In Moskau versuchen die Behörden mit allen Mitteln, die am Mittwoch eröffneten „Russian Open Games“ zu verhindern. Eine Sportlerin des aus Berlin angereisten Teams von Discover Football hat in einem Telefonat mit Axel Schock die abenteuerlichen Umstände dieser ersten in Russland ausgetragenen internationalen LGBT-Sportveranstaltung geschildert

Am gestrigen Donnerstag sollte im Moskauer Hilton einer der Höhepunkte der ersten Russian Open Games stattfinden: eine Konferenz zu den Rechten von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans*- und Inter*-Menschen. Doch statt im Hotel saßen die aus ganz Russland und westlichen Ländern angereisten Sportlerinnen und Sportler zuletzt in einem Fastfood-Restaurant zusammen. Das Hilton hatte in letzter Minute abgesagt, ebenso wie die fest gebuchten Sportstätten und die Unterkünfte (ein Bericht dazu findet sich im queeren Online-Magazin siegessaeule.de). Die Organisatoren und Teilnehmer haben sich trotzdem nicht entmutigen lassen – und sind in den Untergrund gegangen. Sonja vom Berliner Discover-Football-Team erzählt, wie die Spiele unter diesen Umständen ablaufen:

Sonja, Discover Football ist die einzige deutsche Mannschaft bei den Open Games in Moskau. Wie hat euch die Stadt empfangen?

Sonja: Als uns die Veranstalter vom Bahnhof abholten, mussten sie uns leider mitteilen, dass wir keine Unterkunft mehr haben. Unser Hostel, das von uns gebucht und vorab auch schon bezahlt worden war, hatte die Reservierung ohne Begründung komplett gecancelt. Den aus Frankreich angereisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern war es ebenso ergangen.

Das war sicherlich kein Zufall.

Es ist vor allem kein Einzelfall. Auch die Räumlichkeiten für die Eröffnungsfeier der Open Games wurden kurzfristig gekündigt.

Logo der Russian Open Games
Queere Alternative zu Sotschi: die Russian Open Games (Grafik: Russian Open Games)

Wie geht man mit einer solchen Situation um?

Die Veranstalter haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, um uns doch noch eine Übernachtungsmöglichkeiten besorgen können. Die Eröffnung am Mittwochabend wurde kurzerhand in eine Bar verlegt. Allerdings durfte da nicht geklatscht werden.

Weshalb das?

Damit wir nicht durch Lärm auf uns aufmerksam machen. Wir haben uns dann beim Applaus mit dem entsprechenden Gebärdensprachen-Zeichen beholfen.

Am Donnerstag standen die ersten sportlichen Wettbewerbe, Badminton und Tischtennis, auf dem Programm.

Allerdings waren kurzfristig auch die Mietverträge mit den Sportstätten gekündigt worden …

Das heißt, die Wettbewerbe sind ausgefallen?

Nein, sie haben dann an einem neuen, geheimen Ort stattgefunden.

Von Polizei und Geheimdienst beobachtet

Wie muss man sich das vorstellen?

Wir Sportlerinnen und Sportler haben in der Nacht eine E-Mail bekommen, an welcher U-Bahn-Station wir uns treffen. Dort würde man dann zu einer bestimmten Zeit abgeholt und zu den Sportstätten gebracht – aufgeteilt in kleine Gruppen, damit dies möglichst unauffällig geschieht. Wir wurden eindringlich gebeten, dass wir niemandem die Orte mitteilen, auch nicht über SMS oder E-Mail.

Das heißt, die Open Games sind nun zu Under-Cover-Games geworden: Die Bevölkerung bekommt von der ganzen Sache gar nichts mit.

Das ist richtig. Es geht hier alles sehr konspirativ zu. Wir werden aber dennoch die ganze Zeit von der Polizei und vom Geheimdienst beobachtet.

Eisläufer
Eisige Zeiten für #LGBT-Rechte in Russland (Foto: Discover Football)

Beobachten die Polizisten nur oder greifen sie auch ein?

Es passieren dann solche Dinge wie auf der öffentlichen Eislaufbahn, wo wir uns am Donnerstag getroffen haben. Wir waren nicht als homosexuelle Gruppe zu erkennen, wir hatten also keine Regenbogenfahnen oder ähnliches dabei.
Als wir dort ankamen, wurden wir wieder weggeschickt, weil es angeblich technische Probleme gäbe. Also sind wir zu einer anderen Eisbahn gefahren, konnten dort etwa 20 Minuten aufs Eis und wurden dann wieder hinausgeschickt. Plötzlich gab es auch hier technische Probleme. Weil wir nicht sofort von der Eisbahn gegangen sind, kam ein Dutzend Polizisten, die uns aufforderten, das Gelände zu verlassen. Später sollte es eine Konferenz zu LGBTI-Rechten geben, doch an dem geplanten Ort wurde uns der Zutritt zum Gebäude verwehrt. Die Veranstaltung wurde dann an einen anderen Ort verlegt. Doch dort ging nach knapp zehn Minuten plötzlich das Licht aus, und wir saßen alle im Dunkeln. Die Veranstalter erhielten dann einen Anruf, und es wurde ihnen mitgeteilt, dass wir binnen zehn Minuten das Gebäude zu räumen hätten.

„Sie werden es nicht schaffen, diese Dinge aufzuhalten“

Wie fühlt man sich in einem solchen Moment?

Wir hatten natürlich Angst, dass womöglich in der nächsten Sekunde die Polizei hereingestürmt kommt. Wir haben uns dann in einem Fastfood-Restaurant getroffen. Dort hatten wir endlich die Möglichkeit, uns miteinander zu unterhalten. Am Freitag hätten wir eigentlich unser Fußballspiel, aber im Moment gibt es dafür noch keine Sportstätte. Ich habe den Eindruck, dass es für die Veranstalter immer schwieriger wird, Ausweichstätten zu finden. Wir gehen davon aus, dass die Polizei, sobald sie die neuen Veranstaltungsorte kennen, den Betreibern Druck machen, um uns wieder loszuwerden, zum Beispiel, indem sie den Strom abdrehen oder die Eisbahn wegen eines angeblichen Defekts schließen.

Wie viele Leute nehmen an den Open Games teil?

Es sind etwa 200 Menschen aus Russland dabei, hinzu kommen rund 30 aus anderen Ländern, aus Frankreich, Kanada, den USA und Niederlanden.

Team von Discover Football)
Das Team von Discover Football (Foto: Andre Fischer/Discover Football)

Das heißt, ihr stellt mit insgesamt 13 Frauen den Großteil der internationalen Gäste?

Ja, das ist richtig.

Habt ihr Angst, dass die Situation sich noch verschärfen könnte?

Man fühlt sich hier natürlich nicht sicher, sondern hat eigentlich immer ein leicht mulmiges Gefühl. Der Polizei mag es vielleicht gelingen, die sportlichen Wettbewerbe zu verhindern. Aber eines werden sie nicht schaffen: diese besondere Stimmung unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu zerstören. Es gibt ganz viel Solidarität, Vernetzung, Gespräche und Zusammenhalt. Sie werden es nicht schaffen, diese Dinge aufzuhalten.

 

Weiterführende Links:

Internetseite der Russian Open Games

Internetseite des Fußballteams Discover Football

Aktuelle Meldungen des Disover Football-Teams aus Moskau auf Facebook

Aktuelle Meldungen auf der Internetseite der „Siegessäule“

Julianne Moores Videobotschaft zu den Russian Open Games

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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