DAH-Drogenreferent Dirk Schäffer über sein Leben mit der Droge, die fatalen Folgen der Strafverfolgung und die Wende durch Substitution

Dies ist keine Lebensgeschichte wie aus der Bild-Zeitung. Keine zerrütteten Familienverhältnisse, keine klassische Drogenkarriere von Cannabis zum Heroin. Im Folgenden stelle ich ganz nüchtern den Lebensweg eines jungen Mannes vor, der sich Mitte der 1980er-Jahre dazu entschied, eine Substanz auszuprobieren, deren Konsum geächtet und bestraft wird: Heroin. Es ist meine eigene Geschichte.

Es hätte ebenso gut ein Besuch im Spielkasino sein können, der zur Spielsucht führte. Ich hätte auch langsam in die Alkoholsucht gleiten können. Aus Heißhungerattacken hätte sich eine Bulimie entwickeln können. Diese Süchte sind ebenfalls schwer zu bewältigen. Mit einem Unterschied: Niemand landet dafür im Gefängnis.

Das erste Mal  

Hätte ich 1984 gewusst, wie mein Lebensweg in den folgenden 30 Jahren verlaufen würde – es hätte mich wohl nicht davon abgehalten, mit 17 Jahren Heroin auszuprobieren. Ich hatte Freunde, die bereits konsumierten, und der Reiz war groß. An einem heißen Sommertag im Jahr 1984 bat ich meine Freunde, mir einen Druck zu machen. Was ich dann erlebte, werde ich nie vergessen: Es war das tausendfach beschriebene und doch einmalige Gefühl von vollkommener Wärme und Geborgenheit. Geborgenheit, die mir aufgrund meiner besonderen Lebenssituation fehlte.

„Das einmalige Gefühl von vollkommener Wärme und Geborgenheit“

Schon bald konsumierte ich fast jeden Tag. Es waren winzige  Mengen, die ich zunächst noch durch mein gutes Lehrlingsgehalt als Bergmechaniker im Kohlebergbau  finanzieren konnte. Doch die Mengen wurden größer, und ein Gramm Heroin kostete damals 300 DM. Also verkaufte ich etwas zum Eigengebrauch an andere. Das bewahrte mich vor anderen Delikten wie Diebstahl oder Raub.

Die Justiz war trotzdem der Meinung, mich mit sanftem Druck auf den richtigen Weg zurückbringen zu müssen. Für solche „Fälle“ sieht Paragraf 35 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) „Therapie statt Strafe“ vor – „Therapie als Strafe“ wäre für die folgenden neun Monate mit Zwangsentzug und entwürdigender Behandlung die bessere Bezeichnung gewesen.

Ab in den Knast

Am 29. Mai 1991 hatte ich meinen ersten wirklichen Gerichtstermin. Ich war guter Hoffnung, dass ich nach der Verhandlung wieder nach Hause gehen würde. Doch während ich den engagierten Ausführungen des Staatsanwaltes zuhörte und die Lethargie meines Anwalts erlebte, beschlich mich immer mehr Unbehagen – und Unverständnis.

Was hatten sie mir vorzuwerfen? Die Polizei hatte bei mir wenige Briefchen Heroin gefunden. Der „Ameisenhandel“ war durch Aussagen anderer bekannt geworden, und ich hatte versucht, einen Trainingsanzug für 199 DM zu stehlen. Keine großen Vergehen.

„22 Monate Gefängnis – trotz Jugendstrafrecht und Erstverurteilung“

Wenige Stunden später fand ich mich in einer Zelle wieder – mit sieben weiteren Inhaftierten. Für 22 Monate sollte ich ins Gefängnis – trotz Jugendstrafrecht, und obwohl es meine erste Verurteilung war. Der Richter wollte verhindern, dass mein Weg auf der „schiefen Bahn“ weiter abwärts ging. Doch die Folgen waren fatal. Noch im selben Jahr ließ meine damalige Frau sich scheiden. Meinen Sohn, damals fünf Jahre alt, sah ich erst zehn Jahre später wieder. Dies war sicher das prägendste Erlebnis dieser Jahre. Was glaubte diese Justiz? Dass die Zwangstrennung von meinem geliebten Sohn dazu beitragen würde, dass ich clean werde? Mitnichten!

Dirk Schäffer
Dirk Schäffer

Infektionen vorprogrammiert

Schon früh infizierte ich mich mit Hepatitis C. Pures Glück, dass ich nicht auch HIV bekam, denn vor allem der Konsum in Haft mit bereits benutzten Utensilien war überaus riskant. Und in Zeiten, als die Vergabe von Spritzen illegal war, verkauften Apotheken Spritzen und Nadeln nur im Hunderterpack – wohl wissend, dass kaum ein Junkie genug Geld dafür hatte.

1994 machte ein neuer Begriff die Runde in der Szene: Substitution. Das wollte ich auch probieren, vielleicht war es der Ausweg aus täglichem Konsum, Kriminalisierung und Inhaftierung.

Mein Arzt sagte mir, ich sei für diese Therapieform nicht geeignet. Ich war schlicht zu gesund: kein HIV, keine psychiatrische Erkrankung … Ich verstand nicht, warum die erfolgversprechende Behandlung nur jenen zuteil wurde, die schwer krank waren und seit Jahrzehnten konsumierten. War es eine Art „Gnadenbrot“?

„Mit Polamidon begann sich mein Leben zu verändern“

Ich bekam schließlich doch Polamidon, und mein Leben begann sich zu verändern. Heute werde ich immer noch substituiert, habe einen Full-Time-Job, lebe seit vielen Jahren in einer liebevollen Beziehung und stehe mit meinem fast 30-jährigen Sohn in engem Kontakt.

