Siegfried Schwarze, Mikrobiologe und selbst HIV-positiv, informiert auf der „Medizinischen Rundreise“ der Deutschen AIDS-Hilfe über den neuesten Stand der HIV-Forschung. Zurzeit ein brennendes Thema: die Schutzwirkung der Therapie. Ein Interview von Philip Eicker

Siegfried Schwarze
HIV-Aktivist Siegfried Schwarze informiert über „Schutz durch HIV-Therapie“ (Foto: privat)

Herr Schwarze, können sich Paare darauf verlassen, dass die HIV-Therapie eine Übertragung von HIV beim Sex verhindert?

Ja, das können sie – wenn beim HIV-positiven Partner mit den gängigen Methoden seit mindestens sechs Monaten keine HI-Viren mehr im Blut nachweisbar sind. Die Therapien schützen sehr zuverlässig. Hundertprozentige Sicherheit gibt es beim Sex allerdings nie. Das gilt ja auch beim Kondomgebrauch.

Warum sechs Monate?

Beim Sex ist ja nicht das Blut entscheidend, sondern es geht um Sperma, Vaginalsekret und die Darmschleimhaut. Dort dauert es etwas länger, bis die Zahl der Viren gesunken ist.

Manche Wissenschaftler melden Bedenken an, weil die Zahl der Viren im Blut und in anderen Sekreten verschieden sein können. Warum sind Sie sich so sicher?

Weil wir die Erfahrungen aus den Studien und den Arztpraxen haben: Es finden einfach keine Übertragungen mehr statt, wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze ist. Vermutlich bedarf es einer bestimmten Virenmenge für eine Übertragung. Die wenigen Viren, die in Studien im Sperma von einigen therapierten Männern nachgewiesen wurden, reichen offenbar nicht aus.

„Es finden einfach keine Übertragungen mehr statt“

Gilt das auch für schwule Paare? Die Schutzwirkung beim Analverkehr ist noch nicht eindeutig belegt.

Moment, die Art des Sexualverkehrs wurde bisher in keiner Studie dokumentiert. Auch Heterosexuelle sollen ja gelegentlich Analverkehr praktizieren. Wenn die Schutzwirkung beim Analverkehr nicht gegeben wäre, gäbe es auch schon zahlreiche dokumentierte Übertragungen bei schwulen Paaren. Ich glaube, dass es hier keinen wesentlichen Unterschied gibt. Im Moment laufen spezielle Studien, die diese Erkenntnis absichern sollen. Die Ergebnisse werden aber erst 2016 vorliegen.

Ist die Schutzwirkung eingeschränkt, wenn andere sexuell übertragbare Infektionen vorliegen?

Bei Menschen mit nachweisbarer Viruslast erhöhen andere Infektionen die Wahrscheinlichkeit der HIV-Übertragung – bis um den Faktor zehn. Neuere Daten von HIV-Patienten ohne Viruslast zeigen keine Erhöhung des Risikos, zumindest bei Tripper und Chlamydien-Infektionen. Bei Syphilis und Herpes gehen Experten davon aus, dass sie das Infektionsrisiko ebenfalls nicht wesentlich erhöhen. Mit anderen Worten: kein Virus, keine Infektion.

Wie reagiert Ihr Rundreise-Publikum auf die Nachricht, dass Schutz durch Therapie funktioniert?

Erstaunlicherweise lehnen HIV-positive Zuhörer die Botschaft sehr viel häufiger ab als HIV-negative. HIV-Positive hat man über die Jahre offenbar so auf Kondomgebrauch getrimmt, dass sie fast beleidigt sind, als wollte man ihnen das Kondom wegnehmen. In „serodifferenten“ Partnerschaften hat der Positive oft sehr viel mehr Vorbehalte als der Negative und sagt: Alles schön und gut, aber vom Gefühl her ist es mir lieber, wir nehmen ein Kondom.

„Für ein paar Tage war mir mulmig zumute“

Haben Sie selbst an den Erkenntnissen nie gezweifelt?

Doch, es gab da einen Augenblick. Ich lebe selbst in einer serodifferenten Partnerschaft, mein Partner ist HIV-negativ. Er war von Anfang an einverstanden, dass wir Sex ohne Kondom haben. Vor ein paar Wochen fragt er mich eines Freitagabends: „Kannst du mal meinen Rücken anschauen? Da juckt es so.“ Ich habe sofort gesehen: Das wird eine Gürtelrose. Oh, oh, habe ich gedacht, hoffentlich ist da nichts passiert. Gürtelrose ist ja eine Krankheit, die auf HIV hinweisen kann. Der HIV-Test war dann negativ, aber für ein paar Tage war mir doch mulmig zumute.

Sie haben von Anfang an auf Kondome verzichtet. Worauf gründet Ihr Vertrauen?

Als das Thema 2008 durch die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen in die Öffentlichkeit kam, war ich mit einem positiven Partner zusammen. Wir brauchten also ohnehin keine Kondome. Als ich das Wissen dann mit meinem jetzigen Partner in die Tat umsetzen konnte, hatte ich mich damit schon lange beschäftigt. Aber wenn es meinem Partner mit Gummi lieber wäre, dann hätte ich das natürlich auch gemacht. Das ist einer der wichtigen Punkte: Die Entscheidung müssen beide Partner gemeinsam treffen.

 

Weitere Informationen zum Thema:

Schutz durch Therapie: Häufig gestellte Fragen (aidshilfe.de)

„Safer Sex geht auch anders“: Interview mit einem serodifferenten heterosexuellen Paar

„Kopf und Bauch werden sich einpendeln“: Interview mit einem serodifferenten schwulen Paar

Zurück

Glamour, Kitsch und ein geheimes Leben

Weiter

Europa testet

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

1 + 7 =

Das könnte dich auch interessieren