Auf der Welt-Aids-Konferenz wird auch über die HIV-Heilung diskutiert. Zwar gibt es schon mehrere interessante Forschungsansätze, doch werden noch einige Jahre ins Land gehen, bis sich Erfolge zeigen.

Wenn es um das Thema Heilung geht, gibt es viele Fragen zu klären. Einige davon kamen auch auf einer der Vorkonferenzen der derzeit in Durban (Südafrika) stattfindenden Welt-Aids-Konferenz zur Sprache.

Kann man das HI-Virus mittels Gentherapie aus dem Körper verbannen?, gehört zum Beispiel zu den Fragen, die sich HIV-Forscher_innen stellen. Klar ist: So eine Gentherapie birgt für die Proband_innen erhebliche Risiken – ein erhöhtes Krebsrisiko zum Beispiel. Zudem wäre sie gerade für jene Länder viel zu teuer, in denen die meisten HIV-Positiven leben.

Offene Fragen

Eine weitere Frage zum Thema Heilung ist auch diese:

Kann man das Virus aus den „Schläferzellen“, in denen es Jahre und Jahrzehnte „schlummert“ und der heutigen antiretroviralen Therapie entgeht, wie aus einem Dornröschenschlaf „wachküssen“ und die aufgeweckte infizierte Zelle anschließend abtöten?

Die Antwort: Der „Kuss“, also die Aktivierung des Virus,  gelingt einigermaßen. An den weiteren Schritten zur Elimination der Zellen muss wahrscheinlich noch viele Jahre geforscht werden. Zudem könnte es sein, dass mit dem „Kuss“ nicht nur die „schlafenden“ HIV-infizierten Zellen geweckt werden, sondern auch Krebszellen. Risiken gibt es also an allen Ecken und Enden. Und wer will schon eine Heilung auf solche Kosten, wenn man mit der HIV-Therapie in den meisten Fällen gut leben kann.

Die Messlatte für Heilungsansätze liegt also sehr hoch, sagte Steven Deeks, einer der führenden HIV-Forscher der Universität von San Francisco, auf der Vorkonferenz in Durban. Da fällt der Blick auf einen möglichen Weg, der zumindest in den ersten Jahren völlig ohne besondere Risiken auskommt und den man sowieso gehen muss: indem man sofort nach der Infektion mit der Therapie beginnt.

Mit dieser Etappe auf dem Weg zur Heilung kann man erst mal starten. Was danach kommt, weiß man noch nicht so genau. Da die erste Strecke aber über viele Jahre zurückgelegt werden muss, hat man noch etliche Konferenzen lang Zeit, um sich über den Rest des Weges Gedanken zu machen.

Sofort heißt sofort

Nun erst einmal zu Etappe Eins: Am Mississippi-Baby und an einigen Erwachsenen war zu beobachten, dass eine sofortige Therapie, die dann mehrere Jahre eingenommen wird, dazu führt, dass auch nach Absetzen der Medikamente das Virus lange Zeit entweder nicht mehr nachgewiesen werden kann oder vom Immunsystem auch ohne Medikamente gut kontrolliert wird. Das klappt nur bei einem Teil der Patient_innen, aber um weiterzuforschen, reichen die bisherigen Ergebnisse aus.

Das Problem ist folgendes: Wir sprechen hier nicht davon, nach einem positiven HIV-Antikörpertest und anschließender kurzer Überlegung sofort mit der Therapie zu beginnen. Wir sprechen davon, dass die HIV-Infektion wenige Tage, nachdem sie erfolgt ist, diagnostiziert werden muss – zu einem Zeitpunkt also, an dem der gängige HIV-Test noch gar nicht reagiert (das ist erst frühestens sechs Wochen nach der Infektion der Fall). Das Zeitfenster für die Diagnose ist demnach sehr klein und erstreckt sich gerade einmal auf die ersten zwei bis maximal drei Wochen nach der Infektion, das sogenannte Stadium Fiebig I. Eine HIV-Diagnose funktioniert hier nur über einen Nachweis der Erbsubstanz des Virus – also durch einen Nukleinsäuretest. Und dann muss ohne Verzögerung mit der Therapie begonnen werden: noch am gleichen Tag. Dieser Heilungsansatz ist nichts für Zögerliche.

Jetzt kommen Babys ins Spiel. Wenn HIV-positive Schwangere eine antiretrovirale Therapie erhalten, kann mit über 99-prozentiger Sicherheit eine HIV-Übertragung auf das Kind verhindert werden. Leider infizieren sich weltweit jährlich noch 150.000 Babys mit HIV, davon mehr als zwei Drittel unter der Geburt und der Rest beim Stillen.

