Die Wohlfahrtsverbände in Deutschland geben in einer Broschüre Tipps zum Umgang mit rechtem Gedankengut. Anlässlich unserer Kampagne „Vielfalt gegen rechte Einfalt“ sprachen wir mit Christian Woltering (Paritätischer Wohlfahrtsverband) über die Gründe für dieses Engagement.

Christian Woltering ist Referent für fachpolitische Grundsatzfragen beim Paritätischen Gesamtverband.

Paritätischer Wohlfahrtsverband: Überparteilich, nicht unpolitisch

Herr Woltering, die von Ihnen herausgegebene Broschüre „Miteinander gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung“ versteht sich als Handreichung für die Mitarbeiter_innen in Wohlfahrtsverbänden zum Umgang mit Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Sollten Wohlfahrtsverbände nicht politisch neutral sein?

Wir haben uns als Gesamtverband vor etwa drei Jahren hier zu einer Positionierung entschlossen. Denn auch das sehen wir als eine unserer Aufgaben als Verband. Politische Überparteilichkeit bedeutet ja nicht, dass man sich aus dem politischen Geschehen heraushält, sondern lediglich, dass wir keine Parteipolitik machen.

„Wir wollen als Verband diese Gesellschaft gestalten“

Wir wollen als Verband diese Gesellschaft gestalten und damit auch politisch agieren. Daher kommen wir an Themen wie Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus nicht vorbei.

Seit 2013 widmet sich der Paritätische Gesamtverband nun auf verschiedenste Weise diesen Themen. Haben Sie dabei auch negative Reaktionen erhalten?

Ganz im Gegenteil. Wir haben in unseren Landesverbänden und Mitgliedsorganisationen sehr großes Interesse und Solidarität gespürt. Es wird allerdings dann etwas komplizierter, wenn es um konkrete Aussagen zu politischen Parteien geht.

Die NPD ist offensichtlich so weit im rechtsextremen Spektrum verankert, dass eine Distanzierung nicht problematisch war.

Bei der AfD hingegen waren die Diskussionen schon größer. Auch, weil lange Zeit nicht sicher war, in welche Richtung sich die Partei entwickelt. Aber letztendlich konnten wir uns im Dezember 2016 mit einer Stellungnahme des Verbandsrates eindeutig gegen die AfD positionieren.

Wohlfahrtsverbände sind vor Rechtspopulismus nicht geschützt

Die Handreichung „Miteinander gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung“ ist unter anderem als Argumentationshilfe für die Beschäftigten in den Mitgliedsorganisationen gedacht, die im direkten Kontakt mit Klient_innen mit rechtspopulistischen Äußerungen konfrontiert sind. Wie aber sieht es innerhalb der Mitgliedsverbände selbst aus?  

Wir haben keinen moralischen Bonus, der uns davor schützt, dass auch in unseren eigenen Reihen solches Gedankengut geprägt wird. Dagegen sind wir als zivilgesellschaftlicher Akteur genausowenig gefeit wie Sport- oder Kulturverbände.

Wir haben allerdings eine besondere Verantwortung, damit vorsichtig und aufmerksam umzugehen. Zum Beispiel gegenüber unseren Klienten, gerade in besonders sensiblen Bereichen wie der Flüchtlingsarbeit, aber auch der Obdachlosen- und Behindertenhilfe.

„Wir haben keinen moralischen Bonus“

Es ist uns wichtig, deutlich zu machen: Wer bei uns im Verband aktiv ist, soll sich klar gegen diese Einstellungen positionieren. Bei der Broschüre war uns dabei wichtig, nicht auf einer wissenschaftlichen Meta-Ebene zu bleiben, sondern den Menschen vor Ort Hilfestellungen an die Hand zu geben, die ihnen unmittelbar nützen können.

Paritätischer Wohlfahrtsverband: „Keine vernünftige Auseinandersetzung“

Menschen, die selbst sozial benachteiligt, auf Hilfe angewiesen oder bedürftig sind, fürchten oftmals Verteilungskämpfe. Wie können die Beschäftigen in den Verbänden auf diese Sorgen ihrer Klient_innen reagieren?

Rechtspopulisten stellen zwar häufig die richtigen Fragen, aber geben selten die richtigen Antworten. Und so ist es in diesem Fall auch. Wenn von rechtsextremistischer bzw. rechtspopulistischer Seite bestimmte Missstände angeprangert werden, dann ist das natürlich nicht immer falsch.

„Das Ziel muss sein, allen zu helfen“

Die geforderten Lösungen aber gehen aber weit an dem vorbei, was wir uns vorstellen können. Häufig geht es in erster Linie darum, öffentliches Feedback zu erhalten, nicht aber um eine inhaltliche, vernünftige Auseinandersetzung mit sozialen Problemen.

