Hubert Wimber war 6.481 Tage oder 17 Jahre und neun Monate Polizeipräsident in Münster. Seit Anfang Juni ist er im Ruhestand – und will sich nach einer Phase der Entschleunigung auch weiterhin für die Legalisierung von Drogen einsetzen.

Herr Wimber, Sie sind seit drei Tagen Polizeipräsident a.D., also im Ruhestand. Was machen Sie jetzt, was hat sich geändert?

Zunächst mal kann ich morgens ein bisschen länger schlafen, auch wenn ich schon bisher nicht zu völlig „unchristlichen“ Zeiten aufgestanden bin. Aber ich bin nicht so der Morgentyp, arbeite lieber abends länger. Dann werde ich in der nächsten Zeit vor allem aufräumen. Und natürlich stehen auch ein paar Termine an, zum Beispiel Einladungen zu Vorträgen bei Drogenhilfevereinen. Und gleich mache ich erst mal mit meiner Frau und Freunden eine Radtour durchs schöne Münsterland – das Wetter ist herrlich, wenn ich Sie mal ein bisschen neidisch machen darf.

Ach, hier in Berlin ist auch herrlichster Sonnenschein, nur leider kein Feiertag wie bei Ihnen, wo ja an Fronleichnam frei ist. Aber zurück zum Thema. Was macht so ein Polizeipräsident oder eine Polizeipräsidentin eigentlich?

„Ein Polizeipräsident sollte sich für eine Kultur der Fehlerkorrektur engagieren“

In erster Linie ist das ein Management-Job. Es geht um die Leitung einer Behörde, also auch die Personalführung, in Münster zum Beispiel für rund 1.800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Außerdem habe ich diese Behörde repräsentiert und auch in Gremien auf kommunaler, regionaler und Landesebene vertreten.

Müssen Polizeipräsidenten, wenn sie sozusagen Gesicht und Stimme der Polizei in die Gesellschaft hinein sind, eigentlich auch für das Verhalten ihrer Untergebenen geradestehen? Ich denke da an die Ermittlungen wegen fremdenfeindlicher Facebook-Posts von Beamten der Bundespolizei Hannover.

Für dieses Verhalten müssen die Beamten selbst geradestehen, aber ein Polizeipräsident oder eine Polizeipräsidentin sollte sich meiner Meinung nach für eine Kultur der Fehlerkorrektur engagieren. Manchmal herrscht nämlich noch der alte Korpsgeist im Sinne von „Wir halten zusammen, uns kann keiner“. Die Polizei verkörpert aber geradezu das staatliche Gewaltmonopol und in einer demokratischen Gesellschaft auch den rechtsstaatlichen Umgang miteinander. Das heißt: Auch die, die das Recht durchsetzen sollen, stehen nicht über dem Recht. Und es heißt auch: Der Zweck heiligt nicht alle Mittel.

„Engagement für eine Kultur der Fehlerkorrektur“, das klingt nach einem persönlichen Schwerpunkt. Inwieweit konnten Sie aber in Ihrer Arbeit überhaupt eigene Schwerpunkte setzen? Werden die großen Linien nicht vom Innenministerium bestimmt?

Hubert Wimber
Hubert Wimber

Sicher, aber trotzdem kann man Schwerpunkte je nach der Lage vor Ort definieren und das Personal dementsprechend einsetzen. In Münster zum Beispiel war eines meiner Themen der Anstieg der Wohnungseinbrüche. Die Zahlen haben sich in den letzten Jahren fast verdoppelt – das sind richtige Rollkommandos, die wie Heuschrecken über die Orte herfallen. Und mir lag die Verkehrssicherheit insbesondere von Radfahrern sehr am Herzen. Münster hat ja einen sehr hohen Anteil von Radfahrern, und die fahren nicht nur über rote Ampeln, sondern werden auch oft Opfer von Verkehrsunfällen.

Verkehrsunfälle ist ein gutes Stichwort. Wenn man dem Wikipedia-Artikel zu Ihrer Person Glauben schenken darf, haben Sie mal gefordert, dass die Polizei keine Blechschäden mehr aufnehmen muss, weil der Aufwand viel zu groß sei. Wollen Sie die Polizei vor Arbeit schützen?

