Vor 35 Jahren veröffentlichte die „New York Times“ einen Artikel über eine seltene Form von Krebs, von der offenbar nur Homosexuelle betroffen waren. Als erste Zeitung berichtete sie über eine Krankheit, die man später „AIDS“ nennen würde.

Im Nachhinein mag es überraschen, dass dieser Zeitungsbeitrag nicht auf dem Titel, sondern erst auf Seite 20 der „New York Times“ erschien. Doch als die Redaktion am 3. Juli 1981 den Artikel ins Blatt nahm, konnte niemand erahnen, dass der Fachjournalist Lawrence K. Altman hier über eine neue und sich binnen weniger Jahre zu einer globalen Katastrophe ausweitenden Epidemie berichtete, die bislang über 40 Millionen Menschen das Leben kostete.

„Seltener Krebs bei 41 Homosexuellen beobachtet“

Zunächst klang alles nach einem sonderbaren medizinischen Phänomen, dem Altman immerhin rund 50 Druckzeilen widmete. Mit „Rare Cancer Seen In 41 Homosexuals“ hatte er seinen Beitrag überschrieben (das Wort „gay“ war zu diesem Zeitpunkt bei der „New York Times“ noch verpönt). Sollte es das tatsächlich geben? Eine seltene Form von Hautkrebs, von der ausschließlich schwule und zudem ungewöhnlich junge Männer betroffen sind?

Zeitungsartikel New York TimesDemnach war bei 41 Männern, vornehmlich aus dem Raum New York und San Francisco, das sogenannte Kaposi-Sarkom festgestellt worden; einige der Patienten seien bereits innerhalb von zwei Jahren nach der Diagnose verstorben.

Altmans „New York Times“-Artikel dürfte eines der bekanntesten und meist zitierten Dokumente der Aids-Geschichte sein, wurde damit doch erstmals über das noch namenlose und unerklärliche medizinische Phänomen berichtet.

Die Schlagzeile vom 3. Juli 1981 ist gleichsam zum Synonym für den Beginn der HIV-Epidemie geworden. Kaum ein Spiel- oder Dokumentarfilm über den Beginn der Aidskrise in den USA – von „Longtime Companion“,“…und das Leben geht weiter“ über „We Were Here“ bis „Dallas Buyers Club“ – spart diesen ersten Zeitungsartikel beziehungsweise die Reaktionen (besonders der schwulen Community) aus.

Synonym für den Beginn der HIV-Epidemie

Denn der „New York Times“-Artikel verstörte und irritierte nicht nur, er löste Entsetzen und ungläubiges Erstaunen aus – und, insbesondere in den schwulen und liberalen Zeitungen der betroffenen Regionen, auch Protest und Widerspruch.

Einerseits galt die „New York Times“ als eines der seriösesten Medien des Landes, doch die Nachricht über diesen mysteriösen „Homosexuellenkrebs“ empfanden viele als homophoben Unsinn, nicht zuletzt auch, weil sich der Zeitungsbeitrag Zerrbildern schwulen Sexuallebens zu bedienen schien.

Viele der Patienten, zitierte Altman den Sprecher der US-Gesundheitsbehörde CDC in Atlanta, Dr. James Curran, seien bereits wegen sexuell übertragbarer Krankheiten wie Hepatitis B und Herpes behandelt worden beziehungsweise konsumierten Drogen wie LSD und Amylnitrit (besser bekannt als Poppers), „um ihr sexuelles Vergnügen zu steigern“.

Eine Gefahr für die Allgemeinbevölkerung bestehe offenbar nicht: „Dass bislang kein einziger Fall außerhalb der homosexuellen Gemeinschaft oder bei Frauen gemeldet wurde, ist der beste Beweis dafür, dass wir es nicht mit einer Infektion zu tun haben“, so Curran.

Kritiker warfen Lawrence K. Altman später vor, mit seinem Artikel den Grundstein für die stigmatisierende Verbindung zwischen HIV und schwulem Sex gelegt zu haben. Richtig ist, dass die auffällige Immunschwäche zunächst „Gay-Related Immune Deficiency“ (GRID) genannt wurde, bis man sich für die Bezeichnung „Aquired Immune Deficiency Syndrome“ („Erworbenes Immundefizienzsyndrom,“ kurz: AIDS) entschied.

Doch bei genauerer Betrachtung ist Altman keinerlei Vorwurf zu machen. Denn tatsächlich hat der „New York Times“-Journalist sehr gewissenhaft alle zu diesem Zeitpunkt bekannten Fakten zusammengetragen und sich jeglicher Spekulation enthalten.

„Keine Hinweise auf eine Ansteckung“

Rund einen Monat zuvor hatte das CDC in seinem wöchentlichen Bulletin „Morbidity and Mortality Weekly Report“ erstmals von auffälligen Diagnosen berichtet. Michael S. Gottlieb,  Wissenschaftler der University of Los Angeles (UCLA), wies in seinem Fachartikel auf die ungewöhnliche Konstellation von Pilzinfektionen und speziellen Lungenentzündungen hin.

CDC-Bericht
Das CDC berichtete einen Monat zuvor von einer Häufung von Lungenentzündungen durch Pilzerreger.

Der Epidemiologe Altman, der zeitweilig selbst für das CDC gearbeitet hat, war auf diese Weise auf das Phänomen aufmerksam geworden und ist dem nachgegangen. Der CDC-Bericht benennt lediglich fünf Fälle von „Pneumocystis carinii pneumonia“ (PCP), die zwischen Oktober 1980 und Mai 1981 bei schwulen Männern aus Los Angeles registriert worden waren.

Altman hatte bei seinen Recherchen bereits 41 Betroffene mit auffälligem Krankheitsbild ausfindig gemacht. In seinem Beitrag listet er die spärlichen bis dahin vorliegenden Fakten und Merkmale auf; die Zusammenhänge freilich vermochten weder er noch die CDC-Expert_innen herzustellen. Und so heißt es lapidar und sachlich: „Die Ursache des Ausbruch ist nicht bekannt, und es gibt noch keine Hinweise auf eine Ansteckung.“

Bis das HI-Virus identifiziert werden konnte, sollten noch zwei weitere Jahre vergehen. Zu diesem Zeitpunkt war in den USA die Zahl der gemeldeten Erkrankungen auf 7.699, die der Toten auf 3.665 angestiegen.

Von Axel Schock

Zurück

Behalten Sie Ihren Ärger für sich, Herr B.Z.-Kolumnist Schupelius!

Weiter

Keine Angst mehr vor HIV

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

+ 49 = 52

Das könnte dich auch interessieren