Asylsuchende und Illegalisierte haben kaum Chancen auf eine HIV-Therapie – mit diesem Thema beschäftigten sich auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der letztjährigen „Positiven Begegnungen“ in Kassel.

(Dieser Beitrag von Steffen Taubert erschien erstmals im life+MAGAZIN der Deutschen AIDS-Hilfe zu den Positiven Begegnungen 2014 in Kassel.)

„Was, Abschiebung? Der Brief kann nicht für mich sein. Seit 15 Jahren bin ich schon in Deutschland“, ruft Winnie laut. Die beiden Polizisten bleiben jedoch ungerührt, halten Winnie an den Armen fest und führen die 44-jährige Frau aus Afrika ab. Geschehen auf Europas größter Selbsthilfekonferenz „Positive Begegnungen“ 2014 in Kassel – zum Glück nur auf der Bühne. Zum ersten Mal eröffneten die Positiven Begegnungen nicht nur mit freundlichen Grußworten, sondern stiegen mit szenischem Theater der Gruppe Afro-Leben plus gleich ins Politische ein.

Von Abschiebung bedroht sind in Deutschland alle Menschen, die keine gültige Aufenthaltsgenehmigung haben oder deren Asylantrag abgelehnt wird. Antje Sanogo, Leiterin des Beratungsteams der Münchner AIDS-Hilfe, erläutert in einem Workshop der Positiven Begegnungen, wie sie Migrantinnen und Migranten in Notlagen begleitet und medizinische Versorgung organisiert.

Angst vor Abschiebung verhindert Gesundheit

Grundsätzlich können in Deutschland auch Menschen ohne Papiere eine medizinische Behandlung erhalten, wenn sie sich an ein Sozialamt wenden und ihre Situation schildern. Der Haken dabei ist, dass die Sozialämter die persönlichen Daten automatisch an die Ausländerbehörde weiterleiten, die dann sofort eine Abschiebung veranlassen kann. Kein Wunder, dass sich illegal in Deutschland Lebende kaum freiwillig an Gesundheits- und Sozialämter wenden, auch wenn sie – auf dem Papier – ein Recht auf medizinische Behandlung haben. Aus demselben Grund gehen viele auch nicht zum HIV-Test ins Gesundheitsamt, weil sie der zugesicherten Anonymität nicht trauen. Migrantinnen und Migranten stellen mittlerweile den größten Anteil der „HIV-Late-Presenters“, also derjenigen Menschen mit HIV, die erst sehr spät von ihrer HIV-Infektion erfahren.

Eine Alternative bieten die sogenannten Medibüros (www.medibueros.org). Die dort arbeitenden Ärzte und Ärztinnen leisten unentgeltlich medizinische Hilfe, ohne viel zu fragen. Die Medibüros geben auch Medikamente ab, die sie von Apotheken zum Einkaufspreis erhalten. Weil sie aber auf Spenden angewiesen sind, können sie teure Therapien in der Regel nicht bezahlen. In Notfällen können sich Menschen ohne Papiere auch im Krankenhaus behandeln lassen. Denn nach dem sogenannten verlängerten Geheimnisschutz dürfen Krankenhäuser personenbezogene Daten nicht an die Ausländerbehörden weitergeben. Medibüros und Krankenhäuser sind daher vor allem Anlaufstellen für Notfallbehandlungen, weniger für eine HIV-Therapie.

Die HIV-Infektion kann ein Abschiebehindernis darstellen

Um in Deutschland eine HIV-Therapie zu ermöglichen, muss in der Regel Kontakt mit den Sozialbehörden aufgenommen werden. Das kann aber auch Vorteile haben, weil die HIV-Infektion ein Abschiebehindernis darstellen kann. „Es gibt Länder wie etwa Nigeria, in denen bestimmte HIV-Medikamente einfach nicht durchgängig erhältlich sind“, erklärt Antje Sanogo. Um Stellungnahmen für Klienten zu verfassen, ermittelt sie auch schon mal die Medikamentenpreise und die Löhne in afrikanischen Ländern und weist nach, dass Betroffene mit durchschnittlichem Einkommen sich diese Präparate einfach nicht leisten können. Ihre einzelfallbezogenen Stellungnahmen haben die Münchner Ausländerbehörde schon häufig überzeugt und dazu geführt, dass Anträge auf Feststellung eines Abschiebehindernisses Erfolg hatten. „Entscheidend ist, dass die Anträge persönlich sind“, sagt Sanogo.

Konnte eine Abschiebung verhindert werden, muss mit den Behörden weiterverhandelt werden, denn nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden nur medizinische Basisleistungen gewährleistet. Probleme gibt es zum Beispiel bei der Finanzierung von Zahnersatz oder Prothesen. In den meisten Bundesländern müssen sich die Betroffenen außerdem für jeden Gang zum Arzt einen Behandlungsschein vom Sozialamt abholen.

Kein Arztbesuch ohne Behandlungsschein vom Sozialamt

Das ärgert Workshopteilnehmerin Sandra Gödicke, die als Sozialarbeiterin der AIDS-Hilfe Leipzig seit vielen Jahren Migrantinnen und Migranten berät. Nicht nur, dass Nicht-Medizinerinnen und -Mediziner über die Notwendigkeit medizinischer Leistungen mitbestimmen: für eine Behandlung sind auch unzumutbar viele Wege nötig. „Erst zum Sozialamt, dann zum Arzt und dann vielleicht noch einmal zum Sozialamt, wenn der Arzt weiterführende Behandlungen vorhat. Das ist eine große Belastung, in ländlichen Regionen allein schon wegen der Fahrkarten, die sich Menschen ohne Einkommen nicht leisten können“, sagt Sandra Gödicke.

Der Workshop endet mit einer verhalten positiven Grundstimmung. Ja, man kann etwas tun, und gutes Sachwissen hinsichtlich der rechtlichen Schlupflöcher hilft. Doch für Antje Sanogo soll es nicht dabei bleiben. Kämpferisch fordert sie volle medizinische Versorgung für alle Migrantinnen und Migranten in Deutschland: „Es geht nicht darum, für Menschen ohne Papiere eine Parallelstruktur zur Versorgung aufzubauen, sondern darum, sie in die Regelversorgung zu bekommen.“ Außerdem müsse die Pflicht der Sozialbehörden, Daten an die Ausländerbehörden weiterzuleiten, abgeschafft werden. „Nur so wird man erreichen, dass sich Migrantinnen und Migranten rechtzeitig behandeln lassen und auch offener mit einer chronischen Erkrankung wie der HIV-Infektion umgehen.“

Steffen Taubert

 

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