Unter einem Dach mit den Eltern beziehungsweise Schwiegereltern: Steven (30) und sein Partner Basti (29) wohnen in einer ungewöhnlichen WG am Berliner Stadtrand. Dass Steven HIV-positiv ist, spielt dabei heute kaum noch eine Rolle. Frühere Mitbewohner waren da nicht so entspannt.

Steven (30) und Basti (29) sind seit Juni ein Paar und zogen schon im September zusammen – unter ein Dach mit Stevens Eltern. Steven arbeitet als Sachbearbeiter bei einem Paketdienstleister, Basti studiert Gesundheits- und Pflegemanagement. Wir treffen die beiden in der Küche ihres Einfamilienhauses in Berlin-Mahlsdorf, einer Neubausiedlung an der Grenze zu Brandenburg.

Ein schwules Paar wohnt zusammen mit den Eltern beziehungsweise Schwiegereltern. Ist das eine echte Wohngemeinschaft?

Steven: Naja, „Gemeinschaft“ vielleicht in Anführungszeichen. Wir können uns gut zurückziehen, weil wir hier im Haus jeweils eine Etage haben, mit getrennten Bädern. Dafür teilen wir uns aber die Küche. Hier kann keiner sagen: „Ok, wir sauen mal alles ein und räumen nicht mehr auf.“

Basti: (lacht) In meiner alten WG hat mein Mitbewohner, glaube ich, zwei Mal sauber gemacht – in drei Jahren!

Hast du immer bei deinen Eltern gewohnt, Steven?

Steven: Nein, ich habe zwischendurch in Österreich gearbeitet, war dann mit meinem damaligen Freund im Berliner Stadtteil Wedding, habe anschließend mit meiner besten Freundin in Marzahn gewohnt. Dann hatten meine Eltern einen Unfall, und wir haben gesagt: Keine getrennten Wohnungen mehr, wir bauen ein Haus. Damit jemand da ist, wenn mal was ist. Noch ist das nicht dringend nötig, aber meine Mutter klagt häufig über Schmerzen.

Basti, wie ist das für dich, mit den Schwiegereltern zusammen zu wohnen?

Basti: An sich gut, nur ab und zu ist die Stimmung ein bisschen angeschlagen. Wenn man Schmerzen hat, ist man nicht so gut gelaunt.

Frühstückt ihr zusammen oder esst ihr abends gemeinsam?

Steven: Wir arbeiten alle zu unterschiedlichen Zeiten. Ein gemeinsames Frühstück klappt nur am Wochenende.

Als du vor 15 Jahren erfahren hast, dass du HIV-positiv bist, hast du noch mit deinen Eltern zusammengelebt. Hast du ihnen direkt von deiner Infektion erzählt?

Steven: Ja, das ging gar nicht anders. Weil ich noch minderjährig war, mussten die Eltern informiert werden, das schreibt das Gesetz vor. Sie mussten dann beim nächsten Arzttermin dabei sein.

Wie haben sie die Nachricht aufgenommen?

Steven: Tja, wie fassen Eltern das auf? Erst ist der der Sohn schwul, dann ist er positiv. Da ist, glaube ich, niemand begeistert. Sie haben aber versucht, gefasst zu reagieren.

Es gab keine Tränen im Sprechzimmer?

Steven: Nein, jedenfalls nicht von meinen Eltern. Ich war der, der aufgelöst war. Meine Eltern haben das eher im Verborgenen mit sich ausgemacht. Sie haben gehofft, ich würde das nicht so richtig mitbekommen.

Du hast es aber trotzdem bemerkt.

Steven: Ja, natürlich. Sie wussten nicht wirklich, wie sie damit umgehen sollten. Ich selbst musste das auch erst mal herausfinden. Ich hatte Angst, denn damals war noch nicht so klar, dass man mit den Tabletten alt werden kann. Und ich habe mich auch gefragt, wie das Leben weitergeht. Wie gehen meine Freunde damit um, wie Kollegen, wie ein zukünftiger Partner? Wem kann ich es sagen und wann?

Und zu Hause? War euch von Anfang an klar, wo ihr aufpassen müsst und wo nicht?

Steven: Im Zusammenleben ging es recht flott, dass wir uns keine Gedanken mehr gemacht haben. Wir haben weiter so zusammengelebt wie vorher auch. Es gab auch bald wieder Familienfeiern und wir haben gemeinsam über meine berufliche Zukunft nachgedacht.

Wie habt ihr zu dieser Normalität gefunden?

Steven: Mein Arzt hatte damals meinen Eltern direkt gesagt: Im Alltag kann nichts passieren. Wir sollten eher aufpassen, dass ich meine Medikamente regelmäßig nehme.

Die reine Information ist oft das eine, das Gefühl das andere. Habt ihr mal einen Schrecken bekommen, zum Beispiel, wenn du dich beim Kochen geschnitten hast?

