Ausgerechnet im Gesundheitswesen erleben viele Menschen mit HIV Diskriminierung – dort, wo sie am ehesten einen professionellen Umgang mit der Infektion erwarten. Wir haben mit Betroffenen gesprochen.

Da war er: klein, rund, rot. Der rote Punkt war am Fußende seines Krankenhausbettes und auf seiner Krankenakte, die die Ärzt_innen zur Visite mitbrachten. Jede_r konnte ihn sehen. Nicht nur Malte Schmidt*, sondern auch die Patient_innen, mit denen er das Zimmer teilte, die Reinigungskraft oder die Mitarbeiter_innen des Krankentransports. Da es nur bei ihm den roten Punkt gab, signalisierte er allen: Achtung, dieser Patient ist anders. Malte wusste sofort, dass die Markierung nichts mit dem geplanten Routineeingriff zu tun hatte. Der rote Punkt war ein Symbol für seine HIV-Infektion.

Diskriminierung leider kein Einzelfall

Der Vorfall ließ ihn nicht los – auch nicht nach dem Krankenhausaufenthalt. Malte ging zur Deutschen AIDS-Hilfe und traf dort auf Kerstin Mörsch. Die Sozialarbeiterin leitet die 2013 geschaffene Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung. Sie weiß: „Die Praxis, Krankenakten und sogar Krankenbetten zu markieren, ist leider verbreitet.“

Gemeinsam wandten sie sich an das Krankenhaus und baten um Stellungnahme. Und tatsächlich: Die Klinik rechtfertigte das Vorgehen, um dem medizinischen Fachpersonal anzuzeigen, dass „besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen“ seien. Bei Malte war es wegen seiner HIV-Infektion. Der Fall ist doppelt schlimm – und die Begründung falsch. Zum einen stellt er eine Datenschutzverletzung dar. Kerstin Mörsch hält solche Vorkommnisse für alles andere als trivial. „Es hat eine ganz andere soziale Sprengkraft, wenn ein Mensch gegen seinen Willen als HIV-positiv geoutet wird, als wenn sein Umfeld nur erfahren würde, dass er sich im Skiurlaub den Fuß gebrochen hat.“ Zum anderen bedarf es keiner besonderen Schutz- oder Hygienemaßnahmen bei HIV. Die Standardhygienemaßnahmen reichen völlig aus.

Klinik wurde abgemahnt

Malte und die Kontaktstelle entschieden sich, den Datenschutzbeauftragten des Landes einzubinden. Dieser hat das Recht, die Prozesse in Kliniken auf Verletzungen des Datenschutzes zu untersuchen und die Geschäftsleitung abzumahnen. Der Einsatz lohnte sich: Das Krankenhaus sagte zu, keine besonderen Markierungen mehr vorzunehmen. Eine unangemeldete Begehung der Klinik bestätigte die Aussagen der Klinik. Malte Schmidt wird dort hoffentlich der letzte Patient gewesen sein, der auf diese Weise stigmatisiert wurde.

Unkenntnis über Infektionswege

Als geradezu erniedrigend erlebte Eva Barnickel* ihren Klinikaufenthalt. Die IT-Spezialistin befand sich dort wegen einer Routine-Operation in stationärer Behandlung, ähnlich wie Malte Schmidt. Doch wozu bitte stand in dem Bad, das Barnickel gemeinsam mit einer anderen Patientin nutzte, eine mobile Toilette? Die Antwort auf diese Frage erschütterte Eva Barnickel: „Das sollte eine Vorsichtsmaßnahme für meine Zimmernachbarin sein. Die hatten tatsächlich Sorge, das Virus könnte von der Klobrille übertragen werden“, erinnert sich die 47-Jährige, die auch Monate nach diesem Erlebnis aufgebracht wirkt.

„Wir erleben leider immer wieder, dass Krankenhäuser unsensibel mit dem Thema HIV umgehen“, bestätigt Kerstin Mörsch. Im Fall von Eva Barnickel betraf das keineswegs nur das Pflegepersonal. Die Patientin diskutierte bei jeder Visite mit den Ärzt_innen und stieß auf taube Ohren. Man müsse das Personal und andere Patient_innen schützen, so die Auskunft. Am Ende erwirkte Barnickel ein Gespräch mit dem Chefarzt. Dieser entschied, dass die mobile Toilette zu entfernen sei.