Ich glaube, die einzige Möglichkeit ist, immer wieder deutlich zu machen, dass es niemanden etwas bringt, die Schwachen gegen die noch Schwächeren auszuspielen. Es hilft mir in meiner schwierigen Lebenssituation nicht weiter, wenn es anderen auch schlecht oder noch schlechter geht. Das Ziel muss sein, allen zu helfen.

Häufig findet nur Symbolpolitik statt

Zeigen sich bei denen, die vor Ort in den Wohlfahrteinrichtungen arbeiten, Symptome der Erschöpfung und Frustration?

Natürlich gibt es das. Wenn man etwa seit vielen Jahre in einem bestimmten Bereich wie Sisyphos versucht, Verbesserungen für die eigenen Klienten zu bewirken, und immer wieder an bestimmten Hürden gescheitert ist – und man gleichzeitig beobachten muss, dass bei anderen Gruppen ganz schnell und flexibel geholfen werden kann.

„Es bringt nichts, Schwache gegen noch Schwächere auszuspielen“

Um ein Beispiel zu nennen: In Baden-Württemberg wurde ein Jobcenter errichtet, das ganz speziell auf den Bedarf von Geflüchteten zur Integration in den Arbeitsmarkt ausgerichtet ist. Natürlich irritierte das die Arbeitslosen- und Unterstützerorganisationen vor Ort, die seit Jahren fordern, dass die Jobcenter besser ausgestattet werden müssen, um zu einer besseren Betreuungssituation zu kommen.

Allerdings sind die meisten, die ich kennengelernt habe, so reflektiert, dass sie sich darüber freuen können, wenn für bestimmte Personengruppen etwas getan wird. Sie nehmen das dann aber zum Anlass, auch für ihre eigene Gruppe Verbesserungen einzufordern.

Soziale Unzufriedenheit: Nährboden für Populismus

Wir wissen noch nicht, welche Koalition das Land nach der Bundestagswahl regieren wird. Unabhängig vom Wahlausgang: Welche Aufgaben müsste die neue Regierung anpacken, um gegen die Missstände und Unzufriedenheit im sozialen Bereich vorzugehen?

Grundsätzlich muss für alle Gruppen, die sich in einer schwierigen Situation befinden oder schlicht in Not leben, etwas getan werden.

„Wir wünschen uns eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den sozialen Problemen“

In den letzten Jahren haben wir auf Bundesebene leider immer wieder einen Hang zur Symbolpolitik erlebt: Es werden kleine Programme aufgelegt, die von ihrer Intention gut, aber viel zu klein sind oder in Leuchtturmprojekten verharren. Wir wünschen uns daher eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den sozialen Problemen in Deutschland.

Können Sie dies an einem Beispiel festmachen?

Nehmen wir die Integration von Langzeitarbeitslosen. Da wird ein Integrationsprogramm aufgelegt, das gerade mal 20.000 Menschen erreicht. Bei über einer Million Menschen, die seit mehr als zehn Jahren in Langzeitarbeitslosigkeit leben, ist das nur ein Tropfen auf den heißen Stein und führt natürlich zu Unzufriedenheit.

Dies wiederum ist ein starker Motor, sich politischen oder extremistischen Gruppierungen zuwenden – auch aus Enttäuschung oder Frust über die nicht bewältigten Probleme.

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist groß

Ist unser Land unsozialer als es sein könnte?

Das hängt davon ab, was man darunter versteht. Die Gesellschaft, denke ich, ist alles andere als unsozial. Das hat man gerade bei der Aufnahme der Geflüchteten bemerkt, wo wir immer noch eine viel größere Solidarität erleben als Hass.

„Die Gesellschaft ist alles andere als unsozial“

Ein anderes Bild ergibt sich beim Blick auf die Schere zwischen Arm und Reich: Wir sind eines der reichsten Länder der Welt. Jedes Jahr werden neue Rekorde gebrochen, steigt die Zahl der Millionäre und Milliardäre, und trotzdem haben wir in vielen Bereichen deutliche Negativentwicklungen – nicht nur bei der Armutsquote, sondern auch bei der Zahl der Wohnungslosen oder zum Beispiel jener Menschen, die aufgrund psychischer Probleme in die Wohnungsnot abrutschen. Da sehen wir auch die Politik in der Verantwortung.

Was kann der oder die Einzelne dazu beitragen, dass das gesellschaftliche Zusammenleben solidarischer und sozialer wird?

Das muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden. Es ist aber auch klar, dass wir nicht darauf verzichten können, dass sich Menschen über das private Umfeld hinaus bürgerschaftlich und im Ehrenamt engagieren.

