Der Weg dorthin kann für manche Frauen mit HIV langwierig sein (Abb.: Terre de Femmes)
Der Weg dorthin kann für manche Frauen mit HIV langwierig sein (Abb.: Terre de Femmes)

Dr. Annette Haberl ist Ärztin im HIV-Center am Universitätsklinikum Frankfurt und eine der renommiertesten Wissenschaftlerinnen im Arbeitsfeld „HIV und Frauen“. Diane Schöppe sprach mit ihr über Ausgrenzung, Gewalt und starke Frauen, die es schaffen, sich aus Abhängigkeiten zu befreien.

Frau Dr. Haberl, zu Ihnen kommen Frauen, die durch einen HIV-Test in der Schwangerschaft von ihrer Infektion erfahren haben. Wie wirkt sich die Diagnose aus?

Eine HIV-Erstdiagnose in der Schwangerschaft ist für die Frau und ihren Partner extrem belastend. An dieser Herausforderung kann eine Beziehung wachsen, aber auch zerbrechen. Wichtig ist, dass die Betroffenen mit ihren Fragen und Ängsten nicht alleine bleiben, sondern schnell kompetente Ansprechpartner finden.

Damit meine ich nicht nur Mitarbeiter aus dem Medizinbereich. Ein Austausch mit anderen HIV-betroffenen Familien kann gerade kurz nach der Erstdiagnose unglaublich viel bewirken. Niemand berichtet glaubwürdiger von einer Schwangerschaft mit HIV als Eltern, die es selbst erlebt haben. Die meisten HIV-positiv getesteten Frauen entscheiden sich übrigens nach ausführlicher Beratung für eine Fortsetzung der Schwangerschaft.

Welchem Druck sind HIV-positive Frauen in einer Partnerschaft ausgesetzt?

Nicht alle Frauen erleben ihre HIV-Infektion als negativen Faktor in der Partnerschaft. Es gibt zum Glück viele gut funktionierende Beziehungen mit oder auch trotz HIV. Schwierigkeiten tauchen dann auf, wenn es auch ohne HIV welche gegeben hätte. HIV kommt zu allen anderen Problemen einfach noch dazu.

„Schwierigkeiten tauchen dann auf, wenn es auch ohne HIV welche gegeben hätte“

Sehr gut lässt sich das bei Trennungen beobachten: Nehmen wir als Beispiel ein Paar, das nach einigen Jahren Beziehung außer zwei Kindern nichts mehr gemein hat. Der HIV-negative Mann versucht jetzt, seine Frau mit ihrer HIV-Infektion unter Druck zu setzen. Er droht mit der Bekanntmachung ihrer Diagnose beim Vormundschaftsgericht und will so erreichen, dass sie bereits im Vorfeld auf ihr Sorgerecht verzichtet. Diesen Druck muss die Frau erst einmal aushalten. Wenn sie anders als erwartet reagiert, wird der Noch-Ehemann gewalttätig.

Dr. Annette Haberl (Foto: bmg bund)
Dr. Annette Haberl (Foto: bmg.bund.de)

Ist Gewalt eher selten oder häufig Thema in der Ambulanz?

Häusliche Gewalt thematisieren Patientinnen eher selten. Natürlich gibt es jene Fälle, wo einfach nicht zu übersehen ist, dass jemand misshandelt wurde. Dann spreche ich das Thema aktiv an. Viel häufiger merkt man aber in der Sprechstunde, dass eine Frau noch ein Problem mit sich herumträgt, über das sie offensichtlich nur schwer sprechen kann. Vor allem Gespräche über sexuelle Gewalt gestalten sich oft schwierig, weil hier intimste Details in Sprache gepackt werden müssen.

„Oft geht es um Demütigungen, also um psychischen Druck“

Wenn HIV-positive Frauen über Beziehungsprobleme sprechen, geht es oft um Demütigungen, also um psychischen Druck. HIV ist dann oft ein zusätzlicher Faktor, der als Druckmittel eingesetzt wird.