Neugeborene werden gleich nach der Geburt getestet

Bei den Neugeborenen weiß man noch am Tag der Geburt oder wenige Tage danach, ob sie infiziert wurden. Für einen sehr frühen Beginn der Therapie ist das eine ideale Ausgangslage. Bei Säuglingen werden nach Möglichkeit ohnehin Nukleinsäuretests durchgeführt, und wenn sie infiziert sind, sollte man möglichst früh behandeln. Man bemüht sich also, die Behandlung nicht erst in den ersten Wochen oder Monaten zu beginnen, sondern bereits innerhalb der ersten Tage.

Thumbi Ndung’u stellt die FRESH-Studie in Durban vor
Thumbi Ndung’u stellt die FRESH-Studie in Durban vor (Foto: Armin Schafberger)

Doch kann man einen so frühen Therapiestart auch bei Erwachsenen umsetzen? Nur bei wenigen ist das bisher gelungen. Diese waren in der akuten Phase der HIV-Infektion so krank, dass man die entsprechenden Tests durchführte und sofort mit der Therapie loslegte. Diese wenigen Erwachsenen werden als die sogenannte Visconti-Kohorte derzeit noch weiter untersucht.

Thumbi Ndung’u, Wissenschaftler an der Universität KwaZulu-Natal in Südafrika, stellte auf der Konferenz einen neuen Ansatz vor. In der sogenannten FRESH-Studie (Females Rising Through Education, Support and Health) werden HIV-negative junge Frauen im Alter von 18–23 Jahren medizinisch beobachtet und begleitet. Diese Frauen der Provinz KwaZulu Natal gehören weltweit zu den Gruppen mit dem höchsten HIV-Risiko. Die jährliche Neuinfektionsrate beträgt bei ihnen 8,5 %, das heißt,  in jedem Jahr infiziert sich eine von 12 Frauen (beziehungsweise 8–9 Frauen von 100) mit HIV.

Zwei HIV-Tests pro Woche bei Frauen der Provinz KwaZulu-Natal

Die Frauen werden nun – und das ist kein Tippfehler – ein Jahr lang zweimal pro Woche auf HIV getestet. Dafür muss das Blut nicht aus der Vene abgenommen werden, ein Blutstropfen auf Filterpapier reicht aus für den Nukleinsäuretest. Bei positivem Ergebnis wird sofort mit der Therapie begonnen. In der weiteren Diagnostik erfolgt auch eine Lymphknotenentnahmen, um die Verbreitung von HIV im Körper innerhalb der ersten Tage und im Verlauf der Therapie nachvollziehen zu können. Die Frauen sollen dann die nächsten Jahre HIV-Medikamente einnehmen.

Aber was passiert nach mehreren Jahren Therapie? Noch fehlt Etappe Zwei auf diesem Weg zur Heilung: nämlich  eine Methode, um den letzten noch infizierten Zellen den Garaus zu machen. Man hofft dabei auf die Weiterentwicklung der Immuntherapien. In den letzten Jahren ist es gelungen, Antikörper zu produzieren, die HIV wirksamer als die von den meisten Patient_innen gebildeten Antikörper attackieren können. Und man hofft, dass später auch Impfungen entwickelt werden, damit das Immunsystem lernt, solche Antikörper zu produzieren. Kinder wären für solche Impfungen die idealen Kandidat_innen, denn deren Immunsystem ist sowieso noch im Lernstadium.

Auch nach Jahren der Therapie kehrt HIV zurück

Und wann ist der beste Zeitpunkt, um den zweiten Teil der Wegstrecke zu gehen? Wir wissen es nicht. Bisher gibt es noch nicht genügend sensible Messmethoden, um sicher sagen zu können, wie groß die Zahl der infizierten Zellen im Körper ist – wie nahe man also an einer Heilung ist. Ohne eine weitere Maßnahme scheint HIV auch nach Jahren der Therapie wiederzukommen – selbst wenn vorher kein Virus mehr nachweisbar war.

Was macht man, wenn man in einigen Jahren mit der Immuntherapie doch nicht weitergekommen ist? Die antiretrovirale Therapie versuchsweise stoppen und beobachten, was passiert? Beim „Mississippi-Baby“ konnte zwei Jahre lang nach Abbruch der Therapie kein Virus mehr nachgewiesen werden. Doch dann „erwachte“ eine ruhende infizierte Zelle und verursachte eine akute HIV-Infektion. Das Kind muss nun lebenslang HIV-Medikamente einnehmen.

Viele Fragen sind also noch nicht geklärt. Aber für die Strategie der sehr frühen Therapie ist das auch egal. Denn eine frühe Therapie ist ohnehin besser, als zu warten. Man gewinnt also Zeit und „friert“ die Situation ein: So werden nur wenige Zellen infiziert und gehen in den „Schläferstatus“ über, in dem sie viele Jahre verharren können. Es ist also eine günstige Ausgangsposition für einen weiteren möglichen Heilungsweg, der dann in vielen Jahren begangen werden könnte. Bis dahin werden wir noch viele Konferenzen besuchen.

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Armin Schafberger

Armin Schafberger ist Arzt und Master of Public Health, Trainer und freier Autor.

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