Seit 2001 richtet ein Gedenk- und Aktionstag die Aufmerksamkeit auf das Thema Überdosierungen – und auf Mittel und Wege, wie sich diese verhindern lassen.

Der 31. August soll das Bewusstsein für Überdosierungen und Präventionsmaßnahmen schärfen, die Stigmatisierung drogenbedingter Todesfälle verringern und die Trauer von Familien und Freund*innen anerkennen.

Initiiert wurde der International Overdose Awareness Day 2001 von der australischen Autorin S.J. Finn, die zu dieser Zeit ein Nadel- und Spritzentauschprogramm im Krisenzentrum der Heilsarmee in St. Kilda, einem Vorort von Melbourne, leitete. Bei der ersten Aktion wurden im ganzen Land sowie in Neuseeland 6.000 silberne Bänder als Zeichen der Trauer und Erinnerung verteilt.

Der Overdose Awareness Day wurde in den Folgejahren von vielen Organisationen weltweit übernommen und beispielsweise mit Mahnwachen, öffentlichen Gedenkfeiern und Aktionen in den Sozialen Medien begangen. Seit 2012 koordiniert das australische Penigton Instititute, eine Organisation für öffentliche Gesundheitsforschung und Drogenpolitik, federführend den Gedenk- und Aktionstag.

Anlässlich des 20. International Overdose Awareness Day 2020 schrieb die Gründerin S.J. Finn ein Gedicht zum Gedenken an einen verstorbenen Drogengebraucher:

In Deutschland initiieren unter anderem die Deutsche Aidshilfe, Drogenselbsthilfeorganisationen wie der JES Bundesverband und Vision e.V., der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik Akzept e.V. sowie regionale Aids- und Drogenhilfen Veranstaltungen und Aktionen rund um den International Overdose Awareness Day – 2022 zum Beispiel die Kampagne „Lasst keinen Tag vergehen!“, die der JES Bundesverband mit der Forderung nach strukturellen und rechtlichen Veränderungen verknüpft.

Politikwechsel jetzt!

Denn auch nach über 20 Jahren seit den ersten Aktionen zum 31. August hat der Tag traurige Relevanz: 2021 sind in Deutschland 1.826 Menschen an den Folgen von Drogenkonsum verstorben, fast 16 Prozent mehr als 2020 und 44 Prozent mehr als 2017 – die meisten Menschen starben an Überdosierungen. Angesichts solch dramatischer Zahlen fordern die Deutsche Aidshilfe (DAH) sowie andere Organisationen und Initiativen wie etwa die Kampagne #MyBrainMyChoice eine konsequente Neuausrichtung in der Drogenpolitik hin zu Entkriminalisierung und staatlicher Regulierung.

Konsument*innen entkriminalisieren, Substanzen regulieren

Statt Drogenkonsument*innen wegen geringer Mengen zum Eigenbedarf zu kriminalisieren und zu inhaftieren, muss der Staat die Produktion kontrollieren und eine legale Abgabe von Substanzen in jeweils geeigneter Form ermöglichen, etwa über Fachgeschäfte oder das Medizinsystem, so die Forderung der DAH.

Darüber hinaus müssen Angebote zur Schadensminderung, die Überdosierungen und Todesfälle verhindern können, bundesweit ausgebaut und besser zugänglich gemacht werden. Im Folgenden stellen wir die wichtigsten vor, geben Tipps zur Risikominimierung und nennen Quellen für weiterführende Informationen.

Naloxon

Das Notfallmedikament Naloxon hebt innerhalb weniger Minuten die atemlähmende Wirkung von Opioiden wie zum Beispiel Heroin auf und verhindert damit Todesfälle infolge von Überdosierungen, als Nasenspray ist es zudem leicht anwendbar.

Opioidkonsument*innen und Substituierte können es sich von Ärzt*innen verschreiben lassen. Ein digitales Schulungsprogramm zur Anwendung von Naloxon und weitere nützliche Infos zum Thema Drogennotfall bietet die Website naloxontraining.de.