Noch immer schränkt der Gesetzgeber die Substitutionsbehandlung mit einem rigiden Regelwerk ein. Aber sollte nicht das Ziel sein, es allen heroinabhängigen Menschen zu ermöglichen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen? Dass es ausreichend ärztliche Einrichtungen gibt, die Substitution anbieten? Oder geht es eigentlich immer noch darum, Menschen zur vollständigen Abstinenz zu drängen? Ein Weg, der weder funktioniert, noch die jeweilige Lebenssituation respektiert.

Bin ich ungerecht?

Ich frage mich manchmal, ob es unfair ist, das Betäubungsmittelgesetz für die Folgen meiner Sucht verantwortlich zu machen. Nach reiflicher Überlegung lautet meine Antwort: nein.

Der Verlust meiner Familie, meine Zeit im Gefängnis und in Psychiatrien, meine HCV-Infektion und ein zeitweiliges Leben in Obdachlosigkeit gehen nicht auf das Konto meines Heroinkonsums, sondern sind Folge einer restriktiven und respektlosen Politik der Prohibition und Verfolgung. Mich als charakterlich schwachen Menschen abzustempeln und zu verfolgen, hat nichts dazu beigetragen, dass ich in ein bürgerliches Leben zurückkehren konnte.

„Alles hätte ganz anders laufen können“

Alles hätte ganz anders laufen können, wäre man mit Heroin umgegangen wie zum Beispiel mit Tabak – eine stimulierende Droge, von der ich ebenfalls abhängig bin. Der Unterschied: Beim Tabak sorgt staatliche Kontrolle für einen geregelten Verkauf, für Qualitätskontrolle und Jugendschutz, während beim Heroin und anderen illegalen Drogen die organisierte Kriminalität und Strafverfolgung den Ton angeben.

Ich kann es drehen und wenden wie ich will, ich komme immer wieder zu dem gleichen Ergebnis: Ich habe mich schlicht für die falsche Substanz entschieden.

Dirk Schäffer, 47, ist seit 2001 Referent für Drogen und Strafvollzug bei der Deutschen AIDS-Hilfe. Dieser Text basiert auf seinem Beitrag im Alternativen Drogen- und Suchtbericht 2015, der eine grundlegende Reform des BtMG fordert

 

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3 Kommentare

  1. Sehe ich ähnlich, das Betäubungsmittelgesetz hat sehr viele Leben zerstört. Schlimmer als alle darin verbotenen Substanzen!

  2. Vielen Dank für deinen unermüdlichen Einsatz und die Pioniersarbeit. Ja, es ist soweit. Wir können, dürfen, sollen und müssen uns jetzt „alle“ outen, ohne stigmatisiert zu werden, Danke. Ich danke dir „Dirk Schäffer“.

  3. Die Verurteilungen „opferloser Straftaten“ nach dem Betäubungsmittelgesetz sind eines Rechtsstaates unwürdig und kommen einer politischen Verfolgung gleich. Die Prohibition und Kriminalisierung von Suchtkranken beschränkt sich nur vordergründig auf Gesundheits- und „Drogenpolitik“. Der (steuerfreie) Umsatz auf der Drogenszene geht in die Milliarden, neben gewöhnlichen Kriminellen sind auch Geheimdienste in diesem Business aktiv. Die gewaltigen Gewinne ermöglichen einen massiven Einfluss auf die staatlichen Organe, Wirtschaft, Medien und die Politik; in einigen Ländern – nicht nur in Südamerika – haben Drogenkartelle die Staaten bereits komplett übernommen. Die Recherchen des rund um die Uhr unter Schutz stehenden italienische Staatsanwalts (und Falkone-Nachfolgers) Roberto Scarpinato brachten erschreckende Ergebnisse auch für Europa. Demnach beherrschen international organisierte Drogenkartelle, die längst auch den Menschen- und Waffenhandel dominieren, bereits mit schnell steigender Tendenz auch europäische Staaten. Den Balkan und Teile Süd- und Osteuropas haben sie bereits fast komplett unter ihrer Kontrolle; in Westeuropa beherrschen sie die staatlichen Strukturen (und Parlamente!) bereits zu etwa 50 % – mit schnell steigender Tendenz nach oben. Ich betone noch ein Mal: diese Zahlen stammen nicht von mir sondern beruhen auf den Ermittlungen Falcones, zu dessen Ermordung ein ganzer Autobahn-Abschnitt gesprengt wurde, und seines Nachfolgers Scarpinato, der nun als Gastdozent zu diesem Thema weltweit Seminare und Vorlesungen abhält.
    Der sogenannte „Krieg gegen die Drogen“ ist ein Krieg gegen die Abhängigen, der Staat und Versicherungen jährlich Milliarden und zehntausenden Abhängigen Gesundheit und Leben kostet. Er torpediert einerseits den sozialen Frieden und den Rechtsstaat, bringt andererseits aber Milliarden an „Drogengeldern“ ein. Für viele Journalisten und selbst Staatsanwälte, die der sich da aufdrängenden Frage cui bono? (Wem zum Vorteil?) zu detailliert nachgingen, war dies ihre letzte Recherche.
    Dass viele Geheimdienste z.B. zweifelhafte Interventionen bis hin zu Waffenlieferungen und Kriegen an den Parlamenten vorbei über den Drogenhandel finanzieren ist schon lange kein Geheimnis mehr.
    Es wäre naiv anzunehmen, dass unsere Politiker von all dem nichts wüssten.
    Doch trotzdem bemühen sie sich, der Öffentlichkeit die Prohibition als Maßnahme des Gesundheits- und Jugendschutzes zu verkaufen, und die öffentliche Diskussion auf das lächerliche Cannabis-Verbot zu begrenzen.
    Wie lange noch wird es Politik und „Leitmedien“ gelingen, das Volk für dumm zu verkaufen?

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