Schwule Pornos und die Wirklichkeit sind nicht dasselbe, schreibt Don Shewey in seinem neuen Buch „The Paradox of Porn: Notes on Gay Male Culture“. Wir dürfen hier einen kurzen Auszug veröffentlichen.

Vor ein paar Jahren war ich bei Randy zu einem unkonventionellen Sederabend. Ich erinnere mich gar nicht mehr daran, ob dort die vier vorgeschriebenen Themen des religiösen Kanons zur Sprache kamen. Ich weiß nur noch, dass Mathew aus heiterem Himmel die ziemlich unerwartete Frage „Warum sind schwule Männer so schlecht im Bett?“ stellte. Da mehr als die Hälfte der anwesenden Männer irgendwann mit Mathew geschlafen hatte, dauerte es ein paar Minuten, bis wir uns sicher waren, dass er uns keine Vorwürfe machen, sondern wirklich mit uns darüber philosophieren wollte. Ich hatte viel dazu zu sagen, sowohl in meiner Rolle als Schlampe vom Dienst als auch aus der Sicht eines Sexualtherapeuten für schwule Männer.

Vielerlei Kräfte arbeiten einer gesunden sexuellen und emotionalen Entwicklung schwuler Männer entgegen – Ausgrenzung und verinnerlichte Homophobie, religiöses oder familiäres Shaming, die Anforderungen des Konsumkapitalismus, die uns dazu bringen, uns gegenseitig und auch uns selbst als Ware zu behandeln – und alles trifft im paradoxen Genusstempel der Pornografie aufeinander.

Foto: Spyros Rennt

Pornos erweisen Schwulen einen großen Dienst, indem sie uns mit Bildern versorgen, die unsere Wünsche widerspiegeln und bestätigen und die uns vom Unwissen befreien. Mit Bildern, die uns Möglichkeiten eröffnen, das erotische Potential unseres Körpers und unserer Vorstellungskraft zu aktivieren, und die uns dadurch erlauben, stellvertretend Erfahrungen zu erleben, die außerhalb unserer Reichweite liegen. Und auch, weil sie einen sicheren Weg darstellen, um uns durch Zeiten der Angst und Einsamkeit zu führen. Gleichzeitig erweist uns die Pornografie jedoch einen Bärendienst, weil sie unsere Vorstellung eines normalen Körpers und normaler Sexualfunktionen verzerrt, uns von manchen Hemmungen befreit, diese aber durch neue ersetzt, und uns auf Kosten unserer Gesundheit und unseres emotionalen Wohlbefindens zu Sklaven unseres Triebs macht. Sie lockt uns in die schummrige Ecke der Zwangshandlungen, die uns isoliert und verschlossen zurücklassen, und sie gibt uns eine Sexkultur als Vorbild, die so eng, mechanisch und emotional bankrott ist, dass wir kaum noch wissen, wie man sich gegenseitig als menschliche Wesen behandelt.

Es schmerzt mich zu hören und zu sehen, wie sich schwule Männer damit herumplagen und dann trotzdem bei der Suche nach sexueller Erfüllung versagen. So wie ich ihn erlebt habe, lädt Sex auf eine fantastisch reichhaltige Spielwiese des körperlichen Vergnügens, der Selbsterkenntnis, der ekstatischen Ausgestaltung, der spirituellen Weisheit und der intimen Beziehungen ein. Für mich war dies ein Weg zu tiefer Liebe und Selbstakzeptanz – wenn auch ein holpriger, der über reichlich verstörende Zweifel, schmerzhafte Verluste und peinliche Fehltritte führte. Und ich schätze, ich wünsche mir das für alle.

Ich wünsche mir, wie der weise Dichter Smokey Robinson es einst besang, „mehr Liebe und mehr Freude als Alter oder Zeit je zerstören können.“ Ich wünsche mir, dass schwule Männer in tiefen Zügen aus dem Brunnen der Geilheit trinken mögen, den die Pornografie errichtet hat und auch weiterhin speist. Und ich möchte, dass wir die negativen Folgen klug und geschickt ausschalten, die die Pornografie für unser Leben haben kann, wenn wir sie unhinterfragt lassen.

Also zieh ich mir jetzt in meiner Rolle als Daddy-Top der Community mein ramponiertestes Baseballcap, Jockstrap und schwarze Lederschnürstiefel an und liefere die sieben Patentrezepte des Pornoparadox ab, in der Hoffnung, dass sie schwule Männer zu besserem Sex inspirieren mögen.

