Katzenfisch1Ein bisschen Chaos herrscht selbst in den besten Familien. Doch was passiert, wenn eine alleinerziehende Mutter an Aids erkrankt ist? Der mexikanische Spielfilm „Der wundersame Katzenfisch“ erzählt von den Grenzen des familiären Zusammenhalts. Von Axel Schock

Fette Würste oder unnütze Creme? So ziemlich die spannendsten Momente im Leben der Supermarktangestellten Claudia (Ximena Ayala) sind morgens, wenn sie erfährt, welchen Kram sie heute an ihrem Sonderverkaufsstand den Kunden anpreisen muss. Einsam, menschenscheu und ein wenig linkisch erscheint Claudia in den ersten Filmszenen, und auch recht verschroben. Eine Frau, die morgens beim Frühstücken die lilafarbenen Froot-Loops-Kringel aus dem Müsli fischt und fein säuberlich auf ihrem Kopfkissen drapiert.

Doch als sie wegen einer Blinddarmentzündung ins Krankenhaus muss, liegt sie ausgerechnet Bett an Bett mit Martha (Lisa Owen). Deren Leben ist im Gegensatz zu Claudias ein einziger Trubel. Vier Kinder von drei verschiedenen Vätern lärmen und streiten am Bett der alleinerziehenden Mutter.

Einzelgängerin trifft auf Chaosfamilie

Die älteste Tochter Alejandra (Sonia Franco) hat Liebeskummer, die übergewichtige und suizidgefährdete Wendy (Wendy Guillén) bekämpft ihren Kummer mit Essen, Mariana (Andrea Baeza) hat hingegen ganz offenbar eine Essstörung, und das bettnässende Nesthäkchen Armando (Alejandro Ramirez Muñoz) schläft auch schon mal unterm Krankenhausbett der Mutter.

Eine ungewöhnliche Patchwork-Familie
Eine ungewöhnliche Patchwork-Familie

Claudia beobachtet das alles mit großen, wachen Augen und – wie auch die Kamera – mit einem abwartenden, distanzierten Blick. Aber eh sie sichs versieht, wird sie von Martha in dieses quirlige Familienleben hineingezogen. Eigentlich sollte sie am Tag der Entlassung nur den Jungen in ihrem leuchtend gelben VW-Käfer nach Hause bringen. Aber wenn sie dann schon mal da ist, kann sie doch auch gleich mitessen. Und weil’s schon so spät geworden ist, auch übernachten.

Wie unterschiedlich die Welten dieser beiden Frauen sind, macht die mexikanische Regisseurin Claudia Sainte-Luce in ihrem ersten berührenden wie ermutigenden Langfilm allein schon durch die Kameraarbeit immer wieder deutlich. Sobald die Perspektive vom ruhigen, teilnehmenden Blick Claudias auf die Familie wechselt, streunt die Handkamera rastlos durch das kleine Reihenhaus.

In einer langen, wie improvisiert wirkenden, in Wahrheit aber auf den Punkt getimten Einstellung fängt sie die Aufgabenteilung des perfekt eingespielten Familienlebens ein. Während zu Beginn dieses Rundgangs Martha noch am Herd steht, ist sie zum Ende wortlos im Badezimmer verschwunden.

 Alltagskatastrophen und Pubertätsnöte

Dass sie sich dort übergibt, ist lediglich zu hören; was es bedeutet, erschließt sich, wie vieles in diesem detailreichen Film, in seiner Tragweite erst einige Zeit später. Da liegt die Sterbenskranke erneut im Krankenhaus – und hat für sich längst klammheimlich entschieden, Claudia zur Ersatzmutter ihrer Kinder zu machen.

Ab an den Strand: Eine letzte gemeinsame Reise
Ab an den Strand: Eine letzte gemeinsame Reise

Dass Martha an den Folgen von Aids leidet, hat zu diesem Zeitpunkt der Handlung auch Claudia und mit ihr der Zuschauer erfahren. Aber in dieser steten Kette kleiner Alltagtagskatastrophen, komischer Situationen und Pubertätssorgen der Kinder ist das fast schon wieder vergessen.

Martha, die sich bei ihrem letzten, bereits verstorbenen Lebensgefährten infiziert hat, möchte ihre Krankheit so gut als möglich vor den Kindern verbergen, während diese versuchen, ihre Verlustängste zu verdrängen. Nicht immer gelingt das. Die Filmemacherin Sainte-Luce aber ergießt sich weder in sentimentalen Szenen, noch gönnt sie ihren Figuren ein allzu tröstliches Happy End.

Das wahrhaftige Leben, und dem ist ihr bereits mehrfach ausgezeichneter Film sichtlich verpflichtet, kennt solche einfachen Lösungen nicht. Ihr Film sei „irgendwo zwischen Drama und Komödie“ zu verorten, sagt Claudia Sainte-Luce. „Komödie, weil die Protagonisten versuchen, ihr Pech mit Humor zu nehmen. Drama, weil sie keine andere Wahl haben. Wir sind alle auf uns allein gestellt, aber die Begegnung mit einer Person, die die gleichen Gefühle teilt, kann das Leben um einiges leichter machen.“

„Der wundersame Katzenfisch“ (Los insólitos peces gato), Mexiko 2013. Regie: Claudia Sainte-Luce. Darsteller: Ximena Ayala, Lisa Owen, Sonia Franco, Wendy Guillén, Andrea Baeza, Alejandro Ramirez Muñoz. 89 Minuten, Kinostart: 10. Juli.

Link zum Trailer des Films

 

 

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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