Über zehn Jahre hat es gedauert, nun wurde Andreas Steinhöfels Bestsellerroman „Die Mitte der Welt“ tatsächlich verfilmt. Ob sich das Warten gelohnt hat, verrät Axel Schock

Es gibt Bücher, die sollten besser nie verfilmt werden. Dann nämlich, wenn sie zu vielen Leser_innen fest ans Herz gewachsen sind. Wie sehr sich ein_e Regisseur_in dann auch abmüht, er oder sie wird scheitern.

Auch Andreas Steinhöfels „Die Mitte der Welt“ ist solch ein Roman. 1998 erschienen und seither in ein halbes Dutzend Sprachen übersetzt, hat er hunderttausende junge (und insbesondere schwule) Leser_innen ins Erwachsenwerden begleitet.

Mehrere Filmemacher haben aufgegeben

Die Angst der Fans, dass die Verfilmung nur scheitern könne, ist durchaus begründet. Die Geschichte des 17-jährigen Phil und seiner nicht ganz gewöhnlichen Familie ist so prall, poetisch und doch lebensnah, so berührend und eindringlich, dass dies niemals in einen Film von 90 Minuten übersetzt werden kann. Mehrere Filmemacher haben es versucht – und aufgegeben. Jakob M. Erwa („Homesick“) aber hat die Sache nun durchgezogen, hat manchen Handlungsstrang gekappt, Nebenfiguren gestrichen und überhaupt sich seinen ganz eigenen Zugang zu diesem Jugendroman gesucht.

Und um die Fans jetzt nicht noch länger zappeln zu lassen: Sie können aufatmen und sich freuen, so Andreas Steinhöfel. „Der Film ist ganz phantastisch geworden. You hear me? GANZ UND GAR PHANTASTISCH! Ich bin glücklich und begeistert und sehr, sehr froh“, so der schwule Bestsellerautor nach dem ersten Screening des Films auf seinem Blog. „In ‚Die Mitte der Welt‘ ist alles drin, drum und dran, was mir wichtig ist und was Fans des Romans erwarten werden.“

Drin ist im Film vor allem Phils Sommer seiner ersten großen Liebe. Sie stellt Filmemacher Erwa ins Zentrum und erzählt sie in üppigen, sonnendurchstrahlten, manchmal auch fast zu schönen Kinobildern.

Mit einem Mal scheint alles perfekt

Aufritt Nicholaus. Der neue Mitschüler (gespielt von Jannik Schümann) betritt an seinem ersten Schultag nicht einfach nur das Klassenzimmer. Nein, Erwa lässt ihn förmlich hineinschweben. Wie eine Erleuchtung und in Slowmotion erlebt Phil (Louis Hofmann) diese Erstbegegnung mit dem – noch – Unbekannten. Immer wieder spielt Erwa mit solch ironisch eingesetzten Kitschmomenten und schafft es dennoch, Phils Gefühlswelt bildhaft werden zu lassen (manchmal durchaus etwas zu plakativ, um ehrlich zu sein). Phil ist Hals über Kopf in den coolen Sportlertypen verknallt, und groupiehaft schaut er ihm fortan beim Training zu. Den ersten Schritt macht dann ganz überraschend jedoch Nicholaus, und mit einem Mal scheint alles perfekt zu sein. Fast zumindest.

Szenenbild
(Bild: Universum Film (DCM))

Geradezu märchenhaft erscheint über Strecken diese Liebesgeschichte. Das liegt nicht nur daran, dass die abgelegene, verwunschene Villa, in der Phil mit seiner Zwillingsschwester und seiner etwas abgedrehten Mutter Glass (Sabine Timoteo) lebt, für eine entsprechende Atmosphäre sorgt. Der Gefühlssturm, der Phil da plötzlich durcheinanderwirbelt, bleibt alles andere als verborgen. Warum auch, es gibt nichts zu verstecken. „Ich bin ein ganz normales Landei. Vielleicht ein bisschen schwuler als andere, aber sonst Normal-Ausstattung“, stellt sich Phil zu Beginn des Films aus dem Off vor. Phil steht auf Jungs, und das ist für niemanden ein Problem. Für Phils penetrant individualistische und unkonventionelle Aussteiger-Mutter eh nicht, für Phils neuerdings introvertiert und bedrückt wirkende Zwillingsschwester Dianne (Ada Philine Stapenbeck) und Phils beste Freundin Kat (Svenja Jung) ebenso wenig. Aber auch in der Schule – kein Thema.

Eine Utopie ist einfach mal Wirklichkeit

Eine schwule Jugend also ganz ohne Coming-out-Probleme, ohne Angst vor blöden Sprüchen und Ausgrenzung. In Steinhöfels Roman und nun auch in Erwas Verfilmung ist diese Utopie einfach mal Wirklichkeit (und nebenbei die Darstellung von inniger Zuneigung bis hin zu sexueller Zweisamkeit genauso selbstverständlich). Phil ist einfach nur schwul, ansonsten aber ein Jugendlicher mit seinen ganz eigenen Problemen. Zum Beispiel, dass ihm seine Mutter nicht verraten will, wer eigentlich sein Vater ist. Und dass Kat sich plötzlich so komisch verhält und Nicholaus irgendetwas vor ihm zu verbergen scheint.

Hauptfigur des Films Phil
Phil alias Louis Hofmann (Bild: Universum Film (DCM))

So mancher Regisseur, der einen Film mit schwulen Figuren dreht, betont in Interviews dann gerne, dass er natürlich keinen schwulen Film gedreht habe, sondern sein Werk ganz universelle, menschliche Themen behandele. Das ist in der Regel nicht nur ängstlich und verlogen, sondern auch ein Verrat am eigenen Film. In diesem Fall würde eine solche Argumentation jedoch zum ersten Mal sogar passen. „Die Mitte der Welt“ ist ein klassischer Coming-of Age-Film über die Euphorie und Enttäuschungen bei der ersten Liebe, über den Widerstreit der Gefühle, über Kinder-Eltern-Konflikte und über Verrat in der Freundschaft. Kurzum: ein Film über das Erwachsenwerden. Mit der kleinen Besonderheit lediglich, dass hier zufällig eben mal ein schwuler Junge im Zentrum steht.

Dass der, wie auch sein Herzensbrecher Nicholaus, gut aussieht und zudem wunderbar romantisch gucken kann, dürfte auch den Zuschauerinnen gefallen. Wie wohl die Hetero-Jungs darauf reagieren?

„Die Mitte der Welt“. D/A 2016. Regie: Jakob M. Erwa. Mit Louis Hofmann, Sabine Timoteo, Jannik Schümann, Ada Philine Stappenbeck. 115 min.; Kinostart: 10. November 2016. – Hier geht’s zum Filmtrailer

Zurück

„Es kann wirklich jeden treffen"

Weiter

HIV-PrEP in England: Gesundheitsdienst NHS scheitert vor dem Berufungsgericht

Über

Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

39 + = 41

Das könnte dich auch interessieren