Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) soll durch ein krankenkassennahes Call-Center ersetzt werden. Zu den möglichen Konsequenzen dieser Änderung haben wir Dirk Meyer, den Patientenbeauftragten Nordrhein-Westfalens, befragt.

Herr Meyer, momentan herrscht große Aufregung um die Zukunft der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland. Dabei haben sich viele Menschen wahrscheinlich noch nie an die UPD gewandt. Warum ist sie dann so wichtig?

In unserem unübersichtlichen Gesundheitssystem braucht es eine Säule, die Patienten und deren Angehörige bei Problemen kompetent berät, und zwar unabhängig von Krankenkassen, Ärzten, Kliniken und Pflegediensten. Zwar gibt es viele Beratungsangebote, zum Beispiel die der Krankenkassen. Aber deren Beratung muss natürlich immer auch eigene Interessen berücksichtigen. Anders ist das bei der UPD: Sie ist gefordert, ein Stachel im Fleisch aller Akteure im Gesundheitswesen zu sein und sich eindeutig an den Belangen der Patienten zu orientieren.

Was leistet die Unabhängige Patientenberatung  für Menschen mit HIV? Hat sie für diese Patienten eine besondere Bedeutung?

Für Menschen mit HIV ist es wichtig, sofort verstanden zu werden und sich nicht erst noch erklären zu müssen. Die UPD kann, weil sie unabhängig ist, die Perspektive HIV-Positiver einnehmen und von hier aus ihre Probleme beleuchten. Stigmatisierung und Diskriminierung beispielsweise sind für die UPD keine Fremdwörter. Auch hat es bisher eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den UPD-Beratungsstellen und den örtlichen Aidshilfen gegeben. Aber all das steht jetzt infrage. Ich habe große Sorge, dass mit einem neuen Anbieter das Vertrauen in die Patientenberatung verloren geht.

„Mit dem neuen Anbieter könnte das Vertrauen in die UPD verloren gehen“

Der neue Anbieter könnte Sanvartis heißen. Das Unternehmen wirbt damit, tagtäglich 24 Stunden telefonisch erreichbar zu sein.

Gegen die Call-Center-Funktion ist im Grunde nichts einzuwenden. Auch bei der UPD hat es bisher eine Telefon-Hotline gegeben, allerdings nur von Montag bis Freitag und da auch nicht rund um die Uhr. Für Ratsuchende war es daher oft schwierig, gleich jemanden am Telefon zu haben. Das ist durchaus verbesserungswürdig. Der Gesetzgeber hat deshalb entschieden, die Förderung der UPD ab 2016 von 5 auf gut 9 Millionen Euro pro Jahr zu erhöhen.

Geld, mit dem auch die 21 regionalen UPD-Beratungsstellen erhalten werden könnten? Oder fällt die persönliche Beratung künftig sogar ganz weg?

Es ist durchaus denkbar, dass Sanvartis auch persönlich beraten und bei Bedarf jemanden zum Patienten schicken wird, wie jetzt schon bei der Pflegeberatung. Persönliche Beratung ist vor allem dann wichtig, wenn es um komplexe Probleme geht wie etwa Behandlungsfehler oder langwierige Auseinandersetzungen mit Krankenkassen. Wichtig sind aber auch Beratungsstellen direkt vor Ort: Regionales Know-how wird gebraucht, weil ja auch die Akteure regional sind und entsprechend agieren, ob es nun die Krankenkassen, Ärztekammern oder Fachverbände sind.

Bislang gibt es bei der UPD mit ihren Beratungsstellen eine hohe regionale Kompetenz: Man kennt die Akteure und kann gezielt Hilfe vermitteln. Doch diese über viele Jahre gewachsene regionale Verankerung wird bei einem neuen Anbieter wohl ersatzlos entfallen. Handlungsreisende sind hier keine Alternative.

„Es geht vor allem um die Haltung, mit der jemand berät“

Bei der Vergabe der Patientenberatung an Sanvartis sorgt man sich vor allem um die Unabhängigkeit des Angebots. Was steht auf dem Spiel?

Bei aller Kritik im Detail: Ich würde Sanvartis nicht unterstellen, dass sie nicht auch ein fachlich gutes Angebot bereitstellen können. Wissensvermittlung allein reicht aber nicht aus, sondern muss mit Empathie einhergehen und die Notlage der Patienten berücksichtigen. Es geht also vor allem um die Haltung, mit der jemand berät. Diese Haltung bringen die bisherigen gemeinnützigen Träger der UPD – der Sozialverband VdK, die Verbraucherzentrale und der Verbund unabhängige Patientenberatung – aus ihrer langjährigen Arbeit mit.

