Der trans* Junge Ray wird 16 – und kann endlich eine Hormontherapie beginnen. Wie seine eigentlich liberale und aufgeschlossene Familie mit diesem Schritt umgeht, erzählt die britische Regisseurin Gaby Dellal in einem warmherzigen Film.

Eigentlich ist der obligatorische Geburtstagskuchen samt Kerzenschmuck ja ein schönes Ritual. Ray aber kann sich nicht so recht darüber freuen. „Jedes Jahr blase ich die Geburtstagskerzen aus und wünsche mir dasselbe: ein Junge zu sein“, sagt er.

Seinen Geburtsnamen Ramona hat er schon lange abgelegt. Frisur, Outfit, Verhalten und Körperhaltung drücken aus, wie sich Ray seit früher Kindheit fühlt. Nun feiert Ray seinen 16. Geburtstag und ist damit alt genug, um mit einer Hormontherapie zu beginnen. Doch dafür müssen beide Elternteile zustimmen – und damit beginnen die Probleme für Ray.

In Film und Fernsehen ist mittlerweile ein differenzierter Blick auf trans* Personen zu beobachten

Trans*-Themen haben in jüngster Zeit in Film und Fernsehen Konjunktur. Vom oscarnominierten Historiendrama „The Danish Girl“ und der Sexarbeiter_innen-Komödie „Tangerine L. A.“ bis zur gefeierten TV-Serie „Transparent“ ist inzwischen ein sehr differenzierter, souveräner und fortschrittlicher Blick auf die Lebenswelten von trans* Personen zu beobachten.

Auch die US-Produktion der britischen Regisseurin Gaby Dellal passt in diese Reihe. Den Selbstfindungsprozess, der früher meist im Fokus von Trans*-Filmen stand, hat Ray längst hinter sich. Auch „Alle Farben des Lebens“ überspringt dieses Kapitel. Rays Familie hat seine Entscheidung längst akzeptiert, schließlich lebt man selbst in unkonventionellen Konstellationen mit ganz eigenen Vorstellungen von Selbstverwirklichung.

Das alte Backsteinhaus in Brooklyn teilen sich Ray und seine alleinerziehende, überaus verständnisvolle Mutter Maggie (Naomi Watts) mit Großmutter Dolly (Susan Sarandon) und deren Lebensgefährtin Frances (Linda Emond). Besser, so denkt man, hätte Ray es nicht treffen können. Wo, wenn nicht in dieser aufgeschlossenen und liberalen, alles andere als traditionellen Familie könnte ein trans* Junge besser aufgehoben sein?

Lesbisch zu sein bedeutet nicht automatisch, auch tolerant zu sein

Spannungen zeigen sich zunächst nur in Nebenbemerkungen und kleinen Fauxpas: dass Ray die geschlechtergetrennten Schultoiletten meidet und stattdessen lieber auf das Klo eines nahegelegenen Restaurants geht. Oder dass die Großeltern wie auch Rays Mutter, gerade wenn sie besorgt oder einfach nur unsicher sind, dann doch wieder von „ihr“ und nicht von „ihm“ sprechen, wenn sie Ray meinen.

Auch wenn Ray für sein Alter äußert reif erscheint – Maggie zögert, die Einverständniserklärung zur Hormonbehandlung zu unterzeichnen. Was, wenn sich die Entscheidung später einmal als fataler Fehler erweisen sollte? Und Oma Dolly, die mit ihrer trockenen, abgeklärten Art viel zum Humor des Films beiträgt, versteht nicht, warum Ramona/Ray nicht einfach lesbisch sein kann, wenn er/sie letztlich doch auf Frauen steht. Doch lesbisch zu sein, sagt sie selbst einmal, bedeutet eben nicht automatisch, auch tolerant oder akzeptierend zu sein.

All diese Reibereien eskalieren allerdings nicht zu existenziellen Zerwürfnissen. Der eigentliche Kampf, so scheint es, muss weit draußen in einem idyllisch im Wald gelegenen Architektenhaus ausgetragen werden. Dort nämlich macht Ray seinen Erzeuger Craig (Tate Donovan) ausfindig, der von seinem Kind offenbar nie etwas wusste und nun, offensichtlich überfordert, mal schnell eine Unterschrift leisten soll und zudem für sein väterliches Desinteresse büßen soll.

Elle Fanning macht ihre Sache sehr überzeugend

Zugegeben, das etwas zu harmonisch geratene Ende hätte dieser warmherzige Film nicht unbedingt benötigt. Doch dank der durchweg großartigen Darsteller_innen nimmt man sehr gerne an der Verletzlichkeit, dem Zweifel und der Fürsorge der Figuren Anteil. Dass Teile der US-Trans*-Community enttäuscht darüber sind, weil Ray nicht von einem echten Trans*-Mann gespielt wurde, ist zwar nachvollziehbar, aber auch die größten Kritiker_innen werden zugeben müssen: Elle Fanning (u.a. „The Neon Demon“ und „Maleficient – Die dunkle Fee“) macht ihre Sache sehr überzeugend. Die innere Anspannung, dieser brennende Wunsch, endlich das alte Leben hinter sich lassen und an einem anderen Ort, an einer anderen Schule unbelastet mit seiner eigentlichen Identität neu starten zu können, macht Elle Fanning in jeder Minute spürbar und erlebbar.

„Alle Farben des Lebens“ (About Ray). USA 2016. Buch und Regie Gaby Dellal. Mit Elle Fanning, Naomi Watts, Susan Sarandon, Linda Emond, Tate Donovan. 93 min. Kinostart: 8. Dezember 2016

Webseite zum Film: www.AlleFarbenDesLebens.de; Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=r9ZBhsN4bXw

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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