Für einen Verband wie den unseren, der sehr stark über Ehrenamtlichkeit funktioniert, ist dies ein zentraler sozialer Klebstoff, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Daher wäre es wünschenswert, wenn es über alle sozialen Gruppen hinaus ein noch stärkeres gesellschaftliches Engagement gäbe.

Paritätischer Wohlfahrtsverband: Bundestagswahl ist Richtungsentscheidung

Ist die anstehende Wahl eine Richtungsentscheidung? Stehen gesellschaftliche und politische Werte auf dem Spiel?

Wenn die AfD in den Bundestag kommt – und davon muss man momentan ausgehen –, ist das meiner Ansicht nach durchaus eine Richtungsentscheidung.

Wenn eine rechtspopulistische und in Teilen rechtsextremistische Partei im Bundestag sitzt, wird sich das zwar vielleicht vorerst nicht unmittelbar in der Regierungspolitik niederschlagen, aber es wird die politische Öffentlichkeit, unser politisches Selbstverständnis und auch die politischen Diskussionsprozesse verändern. Bestimmte Themen werden mit Sicherheit anders diskutiert werden.

Die politische Öffentlichkeit wird sich verändern

Früher hatte man vielleicht nur eine Erika Steinbach, die rechte Positionen vertreten hat, wir haben dann vielleicht eine ganze Fraktion, die mit rechtspopulistischen Äußerungen provoziert.

Darüber hinaus wird es auch ganz praktische Auswirkungen geben. AfD-Abgeordnete werden in Ausschüssen sitzen, die Partei wird mit staatlichen Mitteln gefördert werden. Sorge macht mir auch, dass wir ein Parlament mit so vielen Parteien haben, dass die AfD eines Tages vielleicht doch als Koalitionspartner in Betracht gezogen wird.

Rückkehr zu einer politischen Debattenkultur

Der Frust, die Unzufriedenheit über die gegenwärtige Lebenssituation führt bei manchen Menschen dazu, gar nicht mehr erst zur Wahl zu gehen. Was kann man dieser Haltung entgegensetzen?

Wenn man nicht zur Wahl geht, ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass gerade jene politischen Parteien oder Personen mehr an Einfluss gewinnen, deren Position man eigentlich ablehnt. Wer mitreden, wer die Gesellschaft mitgestalten möchte, muss auch zur Wahl gehen und sich am demokratischen Prozess beteiligen.

Es reicht allerdings nicht aus, alle vier Jahre sein Kreuzchen zu machen. Man muss zum Beispiel auch wieder bereit sein, im privaten Umfeld politisch zu diskutieren. Ich denke, das ist in den vergangenen Jahren ein wenig verloren gegangen.

Die Leute sind zunehmend erschöpft von den politischen Auseinandersetzungen. Das führt dann leider dazu, dass sich die lauteste Stimme durchsetzt – und das ist oft eine populistische oder sogar extremistische. Ich würde mich daher sehr freuen, wenn wir wieder zu einer politischen Debattenkultur zurückfinden.

Wichtige Themen drohen in den Hintergrund zu geraten

Inwieweit können populistische Haltungen die Arbeit in den Wohlfahrtsverbänden bedrohen?

Die Gefahr, die ich sehe, ist eine Verschiebung der Themen. Je nachdem, welche Themen zum Beispiel auch von den Medien aufgegriffen oder am Lautesten diskutiert werden, geraten dafür andere, vielleicht wichtigere Themen in den Hintergrund.

Wenn man sich zum Beispiel den Umgang mit Obdachlosigkeit ansieht: Da fand jahrelang kein Diskurs statt. Es gibt nicht einmal eine bundesweite Statistik dazu. Das ist eigentlich ein untragbarer Zustand, weil dadurch auch keine wirklichen Strategien entwickelt werden können.

Gerade beim Thema Obdachlosigkeit hat sich der Diskurs innerhalb rechtspopulistischer Kreise aber durchaus verändert.

Diese Argumentation, die Flüchtlinge nehmen unseren deutschen Obdachlosen die Unterkunft weg – nachdem die Obdachlosen von rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Szene in den vergangenen Jahrzehnten massiv bedroht wurden –, ist schon recht skurril. Obdachlose werden nun als Feigenblatt hervorgeholt, weil man sich der nächsten Gruppe widmet, die man noch mehr verabscheut als Obdachlose.

Das zeigt nur, dass es in erster Linie nicht darum geht, etwas zu verändern, sondern nur darum, öffentliches Feedback zu erzeugen. Um eine inhaltliche, vernünftige Auseinandersetzung mit sozialen Problemen geht es den Rechtspopulisten meiner Meinung nach nicht.

 

Die Broschüre „Miteinander gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung“ kann auf der Seite des Paritätischen heruntergeladen werden.

Dieses Interview ist Teil unserer Kampagne „Vielfalt gegen rechte Einfalt“: Hier findest du weitere Inhalte und Materialien.

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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