Durch wirksame Therapien können HIV-Positive ein weitgehend „normales“ Leben führen, und Menschen mit chronischer Hepatitis C haben dank neuer, gut verträglicher Medikamente Aussicht auf Heilung. Doch nicht alle profitieren vom Fortschritt.

Den Blick auf jene, die durchs Raster fallen, richtet am Samstag, dem 20. September, die diesjährige Berliner Tagung „HIV im Fokus“. Veranstaltet wird sie unter anderem von der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG), der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter (dagnä) und dem Berliner Arbeitskreis AIDS.

Da sind zum Beispiel die Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen oder in benachbarten Ländern innerhalb der Europäischen Union oder an der Grenze zur EU leben. Initialzündung für diesen ersten Themenschwerpunkt der Tagung, so der Berliner Infektiologe Christoph Weber vom Vorbereitungsteam, sei der Protest der Flüchtlinge vom Berliner Oranienplatz gewesen. Er habe der seit Jahren gärenden Flüchtlingsproblematik neue Brisanz verliehen.

Nötig ist Druck auf die Politik, auch aus dem Gesundheitswesen

Die Weigerung der Politik, dieses immer drängender werdende Problem auf die Tagesordnung zu setzen, bringt die behandelnden Ärzte immer wieder aufs Neue in Gewissensnot. Denn Menschen ohne Aufenthaltstitel steht nur im Notfall medizinische Versorgung zu (und selbst dann müssen sie damit rechnen, dass die behandelnden Einrichtungen ihre Daten an die Ausländerbehörde weitergeben).

Bei chronischen Erkrankungen wie HIV oder bei Krebs versuchten engagierte Kollegen zwar, vieles möglich zu machen. „Doch angesichts der ökonomischen Zwänge, unter denen auch die Krankenhäuser stehen, ist dies kaum zu stemmen“, erklärt Weber. Sein Fazit: „Der Druck auf die Politik darf nicht nur von den Flüchtlingen selbst, sondern muss auch von anderen gesellschaftlichen Gruppen kommen“ – das Gesundheitswesen und die dort Verantwortlichen und Beschäftigten eingeschlossen.

Auf dem Podium werden daher unter anderem Heinz-Jochen Zenker von Ärzte der Welt, Annette Haberl von der Deutschen AIDS-Gesellschaft, Keikawus Arastéh (Vivantes Auguste-Viktoria-Klinikum) und der niedersächsische Landtagsabgeordnete Belit Onay (Bündnis 90/Die Grünen) über den anonymen Krankenschein diskutieren. In Niedersachsen wird gerade ein Modellprojekt auf den Weg gebracht. Alle angefragten Regierungspolitiker auf Bundesebene dagegen haben bezeichnenderweise abgesagt.

Hepatitis-C-Behandlung: Was ist uns Gesundheit wert?

Ob auch der Pharmakonzern Gilead in letzter Minute kneift und dem Fachtag fernbleibt, wird abzuwarten sein – der Hersteller des neuen Hepatitis-C-Medikaments Sofosbuvir wird international heftig wegen seiner Preispolitik kritisiert.

„Die Hepatitis-C-Eradikation oder wer ist uns 100.000 Euro wert?“ lautet denn auch der provokative Titel der zweiten Podiumsrunde. Sie beschäftigt sich mit der Frage, welche Kriterien über den Zugang von Patienten zu den neuen, teuren Medikamenten entscheiden: medizinische Gründe, die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Einzelnen oder des Gesundheitssystems? Und welche Rolle spielen dabei die Interessen der Pharmazeutische Industrie?

Sparmaßnahmen gefährden die Gesundheit

Sprengstoff bietet auch die dritte Veranstaltung dieses Fachtages unter dem Titel „Austerity kills! oder Eure Versorgung können wir uns sparen …“. Hintergrund sind die Sparmaßnahmen, die Ländern wie Griechenland oder Spanien im Zuge der Eurokrise auferlegt wurden. Sie haben dort zu einer radikalen Verschlechterung der Gesundheitsversorgung geführt – und auch zu höheren HIV-Infektionszahlen. Erstmals in der Geschichte Europas wurde in diesem Zuge auch Gelder für die Behandlung von HIV-Patienten gekürzt.

Ganz anders, aber nicht weniger alarmierend ist die Situation in der Ukraine. Aufgrund enger Verbindungen des Auguste-Viktoria-Klinikums zum Partnerkrankenhaus Donezk wird es auf der Tagung ungefilterte Berichte aus erster Hand über die Lage im Krisengebiet geben – auch darüber, wie es um die Versorgung der geschätzt über 350.000 HIV-Patienten in der Ukraine steht.

Noch ist völlig unklar, welchem Schicksal diese Menschen zusteuern, sollte sich das hochverschuldete Land deren Behandlung nicht mehr leisten können. Einen Vorgeschmack darauf gab die Einstellung der Substitutionsprogramme auf der Krim nach der Annexion durch Russland.

Neue Zahlen, Lageberichte und Einschätzungen für die nahe Zukunft werden dazu unter anderem Diego Garcia von der European AIDS Treatment Group, Spyros Kriezis (Positive Voice) sowie Igor Oliynyk und Nicolas Cantau vom Global Fund liefern.

Der Eintritt zu allen drei Veranstaltungen dieses Fachtages ist frei. Die Anmeldung ist online möglich.

 

 

Zurück

HIV-PrEP: Warum spricht kaum jemand über die Frauen?

Weiter

Kenia: HIV-PrEP für besonders gefährdete Gruppen

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

8 + = 18

Das könnte dich auch interessieren