Naloxon kommt bislang noch viel zu wenig zum Einsatz

Da das Notfallmedikament bislang noch viel zu wenig zum Einsatz kommt, werden in dem bundesweiten Modellprojekt „NALtrain“ Mitarbeiter*innen von Aids- und Drogenhilfen geschult, um Wissen zu Naloxon weiterzugeben. Verbindliche Kontakte mit Ärzt*innen sollen zudem mehr Verschreibungen des Naloxon-Nasensprays ermöglichen. Ziel ist es, dass zum Ende der Projektlaufzeit viele tausend Drogengebraucher*innen und Substituierte das Medikament mit sich führen und anwenden können.

Naloxon wirkt auch gegen eine Überdosierung von Fentanyl. Dieses synthetische Opioid wurde früher zum Strecken von Heroin eingesetzt, heute wird es auch in Reinform als Pulver verkauft. In einigen Gegenden, zum Beispiel in Montréal (Kanada), wurde Heroin bereits fast vollständig durch Fentanyl abgelöst – weshalb die Nutzer*innen des dortigen Drogenkonsumraums CACTUS routinemäßig mit einem Naloxon-Kit ausgestattet werden. Auch in Europa ist die Substanz bereits angekommen. In Deutschland wurden 2021 erstmals rund hundert drogenbedingte Todesfälle unter Beteiligung von Fentanyl und verwandten Substanzen registriert.

Drugchecking

Wer Drogen konsumiert, kennt in der Regel ihren Reinheitsgrad nicht und weiß nicht, ob Substanzen beigemischt sind (und wenn ja, welche und in welcher Dosierung) – das ist auch bei sogenannten Partydrogen der Fall.

2020 sind laut Bericht der damaligen Bundesdrogenbeauftragten in Deutschland über 285 Menschen nach dem (Misch-)Konsum „anderer Substanzen als Opioide/Opiate“ verstorben, darunter zum Beispiel Kokain, Amphetamin und Methamphetamin.

Um solche Todes- und Notfälle zu verhindern, setzen sich Organisationen und Aktivist*innen – unter anderem aus dem Safer-Nightlife-Bereich – seit Jahren für die Einführung von Angeboten zur Analyse von illegalisierten Substanzen ein, 2021 hat die Forderung es in den Koalitionsvertrag der Bundesregierung geschafft.

Durch Drugchecking können Überdosierungen, Vergiftungen und andere unerwünschte Effekte vermieden werden

Sogenanntes Drugchecking bietet Konsument*innen die Möglichkeit, ihre Drogen auf Gehalt und Inhaltsstoffe testen zu lassen, etwa im Kontext von Partys oder Raves. So können Überdosierungen, Vergiftungen und andere unerwünschte Effekte vermieden werden.

2021 konnte mit „SubCheck“, einem Pilotprojekt der SiT – Suchthilfe in Thüringen, erstmals nach 25 Jahren in Deutschland wieder ein Drugchecking-Angebot an den Start gehen – weitere kamen bisher nicht dazu. In Berlin wurde 2019 zwar ein Drugchecking-Projekt vom Berliner Senat befürwortet, seither hat sich die Umsetzung jedoch immer wieder verzögert.

Konsumräume

In Drogenkonsumräumen (auch Druckräume genannt) können Drogengebraucher*innen unter hygienischen Bedingungen und fachlicher Aufsicht konsumieren. Im Notfall, etwa bei einer Überdosierung, ist sofort Hilfe zur Stelle.

In Konsumräumen ist sofort Hilfe zur Stelle

Darüber hinaus bieten die Mitarbeiter*innen vor Ort auch Beratung an – zum Beispiel zu Safer Use, risikoärmeren Konsumformen und anderen relevanten Themen – und geben nicht zuletzt saubere Konsumutensilien zur Verhinderung von zum Beispiel HIV- und Hepatitis-Infektionen aus (eine wichtige Ergänzung zur Konsumutensilienvergabe in Einrichtungen sind Spritzenautomaten, Infos und Standorte gibt es auf spritzenautomaten.de).

