Wie sieht die Situation von Frauen mit HIV weltweit aus? Und was braucht es, um deren Rechte sicherzustellen? Mit diesen Fragen hat sich die britische HIV-Organisation Salamander Trust in einer Studie beschäftigt. Von Frauke Oppenberg

In Deutschland leben etwa 15.000 Frauen mit HIV, das sind nicht ganz 20 Prozent aller HIV-Positiven. Frauen mit HIV sind bei uns also in der Minderheit. Schaut man sich aber den gesamten Globus an, sind die Relationen ganz andere.

„50 bis 55 Prozent der Erwachsenen mit HIV/Aids weltweit sind Frauen“, betont Alice Welbourn, Direktorin des Salamander Trust, einer britischen Organisation, die die globale Situation von Frauen mit HIV erforscht. Nicht nur stellten Frauen eine knappe Mehrheit, sie trügen auch die Hauptlast der HIV-Epidemie, so Welbourn, weil sich viele neben der Bewältigung der eigenen Infektion zudem um erkrankte Partner, Kinder und Familienangehörige kümmerten. Die Gesundheit von Frauen mit HIV ist daher nicht „nur“ fundamental für das Wohlbefinden der Frauen selbst, sondern auch für deren Familien.

In seiner jüngsten Studie hat der Salamander Trust gemeinsam mit internationalen Partnern wie zum Beispiel dem Globalen Netzwerk für Menschen mit HIV (GNP+) die Antworten von 832 Frauen aus 94 Ländern ausgewertet, die im vergangenen Jahr an einer Online-Befragung teilgenommen haben. Es ist die bislang größte Studie, die gesundheitliche und menschenrechtliche Lebenswirklichkeiten von Frauen mit HIV beleuchtet.

 Schon das Fundament hat Risse

„Natürlich sind 832 Befragte verglichen mit der weltweiten Zahl der HIV-positiven Frauen nicht viel, aber wir sehen es als die Spitze des Eisbergs“, sagt Welbourn. Die Erfahrungen der Frauen, die sie befragt haben, seien zwar nicht repräsentativ, machten aber bereits sehr deutlich, dass es viele Schwierigkeiten gebe.

Das „sichere Haus auf festem Boden“
Das „sichere Haus auf festem Boden“

„Building a safe house on a firm ground“ („Ein sicheres Haus auf festem Boden bauen“) lautet der Titel des 72 Seiten starken Papiers, das die Ergebnisse der Studie zusammenfasst. Ein eindrucksvolles Bild, das die Autorinnen hier gewählt haben. Es verdeutlicht, was gebraucht wird, um die sexuellen und reproduktiven Rechte sowie die Menschenrechte von Frauen mit HIV sicherzustellen.

Das „sichere Haus“, das die Studie entwirft, besteht aus drei Grundsteinen, vier Wänden und fünf Elementen, die das Dach bilden. Nur wenn das Fundament fest ist, können die Wände nicht wackeln, und erst wenn die sicher stehen, kann auch das Dach gebaut werden. Eins baut auf dem anderen auf. Und wie die Autorinnen der Studie festgestellt haben, hat derzeit schon das Fundament Risse.

So berichteten viele der befragten Frauen von Diskriminierung und Stigmatisierung – zum Beispiel im Gesundheitswesen. Die medizinische Versorgung konzentriere sich oftmals auf Frauen im gebärfähigen Alter und vernachlässige Frauen ohne Kinder oder Ältere. Einige der Frauen berichteten von Versorgungslücken und voreingenommenem Gesundheitspersonal, einige sogar von Misshandlungen.

Ein fundamentales Anliegen war den befragten Frauen der Faktor Sicherheit: 89 Prozent haben bereits Gewalt erlebt oder befürchten müssen, so ein Ergebnis der Studie. Nicht selten führte erst diese Gewalt zu einer Infektion mit HIV. „Vor meiner Diagnose war ich Opfer von verschiedenen Arten von Gewalt, psychisch wie physisch. Meine Partner waren Alkoholiker und Machos. Dadurch habe ich mich mit verschiedenen sexuell übertragbaren Krankheiten angesteckt, auch mit HIV“, zitieren die Autorinnen eine Studienteilnehmerin aus El Salvador.

 Sicherheit, Unterstützung und Respekt für alle Frauen!

Gewalterfahrungen wie diese ziehen sich wie ein blutroter Faden durch alle Kapitel des Studienberichts. Sicherheit, Unterstützung und Respekt für alle Frauen – mit ihren verschiedenen Lebenshintergründen und egal, welchen Alters – bilden laut den Autorinnen daher die Grundbausteine für das Fundament des „sicheren Hauses“.