1. Verwechsle Pornosex nicht mit Sex im wirklichen Leben.

Im besten Fall ist Porno erotisches Theater für einen einzigen Zuschauer. Genieße es, der Fantasie freien Lauf zu lassen, ohne auf die Ansichten oder Vorlieben anderer eingehen zu müssen. Wenn du mit jemand anderem Sex hast, dann sei auch tatsächlich anwesend. Stell Blickkontakt her. Erlaube es dir, zu atmen. Pass auf, dass du merkst, wenn du deinen Partner oder dich selbst unter Druck setzt, sich wie ein Pornostar zu verhalten. Versuche, dich von dieser Idee zu lösen. Folge dem, was sich gut anfühlt.

2. Such dir aus, was du machst.

Nimm es dir vor. Es gibt unzählige Gründe dafür, Pornos zu gucken und/oder Sex zu haben. Ja klar, Abspritzen ist einer davon, aber nicht der einzige. Vielleicht guckst du Pornos und holst dir dabei einen runter, um einschlafen zu können, um tagsüber Stress und Nervosität abzubauen, oder einfach um des puren Vergnügens am Abspritzen willen. Vielleicht schaust du dir Pornos auch mit der Absicht an, es dir eben gerade nicht kommen zu lassen, z.B. um die Kreativität für ein Projekt anzukurbeln, um Spannung für ein Date aufzubauen, um neue Sextechniken zu erforschen oder um deine Sammlung geiler Bilder aufzustocken. Wenn du dazu neigst, dich in der Online-Pornosphäre zu verlieren, dann stell dir doch mal einen Wecker und deponiere ihn im Zimmer nebenan – vielleicht hilft er dir ja dabei, deine Pornotrance zu genießen und dann trotzdem wieder sicher im Jetzt zu landen. Wenn du immer wieder dieselbe Wahl triffst, dann ist es vielleicht keine freie Wahl mehr! Vielleicht steckst du in einer Obsession oder einem Zwang fest. Vielleicht richtet sich dein Suchtgefühl in Wirklichkeit auf etwas Emotionales oder Körperliches, das dir auch noch so viel Wichserei nicht geben kann.

3. Hab keine Angst davor, zu reden.

Eine der Freuden des Pornowichsens ist, das man sich nicht darum kümmern muss, was irgendjemand anderes gerade denkt oder fühlt. Aber Pornos neigen auch dazu, die allgemeine Annahme zu verstärken, dass über Sex reden (außer „Fuck! Fuck!“ oder irgendeine Version von „Oh ja, dings mein Bums“ zu stöhnen) den Sex verdirbt. Das sehe ich total anders. Ich behaupte, dass das Nichtreden unweigerlich zu schlechtem Sex führt. Denn dann seid ihr den Fantasien – egal welchen – ausgeliefert, die sich gerade in euren Köpfen abspielen, und die können meilenweit voneinander entfernt sein. Es ist ein verbreitetes Missverständnis, dass dein Partner auf irgendeine magische Art und Weise wissen sollte, was dich geil macht, und dass er, falls du es ihm sagst, es dann nur macht, um dich zufriedenzustellen. Zunächst: Wie ist das für dich? Und dann: Willst du nicht, dass es dir gefällt? Woher soll er denn wissen, was du magst, wenn du es ihm nicht sagst? Du brauchst ja nicht laufend einen Kommentar abzugeben, und du musst es noch nicht mal mit Worten sagen. Ich hab bis jetzt noch keinen Hund kennengelernt, der meine Sprache spricht, aber jeder Hundebesitzer merkt, wenn sein Tier Hunger hat oder raus muss.

4. Überprüfe deine Regeln.

Mir ist aufgefallen, dass sich viele Leute sexuell nach einer Liste von ungeschriebenen, unausgesprochenen Gesetzen verhalten, aber überhaupt keine Ahnung haben, woher diese Regeln kommen. Pornos zum Beispiel verleiten zu Sex ohne Vorabsprachen oder Pausen: Sobald man nackt ist, gibt es kein Halten mehr, bis alle abspritzen. Das kann aufregend sein, oder es kann superschnell vorbeisein, oder es kann so anstrengend werden, dass sich die Lust schon längst verabschiedet hat. Sowas ist ein Zeichen dafür, dass wir es hier mit einer Regel zu tun haben, die hinterfragt werden muss. Versuch zur Abwechslung einfach mal etwas Neues. Außerdem macht es, wie einer meiner Klienten sagte, Spaß, die Regeln zu brechen.

