Der Zugang zur medizinischen Versorgung ist bei Drogen Gebrauchenden teilweise unzureichend. Zu diesem Schluss kommt das Robert-Koch-Institut in seinem neuesten Epidemiologischen Bulletin. Woran das liegen könnte, hat Frauke Oppenberg erkundet.

Wie das Robert Koch-Institut (RKI) in seinem Epidemiologischen Bulletin vom 30. Juni 2014 feststellt, nutzen bei Weitem nicht alle Menschen mit HIV die Vorteile einer antiretroviralen Therapie. Das RKI stützt sich dabei auf die beobachtete Entwicklung der Aids-Erkrankungen. Da durch eine rechtzeitig begonnene Therapie ein Fortschreiten der Infektion weitgehend verhindert werden kann, zeigen die Erkrankungszahlen, für welche Gruppen es Probleme beim Zugang zum HIV-Test oder in der medizinischen Versorgung gibt.

Als besonders alarmierend ist den Forschern dabei eine Zahl ins Auge gefallen: Bei 60 Prozent der zwischen Januar 2011 und Dezember 2013 an Aids erkrankten Drogenkonsumentinnen und -konsumenten war die HIV-Infektion schon länger bekannt – eine um das Sechsfache höhere Rate als bei allen anderen Betroffenengruppen. Das RKI geht deshalb davon aus, dass besonders intravenös Drogen gebrauchende Menschen oftmals nicht den Weg in eine kompetente medizinische Betreuung finden.

„Das ist doch ein Nebenkriegsschauplatz!“

Dr. Jörg Gölz kann sich diese Zahlen nicht erklären. Der Allgemeinmediziner behandelt im Berliner Praxiszentrum Kaiserdamm vor allem HIV-positive Patienten und substituierte Drogen Gebrauchende. „Das ist doch ein Nebenkriegsschauplatz!“, kommentiert Gölz beinahe empört die Aussagen des RKI. Bei keiner anderen Risikogruppe funktioniere die medizinische Versorgung wie auch die Prävention so gut wie bei den intravenös injizierenden Konsumenten, erklärt Gölz. „Wir wären froh, wenn das auch bei anderen Gruppen so wäre.“ Allerdings kommen in seine Praxis auch nur substituierte oder abstinente Patienten. Dass ein HIV-positiver Drogenkonsument die Substitution ablehne und deshalb den Gang zum Arzt scheue, hält der Mediziner für möglich. „Aber das ist reine Spekulation. Dazu gibt es keine Zahlen.“

„Die Leute, die wir erreichen, sind medizinisch versorgt“

Auch Astrid Leicht vom Berliner Suchthilfeverein Fixpunkt kann nur rätseln, was positive Drogen Gebrauchende von einer Therapie abhalten könnte. „Die Leute, die wir erreichen, sind medizinisch versorgt“, sagt die Geschäftsführerin. „Aber das sind nun mal nicht alle.“ Astrid Leicht vermutet, bei psychischen Problemen oder persönlichen Krisen werde eine laufende antiretrovirale Therapie möglicherweise abgebrochen. Wissen kann sie es nicht.

Das Robert Koch-Institut
Das RKI in Berlin beschäftigt sich besonders mit der Epidemiologie von Infektionskrankheiten

Das Angebot von Fixpunkt ist bewusst niedrigschwellig angelegt. Der Verein bietet zum Beispiel Drogenkonsumräume oder Sucht- und Gesundheitsberatung. Wenn aber jemand keine Hilfe in Anspruch nehmen möchte, bleibt der Grund dafür im Dunklen. Und das gilt ebenso bei einer fehlenden HIV-Therapie. Auf der Straße lebende Drogenkonsumenten zu erreichen, hat auch für Martin Hilckmann die oberste Priorität. Er ist fachlicher Leiter beim Berliner Träger zik, der seit 25 Jahren wohnungslosen Menschen mit HIV und Suchtproblemen vor allem mit betreutem Wohnen hilft.

Wem es am Notwendigsten mangelt, kümmert sich zuletzt um die Gesundheit

„Wer kein Dach über dem Kopf hat, kein Geld in der Tasche, nichts zu beißen und dazu auch noch süchtig ist, der kümmert sich zuletzt um seine ärztliche Versorgung“, erklärt Martin Hilckmann die Bedürfnishierarchie seiner Klientel. Für ihn ist daher zuvorderst wichtig, bei HIV-positiven Drogenkonsumenten die Grundbedürfnisse zu befriedigen. Seien sie erst einmal im Hilfesystem, könnten die dort Beschäftigten sie auf das Thema „antiretrovirale Therapie“ ansprechen, so Hilckmann. „Aber außerhalb unseres zik-Kosmos haben wir wenig Zugang zu ihnen.“ Hilckmann kommt es vor allem darauf an, dass man den Menschen auf Augenhöhe begegnet. Er mahnt eine akzeptierende Drogenarbeit an: „Das gehört dazu, um Hilfe erfolgreich und wirksam anbieten zu können.“

„Unkenntnis und unerfahrene Ärzte in ländlichen Regionen“

Dass solche Angebote auf dem Land fehlen, zeigen die Zahlen des Robert-Koch-Instituts. 42 Prozent der an Aids erkrankten Drogenkonsumenten, deren HIV-Status bereits länger bekannt war, leben in Städten mit weniger als 250.000 Einwohnern. „Unkenntnis und unerfahrene Ärzte in ländlichen Regionen“, das sind auch die einzigen Gründe, die sich Dr. Jörg Gölz vorstellen kann, weshalb HIV-positive Drogen Gebrauchende nicht antiretroviral behandelt werden. Es gibt allerdings auch Menschen, die innerhalb des Hilfesystems durchs Raster fallen und keinen Zugang zu einer ausreichenden medizinischen Versorgung haben. „Problemfälle sind Migrantinnen und Migranten ohne Krankenversicherung“, berichtet Astrid Leicht von ihrer Arbeit bei Fixpunkt. Immer öfter treffe das auf HIV-positive Drogen Gebrauchende aus Osteuropa zu. Auch in die Migrantenberatung von zik kommen immer wieder Menschen, die „in jeder Hinsicht unterversorgt sind“, sagt Martin Hilckmann und vermutet, dass auch sie in der RKI-Statistik eine Rolle spielen könnten.

„In jeder Hinsicht unterversorgt“

Die Zahlen scheinen das zu bestätigen: Fast jeder dritte an Aids erkrankte Drogenkonsument kommt laut Epidemiologischem Bulletin nicht aus Deutschland. Ob der HIV-Status dieser Menschen schon lange bekannt ist, die Infektion im Ausland erworben wurde oder es sich um Spätdiagnosen handelt, geht aus den RKI-Zahlen allerdings nicht hervor.

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