Andreas Kneipe“ (bis 2003 in der Schöneberger Ansbacher Straße) zu seinem neuen schwulen Domizil. „Da verbrachte ich Anfang der 70er Jahre Tage und Nächte, habe etliche One-Night-Stands und Beziehungsversuche nach Hause geschleppt.“ Das sei zuvor im Stuttgarter Heinrich noch eher selten vorgekommen, da er trotz aller Faszination, die von der neuen schwulen Welt auf ihn ausging, „noch zu verklemmt und verunsichert“ war.

Schwule Kneipen und Clubs waren und sind mehr als bloße Vergnügungsstätten. Das Vergnügen verbindet sich hier traditionsgemäß mit der geteilten Erfahrung, als Mann auf Männer zu stehen. Wenn auch nicht alle Anwesenden auf der Suche nach einem (neuen) Partner sind, so durchzieht das sexuelle Aroma doch diese Räume. Wer dort hingeht, scheut ganz unabhängig von seiner bewussten Einstellung dazu, das schwule Klischee nicht und eröffnet unversehens auch jenen jungen oder älteren unbedarften Schwulen einen Möglichkeitsraum für die Entdeckung ihres Schwulseins.

Leibhaftig aufeinandertreffen

Davon berichten homosexuelle unterschiedlicher Generationen: Das euphorisierende Gefühl des Neuen, wenn man merkt, dass man nicht alleine ist. Womöglich ist dies zumindest ein Anteil des behaglichen Gefühls (zumindest einiger) homosexueller Männer, wenn sie schwul ausgehen oder „ein schwules Bier“ trinken gehen wollen. Grindr und GayRomeo können Anteile davon erfüllen: man merkt, man ist doch nicht die einzige Husche im Dorf. Oder zumindest im Landkreis. Der Wunsch, als Schwule leibhaftig aufeinanderzutreffen, besteht aber weiterhin – auch in Form der Subkultur, der Kneipen, Clubs und Darkrooms.

Die Generation vor den digitalen Datingplattformen und mehr noch jene vor der spürbar einsetzenden Liberalisierung, die sich auf dem Lande nochmal später niedergeschlagen hat, als in den Unistädten, hat entsprechend starke Erinnerungen an ihre ersten Subkulturerlebnisse. Das ist zumindest meine Erfahrung aus den zahlreichen Gesprächen mit schwulen Männern. Der erste Gang in die Sub, häufig unter Aufregung und erst nach mehrwöchigem Beschatten des jeweiligen Ladens als initiales Erlebnis auch des eigenen Schwulseins. Maria besuchte seine erste schwule Kneipe später nochmal: „Vor zwei/drei Jahren war ich wieder mal da, mit Thomas und Dietmar vom Buchladen Erlkönig. Nichts war mehr so, wie es damals war, und ich war trotzdem den Tränen nahe.“

Spannend wird, welche schwule Subkultur nach Corona vorzufinden sein wird. Das wird aber sicherlich mehr von den finanziellen Mitteln der oftmals traditionsreichen Schwulenbars abhängen und weniger von einem direkten Zusammenspiel zwischen Pandemie und Schwulsein. Selbst AIDS in den 80er Jahren führte trotz massiven Einflusses auf das Sexualleben schwuler Männer nicht zum Erliegen der Subkultur. Wenn auch zu einigen Veränderungen. Insofern bleibt der Wunsch, andere Schwule zu treffen und das eigene Schwulsein in einem von Heterosexuellem möglichst frei gehaltenen Raum zu erleben, derselbe und es bleibt abzuwarten, in welcher Variante er in Zukunft erfüllt werden kann.

Erschien im September 2020 in der Jungle World.

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