Der Bundesgerichtshof hat eine Zwangslizenz für den US-Pharmakonzern Merck & Co. zum Vertrieb von Isentress vorläufig bestätigt.

Damit haben Patient_innen mit HIV, die in Deutschland mit Isentress behandelt werden, vorerst Versorgungssicherheit.

Hintergrund ist ein Patentstreit

Seit Jahren gibt es Streit zwischen Merck (außerhalb der USA und Kanadas: Merck Sharp & Dohme/MSD) und dem japanischen Pharmaunternehmen Shionogi.

Shionogi hatte im August 2002 ein europäisches Patent für mehrere Substanzen beantragt, die gegen HIV wirken. Dazu gehörte auch der heute als Raltegravir bezeichnete Wirkstoff.

Fast zeitgleich, im Oktober 2002, hatte das zu Merck gehörende Forschungsunternehmen Istituto di Ricerche di Biologia Molecolare(IRBM) ebenfalls ein Patent für die heute als Raltegravir bezeichnete Substanz angemeldet.

Wer hat’s erfunden?

2007 bekam Merck in den USA und in Europa eine Zulassung für sein Medikament IsentressTM, das auf Raltegravier basiert. Laut Reuters setzte MSD im Jahr 2016 mit Isentress insgesamt 1,38 Milliarden US-Dollar um. Das Medikament sei damit eines der umsatzstärksten des Konzerns.

Shinogi erhielt im Jahr 2012 das Europäische Patent Nr. 1 422 218 auf Raltegravir. Trotz Einsprüchen von MSD hat das Europäische Patentamt dieses Patent (in geänderter Fassung) aufrechterhalten. Über eine MSD-Beschwerde dagegen muss noch entschieden werden.

Verhandlungen über eine weltweite Lizenzvereinbarung blieben ohne Ergebnis.

2015: Antrag auf Zwangslizenz für Isentress

2015 verklagte Shinogi MSD wegen Verletzung seiner Patentrechte vor dem Landgericht Düsseldorf (4c O 48/15; ein Verhandlungstermin ist laut dem Portal juve.de für den 13. September angesetzt).

Merck beantragte daraufhin eine Zwangslizenz auf den Vertrieb von Isentress beim Bundespatentgericht. Eine solche Zwangslizenz kann erteilt werden, wenn sich der Lizenzsucher erfolglos um eine Lizenz zu angemessenen Bedingungen bemüht hat und ein öffentliches Interesse besteht.

Ein Eilverfahren erhöhte den Druck

Bei der Gerichtsverhandlung wurde bekannt, dass Merck erfolglos zehn Millionen US-Dollar für eine weltweite Lizenz geboten hatte. Shionogi verwies seinerseits darauf, dass mittlerweile zwei weitere Integrase-Inhibitoren auf dem Markt sind, die eine Alternative zu Isentress seien.

Nach einem Eilverfahren erteilte das Bundespatentgericht MSD mit Urteil vom 31. August 2016 (3 LiQ 1/16 [EP]) die vorläufige Erlaubnis, Isentress in den bereits auf dem Markt befindlichen Abgabeformen weiter zu vertreiben.

Das Gericht vertrat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens die Auffassung, „dass das Medikament von bestimmten Gruppen HIV-infizierter und/oder an Aids erkrankter Patienten aus medizinischen Gründen benötigt wird und diese nicht ohne erhebliche gesundheitliche Risiken auf andere Präparate ausweichen können“.

Bundespatentgericht und Bundesgerichtshof sehen öffentliches Interesse an Isentress

Dies gelte insbesondere für Schwangere, Säuglinge und Kinder sowie langjährig gegen HIV behandelte Patienten. Das Gericht berücksichtigte außerdem, dass durch eine effektive Absenkung der Viruslast eine mögliche Ansteckungsgefahr für Dritte verringert wird. Damit sei ein öffentliches Interesse an der Erteilung einer Zwangslizenz gegeben.

Der Bundesgerichtshof schloss sich in seinem Urteil vom 11. Juli 2017 (Az.: X ZB 2/17) dieser Aussage an. Es bestätigte darüber hinaus die Einschätzung des Bundespatentgerichts, dass die MSD-Bemühungen um eine Lizenzvereinbarung „zu angemessenen geschäftsüblichen Bedingungen“ ausreichend waren.

Informationen zu Raltegravir

Raltegravir war der erste Wirkstoff aus der Klasse der Integrase-Inhibitoren (Inhibitoren = Hemmer). Sie hemmen das Enzym Integrase. HIV braucht dieses Enzym, um sein eigenes Erbgut in das Erbgut menschlicher Zellen einbauen zu können. Diese produzieren danach neue Viren.

(ascho/hs)

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Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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