Steven: (lacht) Ich bin eher dieser Dosen- und Mikrowellenmensch, von daher passiert sowas nicht. Einen Schrecken gab es an anderer Stelle: Bevor ich von der Diagnose erfahren habe, hatte ich mit meinem damaligen besten Kumpel Blutsbrüderschaft geschlossen. Da kam dann kurz Panik auf. Zum Glück war die Blutmenge sehr gering, und es ist nichts passiert.

Basti, wie war das für dich, als du erfahren hast, dass Steven HIV-positiv ist?

Basti: Ich kannte davor schon HIV-Positive, das Thema war mir also nicht ganz fremd. Und Steven ist auch sehr offen damit umgegangen.

Hast du neu über das Thema nachgedacht, als es ums Zusammenziehen ging?

Basti: Nö. In meiner alten WG hatte ich es meinen Mitbewohnern auch gesagt, als Steven zu Besuch kam. Da war die Situation schwierig. Meine Mitbewohnerin war relativ aufgeklärt, aber mein Mitbewohner hat uns ziemlich gemieden und mir dann auch bald die Kündigung auf den Tisch geknallt. „Liebe ist scheiße!“, hat er gesagt.

Vielleicht habt ihr ihm einfach zu viel rumgeturtelt?

Basti: Ja, das war der offizielle Grund. Generell hatten wir aber nicht viel miteinander zu tun. Shampoo und ähnliches habe ich lieber mit aufs Zimmer genommen, weil er sonst alles mitbenutzt hätte.

Steven (lacht): Wenigstens hatte er keine Angst davor, irgendwas von mir zu benutzen!

Steven, hast du in den anderen WGs allen von deiner Infektion erzählt?

Steven: Ja, habe ich. Nach meiner Diagnose haben wir erst beschlossen, dass wir die für uns behalten. Aber irgendwann wollte ich nicht mehr so ein Geheimnis mit mir herumtragen. Deswegen wussten es alle meine Mitbewohner und natürlich auch meine beste Freundin, mit der ich später zusammengewohnt habe.

Wie waren da die Reaktionen?

Steven: Ich habe im Wedding mit meinem Freund in einem Pfarrhaus zur Untermiete gewohnt, zusammen mit sechs weiteren Mitbewohnern. Da habe ich schon gemerkt, dass die mich ein bisschen gemieden haben. Wenn wir in der Küche waren, war kaum mal jemand von den anderen da.

Hat man dir gegenüber Ängste artikuliert?

Steven: Nicht wirklich. Wobei es etwa im Bad auch nichts gab, was man hätte teilen können, außer der Badewanne und dem Klo selbst. Den Rest hatten alle in ihren Kulturbeutelchen und gingen damit in ihre Zimmer.

Und in der Küche?

Steven: (lacht) Mein Freund hat immer gekocht.

Du lässt echt immer die anderen kochen. Basti, trifft es jetzt dich?

Basti: Hier ist es schwierig, an den Herd zu kommen.

Steven: Es ist Mamas Herd.

Nochmal zu den WGs: Hatte deine beste Freundin Ängste?

Steven: Nein, die war ganz ruhig. Wir haben zum Beispiel auch mal zusammen in einem Bett geschlafen. Und wenn wir Besuch hatten und die typische Frage aufkam, ob man aus dem gleichen Glas trinken könne, dann war sie diejenige, die auf den Tisch gehauen hat.

Ist HIV hier im Haus eigentlich überhaupt noch ein Thema?

Steven: Nur, wenn es um meine Laborwerte geht. Ich habe zum Beispiel gerade nach über zehn Jahren auf neuere Medikamente gewechselt, weil die alten zu starke Nebenwirkungen hatten. Da musste sich dann erst mal zeigen, ob die neue Therapie wirkt und die Viruslast niedrig bleibt. Das bringt Ängste mit sich.

Habt ihr Tipps für Menschen, die gerade mit HIV-positiven Menschen zusammenziehen?

 Steven: Grundsätzlich ist Informationsaustausch immer das Wichtigste. Da sollte man auch Anlaufstellen nutzen, zum Beispiel die Online-Angebote von der AIDS-Hilfe.

Basti: Leider ist die Gesellschaft noch nicht so weit, dass Positive einfach offen mit der Infektion umgehen können. Viele ziehen sich darum eher zurück und sagen lieber nichts. Die Gesellschaft muss sich so weit öffnen, dass sich die Leute trauen, offen und ehrlich über ihre Infektion zu sprechen!

Interview: Tobias Sauer

Dieses Interview ist Teil der Welt-Aids-Tags-Kampagne „Positiv zusammen leben“

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1 Kommentar

  1. „Im Alltag kann nichts passieren“
    gibt es anno 2014 nicht dringendere themen als noch dem letzten zurückgebliebenen zu sagen, dass im alltag nix passiert? die aidshilfe ist echt in den 1980ern stehengeblieben!

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