Nein, es geht mir um Aufgabenkritik – die Aufgaben der Polizei werden mehr, während das Personal tendenziell weniger wird. Wenn aber Aufgaben hinzukommen – als Beispiel mag Internetkriminalität genügen –, dann müssen andere Aufgaben neu bewertet werden. Dazu zählen für mich auch die Verkehrsunfälle ausschließlich mit Sachschäden, bei denen die Polizei viel Arbeit in die Unfallaufnahme steckt. Dies dient aber in erster Linie der Dokumentation des Sachverhalts für die zivilrechtliche Regulierung, und die machen ja meistens zwei Versicherungen unter sich aus. Wo ist hier das Interesse des Staates und der Polizei? Und auch über andere Aufgaben, die der Polizei eher nur aus Traditionsgründen zufallen, muss man meiner Meinung nach sprechen. So werden zum Beispiel die Erwartungen an die „Sicherheit“ immer höher, etwa rund um Fußballspiele.

„Im Großteil der Cannabisfälle arbeitet die Polizei für den Papierkorb“

„Aufgabenkritik“ ist ein guter Begriff. Sind Sie deshalb auch für die Legalisierung von Cannabis, für die Sie sich ja schon 2010 eingesetzt haben? Um die Arbeit zu reduzieren, die in die strafrechtliche Verfolgung der sogenannten Betäubungsmittelkriminalität fließt?

Das ist ein Aspekt. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik hatten wir 2013 rund 190.000 Delikte rund ums Betäubungsmittelgesetz, 145.000 waren Cannabisdelikte. Im Großteil der Cannabisfälle, in rund 80 Prozent, sieht aber die Staatsanwaltschaft nach Paragraf 31a des Betäubungsmittelgesetzes von der Strafverfolgung ab – sprich: die Polizei arbeitet für den Papierkorb. Dabei kosten die ganze Strafverfolgung, die Justiz und der Justizvollzug enorme Summen, einer Studie aus dem Jahr 2007 zufolge drei bis vier Milliarden Euro. Für Beratung, Therapie und Rehabilitation dagegen gibt der Staat weniger als zwei Milliarden aus – wobei die Drogenhilfe chronisch unterfinanziert ist.

Ein anderer Aspekt ist mir aber wichtiger. Aus meiner langjährigen Erfahrung kann ich sagen, und dem stimmen fast alle Expertinnen und Expertinnen auch aus dem internationalen Raum zu, dass die Strafbarkeit nicht nur extreme Kosten verursacht, sondern überhaupt keine positiven Wirkungen hat. Wichtige Bereiche werden überhaupt nicht angegangen: So gibt es keinerlei Produktkontrolle, also keinen Verbraucherschutz, und es gibt keinen Jugendschutz.

Sie sprachen von Ihrer eigenen Erfahrung – wie sieht denn die „Drogen-Lage“ in Münster eigentlich aus?

In Münster haben wir relativ stabil mit ungefähr 1.000 Leuten auf der sogenannten offenen Drogenszene zu tun – und Cannabis ist praktisch überall verfügbar, vom Schulhof bis zu den bekannten Umschlagplätzen.

„Legalisierung heißt für mich Entkriminalisierung und Regulierung“

Wo wir gerade dabei sind: Haben Sie selbst auch mal Cannabis oder andere Drogen probiert? Sie müssen darauf nicht antworten …

Kein Problem. Ich habe Anfang der 70er-Jahre in Göttingen studiert und damals zweimal Cannabis genommen. Aber das hatte bei mir keine euphorisierende Wirkung, und ich hab’s gelassen. An anderen Drogen ist eigentlich nur Alkohol zu nennen …

Danke – und zurück zum Thema Legalisierung. Wie darf ich mir das vorstellen? Jeder kriegt jeden Stoff, den er will?

Nein, ganz und gar nicht. Legalisierung heißt für mich Entkriminalisierung und Regulierung. Es gibt ja Modelle dafür, zum Beispiel die Abgabe nur an Erwachsene in Apotheken oder in Drogen-Fachgeschäften, mit einer Qualitätskontrolle der Substanzen und Beratung.

Und was ist mit den Jugendlichen? Drogen probiert man doch häufig gerade in der Phase des Heranwachsens aus, wo man mit sich selbst, seinem Platz in der Welt und eben auch mit Drogen experimentiert.

