„Dieses Magazin wurde mit dem Blut HIV-positiver Menschen gedruckt“ – diese Titelzeile auf dem Lifestlye-Blatt Vangardist sorgt zurzeit für heftige Diskussionen. Wir sprachen mit Chefredakteur Julian Wiehl.

„This magazine has been printed with the blood of HIV+ people” verspricht das Cover einer Sonderausgabe des zweisprachigen Lifestyle-Magazins Vangardist aus Österreich. Und darunter doppeldeutig: „Now the issue is in your hands“ (Übersetzt: „Jetzt liegt die Ausgabe/das Thema in deinen Händen“)

Das Vangardist-Team will so die Diskussion über HIV wieder in die Öffentlichkeit bringen und etwas gegen die Stigmatisierung von Menschen mit HIV unternehmen. Die Aktion, an der auch eine Werbeagentur beteiligt ist, hat polarisiert: Die Reaktionen auf der Facebook-Seite der Deutschen AIDS-Hilfe reichen von „Bin begeistert“ und „Endlich mal etwas Wagemut und Chuzpe“  bis zu „Wie krank ist das denn?“.

JulianWiehl
Julian Wiehl mit „infizierter Ausgabe“

Erstmal: Herzlichen Glückwunsch! Der „Vangardist“ ist in aller Munde. Ist das Ziel der Übung damit erreicht?

Julian Wiehl: Nein. Es ist super, dass so viel über die Kampagne berichtet wird, schließlich war es unser Ziel, HIV wieder in die Medien zu bringen. Aber der Kampf ist damit nicht abgeschlossen, sondern hat, glaube ich, erst begonnen. Wenn mehr Menschen aufstehen und sagen „Ich setze mich für eine stigmafreie Gesellschaft ein“, sind wir einen Schritt weiter.

Wer hatte die Idee zur Kampagne?

Die Agentur Saatchi & Saatchi. Die hatten das Konzept, eine Print- Anzeige mit Blut von HIV-Positiven zu drucken, bei einer großen deutschen Firma eingereicht, der das zu heiß war. Wir haben davon gehört und fanden die Idee großartig. Also haben wir sie in Zusammenarbeit mit Saatchi & Saatchi adaptiert.

Man muss schon ein bisschen lauter trommeln, wenn man zu Diskussionen anregen will.“

War Ihnen die Idee nicht auch ein bisschen zu heiß?

Wir haben uns gedacht: Wir stehen für „progressive Men“ und „progressive Publishing“, also krempeln wir die Ärmel hoch und gehen die Sache einfach mal an. Und es hat ja geklappt: HIV hatte dieses Schock-Moment, mit dem man heute in die Medien kommt, lange nicht mehr. Man muss schon ein bisschen lauter trommeln, wenn man zu Diskussionen anregen will.

Sehen Sie sich mit dieser Kommunikationsstrategie in der Tradition von ACT UP?

Nein. Wir sind keine Aktivisten, Ärzte oder Sozialarbeiter. Wir sind Publizisten. Und wir glauben daran, dass wir mit unseren Mitteln etwas bewirken können, wenn es um HIV und Aids geht. Einfach, indem wir unsere ureigenen Potentiale nutzen, Themen setzen und Informationen weitergeben. Weil die Kampagne etwas ganz Anderes ist, entsteht vielleicht auch bei denen, die sie wahrnehmen, so etwas wie eine neue Sprachfähigkeit und ein neuer Weg, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Zumindest hoffen wir das.

Wie viel Mühe hat es gekostet, die Blutspender zum Mitmachen zu bewegen?

Wir hatten Glück, so schwer war das gar nicht. Wir wollten eine Frau, einen schwulen und einen heterosexuellen Mann, damit niemand sagen konnte: „Da geht es nicht um mich“. Wir haben die drei gefragt, dann haben sie einmal darüber geschlafen und zugesagt. Weil sie gesehen haben, dass sie damit wirklich was bewegen können.  Alle drei engagieren sich auch sonst für das Thema, was uns sicher geholfen hat.

Über wie viel Blut reden wir eigentlich genau?

Wir haben von jedem Spender ungefähr 60 Milliliter Blut genommen, dann ungefähr 100 Milliliter davon den 2,5 Kilo roter Druckerfarbe beigegeben und damit 3.000 Hefte gedruckt. Die Blutmenge auf und in jedem Heft ist also sehr, sehr klein.

Es ist eine Plastikhülle, kein Kondom!“

Warum müssen Sie dann auf dem ersten Seiten des Magazins gleich dreimal darauf hinweisen, dass das Blut pasteurisiert ist, man sich also garantiert nicht anstecken kann? Ist das nicht kontraproduktiv?

Vielleicht. Und ich hätte das auch nicht gemacht. Aber, es gibt rechtliche Vorschriften, an die wir uns halten müssen, vor allem Saatchi & Saatchi. Das Heft erscheint auch in Ländern, in denen die Rechtslage sowas erfordert. Der Gesamtaktion tut das keinen Abbruch, denke ich.