Darauf aufbauend braucht es selbstverständlich Mauern: Diese stehen für schützende Gesetze, Gleichberechtigung der Geschlechter, gesellschaftliche Teilhabe von Frauen mit HIV und die Verwirklichung von Menschenrechten. Viele Frauen wüssten nicht, wie sie sich gegen Gewalt und Diskriminierung zur Wehr setzen können, heißt es in der Auswertung. Anderen fehle der Mut dazu.

Erst wenn diese grundsätzlichen Forderungen erfüllt sind – oder, um im Bild zu bleiben, wenn Fundament und Mauern stehen –, können Frauen mit HIV grundlegenden Bedürfnissen und Ansprüchen nachgehen. Diese haben die Autorinnen der Studie in fünf Kapitel unterteilt. Sie bilden die fünf Dachelemente des „safe house on a firm ground“: ein glückliches Sexualleben, die Möglichkeit, schwanger werden zu können und gesunde Kinder zur Welt zu bringen, finanzielle Sicherheit, mentale Gesundheit und eine HIV-Therapie mit möglichst wenigen Nebenwirkungen.

Die Realität sieht leider anders aus. Über 80 Prozent der befragten Frauen berichteten von Depressionen, Schamgefühlen und Gefühlen der Zurückweisung. Fast ebenso viele litten unter einem geringen Selbstwertgefühl, Einsamkeit und Angst. Etliche berichteten den Verlust oder Rückgang ihrer Libido – entweder als Auswirkung der HIV-Infektion und der damit verbundenen psychischen und körperlichen Belastungen oder zum Beispiel als Nebenwirkung der antiretroviralen Therapie.

 Die Studienergebnisse sollen in die WHO-Leitlinie einfließen

Auftraggeberin der Studie ist die Weltgesundheitsorganisation WHO, die ihre Leitlinie für die Versorgung, Behandlung und Unterstützung von Frauen mit HIV in ressourcenärmeren Settings aktualisieren möchte. Von Anfang an sollten die Betroffenen einbezogen werden, weshalb Frauen mit HIV nicht nur befragt wurden – entwickelt und durchgeführt wurde die Untersuchung ebenfalls von Frauen, die HIV-positiv sind. Nur so kann die Weltgesundheitsorganisation eine Leitlinie entwerfen, die sich tatsächlich an den Wünschen und Bedürfnissen derjenigen orientiert, um die es geht. „Ich hoffe wirklich, dass dies der Beginn für einen neuen Weg ist“, zitiert der Studienbericht eine der befragten Frauen, „Würde und Respekt sollten der neuen Richtlinie zugrunde liegen“.

Alice Welbourn vom Salamander Trust ist stolz und glücklich, dass die WHO diese Studie bei ihnen in Auftrag gegeben hat. „Es ist das erste Mal, dass ein Komitee der Weltgesundheitsorganisation in diesem Maße die Interessen einer Patientengruppe erfragt. Wir hoffen natürlich, dass alle unsere Empfehlungen in die neue Leitlinie einfließen.“ Doch das sei noch ein langer Prozess, meint Welbourn. Bis zu zwei Jahre werde die Kommission für die Überarbeitung benötigen, schätzt sie. Aber das Ergebnis bedeute für Frauen mit HIV weltweit eine Menge.

 

„Ich habe nie daran gedacht, dass es HIV sein könnte“ (Frauen und HIV 1, erschienen am 6. März 2015)

„Wir müssen Frauen mit HIV stärken“ (Frauen und HIV 2, erschienen am 7. März 2015)

„Das sind meist einfach nur Frauen, die ein Kind kriegen“ (Frauen und HIV 3, erschienen am 8. März 2015)

„Ängstlich gekommen und großartig beschenkt nach Hause gefahren“ (Frauen und HIV 4, erschienen am 10. März 2015)

„Wir brauchen mehr frauenspezifische Forschung!“ (Frauen und HIV 5, erschienen am 12. März 2015)

„Die, die es wissen müssen, wissen es – sonst rede ich nicht darüber“ (Frauen und HIV 6, erschienen am 15. März 2015)

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Über

Frauke Oppenberg

Frauke Oppenberg ist seit 1992 als freie Journalistin tätig. Derzeit arbeitet sie vorwiegend für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ARD) als Moderatorin und Autorin von Radio- und Fernsehbeiträgen.

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