Brennpunkt Zahnarztpraxis

Die Kontaktstelle HIV-bezogene Diskriminierung hat in den ersten zwei Jahren ihres Bestehens rund 130 Positive beraten. Zwei Drittel von ihnen meldeten sich, weil sie sich in einem Krankenhaus, einer Arztpraxis oder einem anderen Bereich des Gesundheitswesens benachteiligt fühlten. Überdurchschnittlich häufig beschwerten sich Betroffene über Zahnarztpraxen. „In Facharztpraxen, die relativ selten mit dem Thema HIV in Berührung kommen, mangelt es offenbar an einer realistischen Einschätzung der Risiken“, so Kerstin Mörsch. Hinzu komme, dass Patient_innen anders als bei vielen anderen Mediziner_innen in der zahnärztlichen Praxis einen Fragebogen ausfüllen und ihren HIV-Status offenlegen sollen.

Genau das hatte Barbara Schwielow* getan: sie hatte ein Kreuzchen bei „Infektionskrankheiten, z. B. HIV“ gemacht. Die 55-jährige Unternehmerin war zu einem Termin bei einer Zahnärztin erschienen und schaute nun in das entgeisterte Gesicht der Sprechstundenhilfe. „Die junge Frau wurde sichtlich nervös und verschwand mit dem Fragebogen im Behandlungszimmer“, berichtet Schwielow. „Nach einer Weile kam sie zurück und teilte mir in Flüsterton mit, ich müsse einen neuen Termin vereinbaren.“ Barbara Schwielow diskutierte mit der Sprechstundenhilfe und verlangte letztlich die Ärztin persönlich zu sprechen. „Alles vor versammelter Patientenschaft – aber das war mir egal. Ich war unglaublich erbost.“

Termin am Tagesende

„Outen sich Patient_innen als positiv, reagieren manche Zahnärzt_innen mit einem unnötigen Risikomanagement“, erläutert Kerstin Mörsch. So erhielten Menschen mit HIV grundsätzlich den letzten Termin des Tages oder einen anderen Randtermin. Als Grund geben die Praxen an, sie müssten nach der Behandlung sämtliche Gerätschaften, den Behandlungsstuhl und sogar das Behandlungszimmer besonders reinigen. „Das stimmt aber nicht“, versichert die Leiterin der Kontaktstelle HIV-bedingte Diskriminierung. „Die Standardhygienemaßnahmen, die bei allen Patientinnen und Patienten notwendig sind, reichen völlig aus.“ Darauf weise auch das Robert Koch-Institut seit vielen Jahren hin.

Vorschriften als Ausrede

Die Zahnärztin berief sich gegenüber Barbara Schwielow auf ihre Vorschriften und blieb bei ihrem Angebot eines Randtermins. Daraufhin bat die resolute Unternehmerin die AIDS-Hilfe um Unterstützung. Gemeinsam formulierten Barbara Schwielow und Kerstin Mörsch eine Beschwerde und stellten der Zahnärztin Informationsmaterial zur Verfügung. Ein paar Tage später rief die Ärztin in der AIDS-Hilfe an und ließ sich mit Kerstin Mörsch verbinden: Sie habe sich erkundigt und werde auf die spezielle Reinigung künftig verzichten. Randtermine für Positive werde es nicht mehr geben.

Zahnärzt_innen erhalten Infomaterial

„Das Umdenken der Ärztin hat mich gefreut“, sagt Kerstin Mörsch. „Aber wir stehen hier vor einem strukturellen Problem, das sich nicht durch einzelne Telefonate lösen lässt.“ Deshalb hat sich die Deutsche AIDS-Hilfe an die Bundeszahnärztekammer gewandt. Gemeinsam haben beide Institutionen Schulungs- und Informationsmaterialien für Zahnärzt_innen und Zahnmedizinische Fachangestellte erstellt. Und damit das Wissen auch tatsächlich ankommt, stehen die Materialien nicht nur im Internet. Vielmehr wird eine Broschüre mit dem Titel „Keine Angst vor HIV, HBV und HCV“ verschickt – per Post an 54.000 zahnärztliche Praxen in Deutschland.

* Namen von der Redaktion geändert.

Das Interview führte Hinnerk Werner. Dieser Beitrag erschien zuerst im IWWIT-Blog.

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