Welche Mechanismen in einer Partnerschaft können zu Gewalt führen?

Was Männer zu Tätern macht, darüber kann ich nur spekulieren. Häufig scheint mir die Angst vor dem Verlust der Partnerin Auslöser für häusliche Gewalt zu sein. Das würde zumindest die Häufung von Tätlichkeiten im Kontext einer Trennung erklären. Ansonsten wird Gewalt sicherlich auch zur vermeintlichen Lösung von Konflikten eingesetzt. Der Mann demonstriert seine körperliche Dominanz – aus seiner Sicht ein Zeichen von Stärke. Die Unfähigkeit, Konflikte anders als durch Gewalt zu lösen, wird von ihm leider nicht als Schwäche angesehen.

Wie ist die Situation von HIV-infizierten Frauen?

Sie unterscheidet sich bei uns nicht grundsätzlich von der Situation von Frauen insgesamt. Ich sehe in meiner Sprechstunde Frauen, die in Führungspositionen arbeiten, wie auch Patientinnen, die finanziell gerade so über die Runden kommen. Die letztgenannte Gruppe ist allerdings deutlich größer.

Vor allem Alleinerziehende berichten oft von schwierigen Lebensumständen. Sie wollen ihren Kindern möglichst viel bieten und stellen deshalb ihre eigenen Bedürfnisse hintan. Ich kenne Mütter, die ihren Lebensunterhalt nur durch mehrere Jobs bestreiten können. Das ist für niemanden auf Dauer gesund, schon gar nicht für Menschen mit einer chronischen Erkrankung wie HIV.

„Die Angst vor Bekanntwerden der Diagnose kann sogar ein Grund sein, auf Arztbesuche zu verzichten“

Viele HIV-positive Frauen haben einen Migrationshintergrund. Zu allen Herausforderungen, die das Leben im „neuen“ Land ohnehin schon mit sich bringt, kommt dann noch die HIV-Infektion dazu. Vor allem für Frauen aus Ländern südlich der Sahara kann das enorm belastend sein, weil sie bei Bekanntwerden der Diagnose die Ausgrenzung aus ihrer Community befürchten müssen. Die Angst davor kann sogar ein Grund sein, auf Arztbesuche und Therapie zu verzichten. Man könnte ja im Wartezimmer jemanden treffen, der einen kennt.

Im Internet findet man zum Thema HIV und Gewalt gegen Frauen meist Beiträge zur Situation in afrikanischen Ländern.

In Deutschland sind rund 20 % der mit HIV lebenden Menschen Frauen, in den Ländern Subsaharas sind Frauen dagegen die Hauptbetroffenengruppe. Es liegt also nahe, dort auch Untersuchungen durchzuführen, die beispielsweise genderspezifische Risikofaktoren für eine HIV-Infektion herausarbeiten.

„Das HIV-Risiko ist erhöht für Frauen, die bei der Sexualität nicht selbst entscheiden können“

Ein wesentlicher Faktor, der die Situation von Frauen im HIV-Kontext beeinflusst, ist die wirtschaftliche Abhängigkeit von Männern. Diese führt vor allem in armen Ländern mit traditionellen Rollenbildern zu asymmetrischen Beziehungen, die Frauen ein selbstbestimmtes Leben unmöglich machen können. Auch das Risiko einer HIV-Infektion ist erhöht für Frauen, die bei der Sexualität nicht selbst entscheiden können. Safer Sex bleibt hier graue Theorie.

(Abb.: Thorsten Feyer, pixelio.de)
Gewalt gegen Frauen mit HIV ist ein weltweites Phänomen (Abb.: Thorsten Feyer, pixelio.de)

Und in Deutschland?

Gewalt gegen Frauen mit HIV – mit und ohne Migrationshintergrund – gibt es auch in Deutschland. Im Vordergrund steht nicht unbedingt körperliche Gewalt, auch wenn es diese Fälle durchaus gibt, sondern ein psychischer Druck, dem die Frauen in ihren Beziehungen oft über lange Zeit ausgesetzt sind. Irgendwann haben sie dann selbst das Gefühl, weniger wert zu sein als andere Frauen, allein weil sie HIV-positiv sind. Manche glauben, da müsse man schon mal „was einstecken“ können, schließlich bleibe der Partner ja trotz der „schlimmen Sache“ bei einem.