Wenn das Heft nicht ansteckend ist, warum wird es in ein Kondom verpackt?

(lacht) Es ist eine Plastikhülle, kein Kondom. Und wir wollen diesen Bruch. Mit dem Aufreißen der Verpackung, ist Lärm verbunden. „Break the silence, break the stigma!“, so unser Slogan.

Das Echo auf die Ausgabe war und ist bislang sehr breit, von Begeisterung bis zu kompletter Ablehnung. Ich knall Ihnen jetzt einfach mal die häufigsten Reaktionen vor den Latz und Sie sagen etwas dazu, okay?

Sehr gern.

„Damit schürt man Ängste!“

Darum geht es nicht. Ich habe auch seit Tagen viel von dem Echo in den sozialen Medien wahrgenommen und muss sagen: Wir sind eigentlich ganz zufrieden. Denn es geht doch um genau die, die dann solchen Blödsinn schreiben wie „Das sind Mörder, die bringen Menschen in Gefahr, da könnte man sich ja anstecken.“ Wenn dann jemand darunterschreibt „Jetzt mach mal halblang und informier dich vernünftig!“, befinden wir uns eigentlich schon mitten in einem Aufklärungsgespräch. Da sieht man doch ganz klar: Hier fehlen Informationen, die demjenigen oder derjenigen jetzt von anderen angeboten werden. Das baut dann seine Angst ab. Ist doch super.

Viele Positive haben begeistert auf die Kampagne reagiert.“

„Das ist eklig und viel zu drastisch!“

Es gibt Methoden, mit denen man Aufmerksamkeit sehr sicher erreicht. Die kann man drastisch oder wirksam nennen. Unser Ziel war es, das Thema in die Medien zu bringen und die Diskussion wieder anzuregen. Wir haben in wenigen Tagen unglaublich viel gutes Feedback  von HIV-Positiven bekommen, viele waren begeistert und einige haben sich sogar bedankt. Es sind meiner Meinung nach eher die HIV-Negativen, die da furchtsam sind und glauben, das könnte in die falsche Richtung kippen und die Kampagne zu angstbesetzt sehen.

Aber wer soll mit der Kampagne denn erreicht werden, nicht informierte HIV-Negative oder HIV positive Aktivisten?

Wir wollen sie alle erreichen und miteinander ins Gespräch bringen. Vielleicht kann die Mehrheit ja was von der Minderheit lernen, wenn es um den entspannten Umgang mit dem Thema geht. Dieser Überzeugung bin ich jedenfalls.

Ein weiteres Wort, das man in den negativen Reaktionen auf die Kampagne immer wieder findet, ist „geschmacklos“. Was sagen Sie Leuten, die Ihnen sagen „Mit Blut spielt man nicht!“?

Ich hab einfach nicht so den Bezug zu Blut …

„Wer offen mit seiner HIV-Infektion umgeht, ist für mich ein Held.“

Sie haben sechs Liter, wie alle anderen auch.

(lacht) Es ist für mich aber einfach keine heilige Kuh und kann für gute Sachen auch mal zweckentfremdet werden.

Also ist es ein Spiel mit dem Symbolsaft Blut?

Nein, es ist eine ganz ernste Sache.

Der „Vangardist“ ist ein Hochglanzmagazin. Wie ernst kann die Sache da sein?

Sehr. Wir haben für diese Ausgabe extra auf die üblichen Hochglanzmätzchen verzichtet. Es ist keine Person auf dem Cover, kein schöner Mensch. Das ist eine sehr bewusste Entscheidung gewesen. Wir haben die gesamte grafische Gestaltung der Ausgabe dem Thema untergeordnet.

Und warum sind HIV-Positive „Heroes“, wie Sie schreiben?

Es ist nicht das Positivsein, das sie zu Helden macht, sondern der offene Umgang damit. Denn der erfordert ja wegen des Stigmas auch heute noch Mut. Wer den aufbringt, ist für uns ein Held, weil er dadurch auch gleich die Welt verändert. Er hilft Menschen, sich in der Reaktion auf ihn ihren eigenen Ängsten im Umgang mit HIV zu stellen. Vielleicht findet er oder sie das nicht bemerkenswert, aber für mich ist die Person ein Held. Vergleichbare Prozesse sieht man auf Youtube jeden Tag: Menschen tun etwas für sie völlig Normales, retten eine Katze von einem Baum, helfen einer Oma über die Straße, geben einem Obdachlosen was zu essen und lösen damit bei anderen Menschen eine Reaktion aus, die deren Denken beeinflusst. Und helfen damit auch noch ganz vielen anderen Leuten …

Wie verkauft sich das Heft denn bisher?

Gut. Was super ist, weil wir mit den 3000 Exemplaren der Sonderausgabe ja Geld für Aids-Organisationen sammeln, zum Beispiel für die Deutsche AIDS-Hilfe. Der Gewinn der mit der Ausgabe erwirtschaftet wird, geht direkt in Charity. Alles andere wäre auch inkonsequent.

Interview: Johann Elle-Marten

www.vangardist.com

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