Für viele Drogenbraucher*innen sind Konsumräume der erste Kontakt zum Hilfesystem. Von dort kann an andere Angebote wie Wohnprojekte oder die Substitutionsbehandlung vermittelt werden. Dennoch sind Konsumräume in Deutschland in erst neun Bundesländern und noch längst nicht in der Fläche vorhanden. Auf der Webseite drogenkonsumraum.net sind alle Standorte und Informationen zusammengetragen.

Substitution

Wesentlich zur Verhinderung von Todesfällen durch Überdosierungen trägt auch die Substitutionsbehandlung bei. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges zum Besseren getan. So wurde durch Veränderungen in der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtmVV) die eigenverantwortliche Einnahme („Take home“) erleichtert. Und weil Beikonsum nicht mehr sanktioniert wird, kann er angstfrei in der Behandlung thematisiert werden.

In der Corona-Pandemie wurden zusätzliche, leicht erreichbare Substitutionsangebote geschaffen

Darüber hinaus hat die Corona-Pandemie Verbesserungen gebracht: Im Rahmen von Notfallsubstitutionen während der „ersten Welle“ wurde die Substitutionstherapie neuen Patient*innen zugänglich gemacht. In vielen Kommunen – zum Beispiel in Berlin, Hamburg und Hannover – wurden zusätzliche leicht erreichbare Angebote geschaffen, auch für Menschen ohne Krankenversicherung oder gültige Aufenthaltspapiere. Zugleich wurden die Regularien gelockert: Patient*innen, die bisher nicht als für die Take-Home-Vergabe geeignet galten, haben nun die Chance, die eigenverantwortliche Einnahme Schritt für Schritt zu erlernen, und müssen nicht mehr täglich in die Praxis kommen.

Diese Fortschritte, die aus der durch die Corona-Pandemie bedingten Notlage erwachsen sind, gilt es nun zu sichern und in die Regelversorgung zu überführen. Des Weiteren müssen weiterhin mehr Ärzt*innen für die Substitutionsbehandlung gewonnen werden und der Zugang zur Behandlung mit Diamorphin, einem pharmazeutisch hergestellten Heroin, das in Deutschland zur Substitution gespritzt werden muss, erleichtert werden.

Wechsel der Konsumform

Auch durch risikoärmere Konsumformen lassen sich Überdosierungen sowie HIV- und Hepatitis-Infektionen vermeiden. Beim nasalen Konsum (Sniefen) bzw. beim Rauchen von Folie sind die Risiken deutlich geringer als beim intravenösen Gebrauch (Drücken).

Sniefen und Rauchen sind risikoärmere Alternativen

Über die gesundheitlichen Vor- und Nachteile des Sniefens klärt unsere Info-Reihe „Sniff it!“ auf, hier sind u. a. ein Faltblatt und ein Video erschienen. Ergänzend dazu informiert „Smoke it!“ mit einem Faltblatt und Video über den inhalativen Konsum von Heroin als Alternative zum Drücken.

Chemsex

Überdosierungen sind auch eine Gefahr beim sogenannten Chemsex. David Stuart, der den Begriff geprägt hat und im Januar 2022 verstorben ist, verstand darunter den Konsum von Crystal Methamphetamin, Mephedron (und anderen Cathinonen) und/oder GHB/GBL im Zusammenhang mit schwulem Sex. Die Deutsche Aidshilfe informiert auf verschiedenen Wegen über Chemsex in schwulen Communitys, so zum Beispiel mit einem Dossier auf magazin.hiv. Auf der Website der DAH kann eine Handreichung zu Erste-Hilfe-Maßnahmen bei Chemsex-Notfällen heruntergeladen werden – geschrieben unter anderem vom Chemsex-Experten David Stuart. Selbsthilfegruppen unterstützen beim Umgang mit Chemsex.

(Axel Schock / Christina Laußmann)

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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