Dirk Meyer
Dirk Meyer

Sanvartis dagegen orientiert sich an den Interessen seiner Auftraggeber, also Pharma-Industrie und Krankenkassen.  Allein schon für die Krankenkassen berät Sanvartis jeden dritten Anrufer. Dass so ein Unternehmen künftig auch noch die unabhängige Patientenberatung leisten soll, darauf muss man erst mal kommen! Die erforderliche Haltung kann man nicht mal eben bei einem privatwirtschaftlichen Call-Center einkaufen.

Mit Sanvartis soll also eine Partnerfirma der gesetzlichen Krankenkassen den Zuschlag erhalten. Mit welchen Problemen sind die Patienten bisher zur UPD gekommen?

Mehr als die Hälfte der Anfragen drehte sich um Probleme mit den Krankenkassen, etwa um das Krankengeld. Das macht die geplante Vergabe an Sanvartis doppelt pikant: Erst landen die Patienten mit ihrem Anliegen an die Krankenkasse beim Call-Center von Sanvartis. Wenn sie sich später über die Bearbeitung genau dieses Anliegens bei der UPD beschweren wollen, landen sie wieder bei Sanvartis. Es hätte eigentlich früh auffallen müssen, dass dort Interessenkonflikte vorprogrammiert sind. Die UPD muss ein verlässlicher Fels in der Brandung sein, kein Fähnlein im Wind!

„Interessenkonflikte sind vorprogrammiert“

Mit der UPD schien es ja vielversprechend weiterzugehen. Ab 2016 soll die jährliche Förderung erhöht werden, und den Vorsitz des UPD-Beirats soll nicht mehr die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), sondern der unabhängige Patientenbeauftragte der Bundesregierung bekommen. Doch ausgerechnet dieser unterstützt den Zuschlag für Sanvartis. Wie kommt es, dass die UPD in ihrer bisherigen Form auf der Kippe steht?

Das Ausschreibungsverfahren folgt eigentlich strikten gesetzlichen Regelungen. Fachlich vorbereitet wurde die Ausschreibung von der GKV, und ich könnte mir vorstellen, dass die GKV zwecks besserer Erreichbarkeit der Beratung ein starkes Augenmerk auf die Call-Center-Funktion gelegt hat. Anscheinend war die gesetzlich vorgegebene Neutralität und Unabhängigkeit als Kriterium für die Auswahl des Anbieters in der Ausschreibung eher schwach ausgeprägt. Im Widerspruchsverfahren wird jetzt noch mal überprüft, ob die Ausschreibung im Sinne des Gesetzgebers korrekt erfolgte. Ich bezweifle, dass das wirklich der Fall war.

Unabhängigkeit und Neutralität als gesetzliche Vorgaben: Wieso soll dann trotzdem eine Partnerfirma der Krankenkassen den Zuschlag bekommen? Hat denn der UPD-Beirat keinen gesetzlichen Beratungsauftrag bei der Vergabe?

Der Beirat hat bereits getagt und eine kritische Stellungnahme abgegeben. Der GKV-Spitzenverband hat die Kritik dann noch einmal geprüft, aber wieder verworfen und die Auswahlentscheidung unverändert dem Patientenbeauftragten des Bundes, Karl-Josef Laumann, vorgelegt. Dieser hat sein Einvernehmen mit der Entscheidung erklärt. Laumann sieht die Unabhängigkeit auch mit Sanvartis weiterhin als gesichert an. Wie er zu dieser Einschätzung kommt, erschließt sich mir jedoch nicht. Laumann hätte die Chance gehabt, das Verfahren an dieser Stelle zu stoppen. Das hat er nicht getan.

„Ich setze auf das Widerspruchsverfahren“

Wie stehen jetzt noch die Chancen, die UPD wie bisher zu erhalten?

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ich setze auf das Widerspruchsverfahren. Es wäre allerdings besser gewesen, wenn der Patientenbeauftragte der Bundesregierung die Auswahlkriterien frühzeitig geprüft hätte. Jetzt, zu einem späten Verfahrenszeitpunkt, wird das schwierig. Bei der Überprüfung kann durchaus festgestellt werden, dass das Verfahren in sich schlüssig war und korrekt durchgeführt wurde. Damit wäre das bisherige Modell der UPD als unabhängige Beratung im Sinne der Patienten gestorben.

Doch jetzt heißt es erst einmal abwarten. Wie es tatsächlich weitergeht, werden wir Ende August erfahren.

Das Interview führte Michael Mahler

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