Sehr richtig, deswegen müsste auch viel mehr für die Aufklärung getan werden, denn nur so lässt sich ein mündiger Umgang mit Drogen lernen. Damit lässt man die Kinder aber allein. Und so geraten sie in die Mühlen des Justizsystems, statt dass man ihnen viel mehr Informationen, Beratung und Hilfe anbietet. Hier sollte man das Geld investieren, das nach einer Legalisierung von Cannabis – um damit anzufangen – „frei“ wird. Und natürlich in Beratungs-, Hilfs- und Schadensminderungsangebote für Leute, die mit ihrem Drogenkonsum nicht zurechtkommen. Die gibt es bei allen Drogen, auch bei Alkohol oder Tabak, aber der Großteil, sagen wir 95 Prozent, konsumiert unauffällig.

Drogenkunde in die Lehrpläne? So ähnlich wie die Vermittlung von Lebensweisenakzeptanz und Akzeptanz sexueller Vielfalt? Hört sich nicht gerade nach einem Gewinnerthema an …

Ich glaube an den mündigen Bürger – und daran, dass er mit Drogen informiert und selbstbestimmt umgehen kann. Dazu braucht man aber Informationen über Wirkungen, Nebenwirkungen und Risiken – am besten auch in Lehrplänen verankert. Aber hierfür gibt es in absehbarer Zeit wohl keine breitere gesellschaftliche Unterstützung. Deswegen bin ich auch überzeugt, dass wir nur etwas über eine Änderung des Betäubungsmittelrechts erreichen, und dazu müssen wir die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag ändern. Und auch wenn eine Enquetekommission zur Änderung des Betäubungsmittelrechts, wie sie die große Mehrheit der deutschen Strafrechtsprofessoren fordert, erst mal vom Tisch ist, so gibt es doch immer mehr positive Signale, mittlerweile sogar vom Wirtschaftsflügel der CDU.

„Nur durch Aufklärung lässt sich ein mündiger Umgang mit Drogen lernen“

Vom Wirschaftsflügel? Haben die keine Angst, dass alle plötzlich nur noch kiffen und die Wirtschaftsleistung einbricht?

Offenbar nicht … (lacht) Im Ernst: Die Erfahrungen aus Ländern oder US-Bundesstaaten, in denen Marihuana legalisiert oder faktisch legalisiert ist, sind anders: Die Wirtschaftsleistung bricht nicht ein – im Gegenteil: Der Anbau, die Verarbeitung, die Kontrolle und der Verkauf zum Beispiel von Cannabis kann sogar ein blühender Wirtschaftszweig werden und jede Menge Steuereinnahmen bringen, wie die US-Bundesstaaten Colorado und Washington zeigen.

Im Übrigen sind das eigentliche Problem die volkswirtschaftlichen und auch sozialen Schäden durch Alkohol. Denken Sie nur an die über 70.000 alkoholbedingten Todesfälle jedes Jahr, an die von Gruppen ausgehende Gewalt rund um den Fußball oder auch an häusliche Gewalt unter Alkoholeinfluss. Hier müsste man meiner Meinung nach ran, zum Beispiel durch eine deutliche Erhöhung der Alkoholsteuer.

Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag – wie wollen Sie das erreichen?

Durch sachliche Information und persönliche Gespräche. Und mit der nun anstehenden Gründung des deutschen Ablegers von LEAP mit mir als Vorsitzendem [Anm. d. Red.: LEAP steht für „Law Enforcement Against Prohibition“, etwa „Gesetzeshüter gegen Drogenverbote“]. Das war eigentlich schon für den letzten Herbst geplant, aber mein damaliger Dienstherr, der nordrhein-westfälische Innenminister, hat mir damals untersagt, ehrenamtlicher Vorsitzender von LEAP Deutschland zu werden. Wir peilen das jetzt für den Herbst dieses Jahres an – aber vorher will ich erst mal ein bisschen „entschleunigen“.

Dafür wünschen wir Ihnen die nötige Muße – und hoffen, wieder von Ihnen und Ihrem Engagement zu hören! Vielen Dank für das Gespräch!

Gerne!

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Über

Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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