Die bemerkenswerte Arte-Dokumentation „Drogen kann man nicht erschießen“ zeigt Wege aus dem „Krieg gegen die Drogen“ und Alternativen zum repressiven Umgang mit Konsument_innen.

Es war der damalige US-Präsident Richard Nixon, der in einer Ansprache Rauschmittel offiziell zum „Staatsfeind Nummer eins“ erklärte und ihnen den Kampf ansagte. 45 Jahre später zeigt sich: Dieser Kampf war auf diese Weise niemals zu gewinnen, er hat vielmehr einen Krieg ausgelöst, der sich über viele Kontinente hinweg ausgebreitet und ganze Länder mit Gewalt und Verbrechen überzogen hat.

In den ersten Minuten seiner informationsgeballten, umfassenden und überzeugenden Dokumentation „Drogen kann man nicht erschießen“, die Arte am 19. April ausstrahlt, lässt ARD-Korrespondent Peter Puhlmann das ganze Ausmaß der Exzesse dieses Drogenkrieges wie im Stakkato auf das Fernsehpublikum niederprasseln: Grausame Morde, Bandenkriege und Korruption haben viele Länder Lateinamerikas zu den gefährlichsten der Erde gemacht.

Allein in Mexiko verzeichnet der Drogenkrieg schon 60.000 unschuldige Opfer

60.000 unschuldige Menschen seien diesem „unsinnigen Krieg“ allein in Mexiko zum Opfer gefallen, beklagt der ehemalige Präsident des Landes, Vicente Fox. Er ist neben der ehemaligen Schweizer Bundespräsidentin Ruth Dreifuss einer der Mitglieder der Weltkommission für Drogenpolitik, die in dieser Dokumentation zu Wort kommen.

In seinem sehr konzentriert argumentierenden Film schildert Puhlmann nicht nur die fatalen Auswirkungen einer über Jahrzehnte verfehlten, insbesondere durch die US-Regierung dominierten Drogenpolitik für Erzeuger- und Transfer-Länder wie Mexiko, Kolumbien und Bolivien. Die Kriminalisierung hat außerdem die US-Drogenbehörde zur größten Polizeidienststelle der Welt werden lassen und dem Land eine der höchsten Inhaftierungsraten beschert.

Die Legalisierung von Drogen werde mafiöse Strukturen und Kartelle nicht gänzlich verschwinden lassen, relativiert einer von Puhlmanns Interviewpartnern allzu große Hoffnungen, doch ein nicht unerheblicher Teil an Gewinnen, der für Waffen und Bestechung verwendet oder in andere illegale Geschäfte investiert werde, fiele damit weg.

Eine Welt ohne Drogen, das machen gleich mehrere Expert_innen im Film deutlich, sei gegen die Wesensart des Menschen. Der kontrollierte und bewusste Umgang mit Rauschmitteln sei letztlich entscheidend, ob diese zu einer gesundheitlichen Gefahr werden.

Die Dokumentation macht dies am Beispiel von Kokablättern, Alkohol, Tabak und Marihuana sehr deutlich. Im US-Bundesstaat Colorado, wo testweise Cannabis legalisiert und entkriminalisiert wurde, ist es keineswegs wie befürchtet zu massenhaften Verkehrsunfällen mit zugedröhnten Autofahrer_innen oder zu einem Zuwachs jugendlicher Konsument_innen gekommen.

„Cannabis-Flüchtlinge“ in Colorado

Stattdessen freut man sich über zusätzliche Steuereinnahmen in zweifacher Millionenhöhe und beobachtet ein unerwartetes Phänomen: „Cannabis-Flüchtlinge“, die aus allen Teilen des Landes nach Colorado ziehen, weil dort Schmerz- und Epilepsie-Patient_innen auf legale Weise Zugang zu Cannabis für ihre Behandlung haben.

Puhlmanns aufwendig recherchierte und in zehn Ländern gedrehte Reportage dokumentiert eine ganze Reihe von Wegen aus dem Drogenkrieg beziehungsweise Alternativen zur bestehenden Drogenpolitik. In Uruguay und Spanien etwa ist der Cannabis-Konsum in Clubs legal möglich.

In Portugal wurde der Besitz von Drogen für den Eigengebrauch entkriminalisiert – was überraschende Wirkungen zeigt. Auch in Zürich gab es eine Kehrtwende. Die Stadt hatte in den 1980er-Jahren den zweifelhaften Ruf, Europas größte offene Drogenszene zu besitzen. „Mit einem repressiven Ansatz hat man keine Chance. Das hat man jahrelang versucht und es hat einfach nicht geklappt“, sagt Barbara Ludwig vom Zürcher Amt für Sucht und Drogen.

Deshalb habe man gewagt, etwas Neues auszuprobieren: eine Vier-Säulen-Strategie, die Abhängige nicht mehr als Kriminelle, sondern hilfsbedürftige Menschen sieht, und die nicht allein auf Repression, sondern auch auf Überlebenshilfe, Schadensminderung, Therapie und in großem Umfang auf Prävention setzt. Dazu gehört auch die Vergabe von Methadon und – unter bestimmten Voraussetzungen – auch von Heroin.

Alternative Wege der Drogenpolitik

„Unsere Drogenpolitik war falsch“, urteilt die Schweizer Politikerin Ruth Dreifuss. „Sie hat zu Diskriminierung und Marginalisierung von Drogenabhängigen geführt, und noch viel schlimmer, zum Tod durch Überdosierung und durch Aids.“ Für sie wie auch für viele der anderen Interviewten im Film steht außer Frage, dass die Entkriminalisierung des Drogenkonsums – gut vorbereitet und von gesellschaftlichen Maßnahmen flankiert – der einzig sinnvolle Weg ist.

Die Legalisierung von Cannabis, wie bereits in Colorado und anderen Städten und Staaten geschehen, werde nur ein Anfang sein, ist sich Dreifuss sicher. „Ein Land nach dem anderen wird umkippen.“ Und auch bei anderen Drogen werde es zu einem Umdenken kommen. Daran lässt Peter Puhlmann in seinem 75-minütigen Film keinen Zweifel.

Mit seiner argumentativen Stringenz und Fülle an Beispielen ist seine Dokumentation ein sachliches und überzeugendes Plädoyer für eine andere Drogenpolitik, die nicht nur Skeptiker_innen sondern selbst vehemente Verteidiger_innen des Drogenkriegs zum Umschwenken bringen sollte.

Arte zeigt „Drogen kann man nicht erschießen“ am Dienstag, dem 19. April, um 20.15 Uhr anlässlich der Sondersitzung der UN-Generalversammlung zum weltweiten Drogenproblem (Wiederholung am Donnerstag, 28. April, 8.55 Uhr).

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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