„Irgendwann glauben sie dann selbst, weniger wert zu sein als andere Frauen“

In Unterstützungsangebote für HIV-positive Frauen, die häusliche Gewalt erfahren, sind sie oft schwer zu vermitteln, denn ihre Partner kontrollieren sehr genau, mit wem sie Kontakt haben. Ich habe selbst schon erlebt, dass Patientinnen nicht mehr zu mir kommen durften, weil ich sie an Beratungsstellen vermitteln wollte.

Gibt es auch Studien, wonach HIV-positive Frauen häufiger Gewalt erleben als HIV-negative?

In der Tat zeigen Studienergebnisse, dass das weltweit der Fall ist. Zahlen, die Deutschland im internationalen Vergleich abbilden, sind mir allerdings nicht bekannt.

In einem Interview sagten Sie mal, es werde einfach nicht gesehen, dass sich auch jemand mit einer gewöhnlichen Biografie infizieren kann. HIV werde immer mit Drogengebrauch oder einem ausschweifenden Sexualleben assoziiert. Gilt Ähnliches für den Zusammenhang „HIV-Vulnerabilität und Gewalt“?

Wenn wir das Thema „Sex und HIV“ schon an den Rand der Gesellschaft schieben, wird das bei „Sex, HIV und Gewalt“ nicht anders sein. Das ist ja noch schlimmer, und damit will man nun wirklich nichts zu tun haben. Wenn ich dann aber an die HIV-positiven Frauen denke, die sexuelle Gewalt erlebt haben, sehe ich „die Frau von nebenan“. Und das macht es den Betroffenen vielleicht auch so schwer, sich jemandem anzuvertrauen. Sie passen nicht ins Bild.

(Foto: piranja, pixelio.de)
Auf dem schwierigen Weg in ein selbstbestimmtes Leben wird Unterstützung gebraucht (Foto: piranja, pixelio.de)

Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Gewalt und erhöhter HIV-Vulnerabilität?

Den gibt es. Wenn Frauen nicht mehr selbstbestimmt über ihre Sexualität entscheiden können, sind sie gegebenenfalls Praktiken ausgesetzt, die ein erhöhtes HIV-Übertragungsrisiko bergen.

Wie kann man Frauen unterstützen, aus gewalttätigen Beziehungen herauszukommen?

Der Ausstieg aus solchen Beziehungen kann für die Betroffenen langwierig und schwierig sein. Wichtig ist es aus meiner Sicht, ihnen in dieser Zeit einen geschützten Raum anzubieten, in dem sie jederzeit offen über ihre Situation sprechen können. Isolation ist das Schlimmste, was ihnen passieren kann. Sie brauchen Kontakte nach außen, und oft sind Arztbesuche die einzige Möglichkeit, dem häuslichen Alltag zu entkommen.

In Frankfurt haben wir glücklicherweise in der Ambulanz eine psychosoziale Beratungsstelle, ein spezielles Angebot für Migrantinnen und Migranten, außerdem regelmäßige Frauentreffen. Die Patientinnen können diese Möglichkeiten nutzen, um sich auszutauschen und weitere Hilfsangebote kennenzulernen.

Frauen mit Gewalterfahrungen sind traumatisiert und brauchen Unterstützung. Häufig geben sie sich selbst die Schuld an dem, was passiert ist. Der Weg zurück in ein selbstbestimmtes Leben mit unbeschwerter Sexualität ist in der Regel lang. Ich durfte aber im Lauf der Jahre erstaunliche Entwicklungen miterleben, und die meisten meiner Patientinnen sind selbstbewusste, starke Frauen, die ihr Leben ziemlich gut im Griff haben.

Frau Dr. Haberl, vielen Dank für das Gespräch!

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