5. Lass deinen ganzen Körper mitmachen.

Foto: Spyros Rennt

Die meisten von uns haben eine erprobte Methode der Selbstbefriedigung – wann wir es machen, wo wir es machen, welche Utensilien wir zur Hand haben. Wir wissen, was funktioniert. Doch genau diese Effizienz kann die Sache schal und langweilig werden lassen. Online-Pornos verleiten eher dazu, beim Masturbieren auf den Bildschirm zu starren. Und zwar im Sitzen oder im Liegen, in einer angewinkelten oder beengten Körperhaltung – während der Rest deines Körpers inaktiv ist. Und dieselbe begrenzte Körperlichkeit überträgt sich dann prompt auf den Sex mit einem Partner. „Der meiste Sex in der westlichen Welt ist reine Nekrophilie – ein lebloser Körper treibt es mit einem zweiten leblosen Körper“, sagte einst Joseph Kramer, der Pionier der Sexualaufklärung. Mit der Gründung seiner Body Electric School (Schule des elektrisierten Körpers) im Jahr 1984 etablierte sich Kramer als Erotikvisionär. Während der Aidskrise haben seine Workshops zum Thema „Den erotischen Körper feiern“ das Leben tausender Männer (meines eingeschlossen) verändert, indem er uns in die Kunst des Sex ohne Ejakulation einführte, u.a. mit Atemübungen, Massage und einer gezielten Verteilung der erotischen Energie. Als das Internet zu unserer Hauptinformationsquelle und unserem universellen Pornowarenlager wurde, passte Kramer seine Lehre an das digitale Zeitalter an, indem er für seine New School of Erotic Touch (Neue Schule der Erotischen Berührung) Onlinekurse und Videos erstellte. Dafür hat er eine Methode entwickelt, die sich „Pornoyoga“ nennt. Das Konzept ist einfach, aber genial: Steh auf, wenn du masturbierst. Er empfiehlt, den Bildschirm auf Augenhöhe zu bringen und die Hände freizumachen, damit sie den ganzen Körper berühren können, die Lust durch Hüftrotationen und -stöße zirkulieren zu lassen, die Bewegungen nachzumachen, die du auf dem Bildschirm siehst, dem Bildschirm ab und zu den Rücken zu kehren, mit verschiedenen Rhythmen zu experimentieren und auch mal anzuhalten und dann wieder weiterzumachen. Probier’s mal. Du wirst den Unterschied sofort merken.

6. Finde das Rezept, das zu dir passt.

Ich weiß, dass es einige Patentrezepte gibt, die unweigerlich zu unbefriedigendem Sex führen, z.B. „ja“ sagen, wenn man „nein“ meint, oder „nein“ sagen, wenn es sich eher nach „ja“ anfühlt. Meiner Erfahrung nach ist der beste Weg, eine sexuelle Beziehung in den Graben zu fahren, den Begriff Sex zu eng zu definieren – z.B. dass es immer ums Abspritzen gehen muss, oder ums Ficken, oder um was auch immer. Mein persönliches Rezept für befriedigenden Sex fordert gleiche Anteile von L, V und M: deiner eigenen L-ust, der V-erbindung mit deinem Partner, und der M-echanik ( = was rauf und runter bzw. rein und raus geht). Wenn du dich auf L und V einlässt, dann regelt sich M meist von selbst. Probier’s einfach mal aus. Verändere es, mische es neu, füge deine eigenen Zutaten dazu.

7. Mach regelmäßig eine Pause.

Egal, um welches Vergnügen es geht: Von einer Erholungspause kannst du fast immer profitieren – auch das beste Stück Fleisch verliert seinen Geschmack, wenn man es zu lange kaut! Das trifft auf Alk genauso zu wie auf Gras, soziale Medien oder Pornos. Wenn du merkst, dass es dir nicht mehr so viel bringt, dann halte dich zurück. Mach ein bis zwei Wochen Pause – oder ein bis zwei Monate! Grindr und Scruff werden noch da sein, wenn du dich zurückmeldest. Das gleiche gilt für Mobilgeräte – Heimpornos zu drehen macht Spaß. Das machen alle. Aber vor der Kamera zu performen, kann auch zu einer stumpfsinnigen Gewohnheit werden, die der Intimität und der Lust im Weg steht.

Fazit: Tu, was du kannst, um die Lebenslust in deinem Körper zu wecken.

Auszug aus The Paradox of Porn: Notes on Gay Male Culture von Don Shewey (Joybody Books, 2018)

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