Anfang Juli hatte ich mich beim CSD in Köln mit Affenpocken angesteckt. Vor allem am Schwanz hatte ich zwei große Pockencluster, die zwar zum Glück weitestgehend schmerzfrei, aber visuell ziemlich deutlich sichtbar waren. Ich hatte die Gelegenheit ergriffen und den ganzen Verlauf der Infektion in Form eines bebilderten und mit Videos versehen Tagebuchs dokumentiert. 

Mit diesem Artikel möchte ich etwas näher auf die Hintergründe der Infektion eingehen, meine Gedankengänge sowie die Reaktion von Arbeitskollegen und Freunden mit einbeziehen. Aber bevor wir loslegen, darf ich mich kurz vorstellen? Mein Name ist Sven, Jahrgang 1976 und wohnhaft im Raum Osnabrück und lebe seit fast 25 Jahren mit meinem Ehemann André zusammen. 2017 hatte ich zusammen mit einer Handvoll Gleichgesinnter die Homepage PrEP.Jetzt mit der dazugehörigen Facebook-Gruppe ins Leben gerufen. 

Seitdem habe ich in all den Jahren neben der HIV-PrEP-Beratung auch immer wieder über sexuell übertragbare Infektionen (STIs) informiert und aufgeklärt. Als dann plötzlich ab Mitte Mai die ersten Meldungen über Affenpocken in den Medien auftauchten, da ahnte ich schon, dass uns als Gruppe MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) das Thema mit den Affenpocken noch den ganzen Sommer über beschäftigen würde. 

In Windeseile hatten wir eine Affenpocken-Infoseite auf unserer PrEP-Homepage erstellt und auch in unserer Facebook-Gruppe über das Thema mit den neusten Entwicklungen informiert. Fast täglich jonglierte ich mit den neusten Infektionszahlen vom RKI und anderen Quellen und es zeigte sich, dass die Infektionszahlen stetig am Steigen waren. 

Da ist es fast schon ein Widerspruch, dass ich trotz dieser Entwicklung gerne in Sexclubs und Gay-Saunen unterwegs bin. Neben dem Sex mit meinem Mann hat Sex mit anderen Männern für mich einen sehr wichtigen und hohen Stellenwert, es ist mehr oder weniger essentiell für meine (wie sagt man so schön) „Work-Life-Balance“. 

Das Kölner CSD-Wochenende näherte sich in riesigen Schritten

und trotz der etwas beunruhigenden Entwicklung

packte ich meine ganzen Fetisch-Sachen zusammen.

Die Monate mit dem Corona-Lockdown und den damit verbundenen Einschränkungen z. B. in Gay-Saunen lagen nur wenige Monate zurück und waren für mich damals mental eine ziemlich starke Belastung. Umso mehr freute ich mich auf den bevorstehenden Sommer mit all den Möglichkeiten ohne Einschränkungen. 

Das Kölner CSD-Wochenende näherte sich in riesigen Schritten und trotz der etwas beunruhigenden Entwicklung (wir hatten gerade die Schallmauer von 1000 Affenpocken- Infektionen in Deutschland überschritten) packte ich meine ganzen Fetisch-Sachen zusammen, die ich an diesem langen Wochenende für die ganzen anstehenden Partys so alle brauchen würde und machte mich auf nach Köln. 

In Köln selbst wurde ich schnell von der Realität eingeholt. Einzelne Freunde und Bekannte, die ich nach langer Zeit mal endlich wieder sehen wollte, mussten kurzfristig wegen Affenpocken und der damit verordneten Isolation von mindestens 21 Tagen schon absagen. 

Fast jeder kannte andere Personen, die sich in den mittlerweile 45 Tagen seit dem Ausbruch angesteckt hatten.

Affenpocken war nicht mehr etwas aus Gran Canaria importiertes, es war bereits mitten unter uns und die Treffer kamen bedrohlich näher. Eine Absage des CSD-Wochenendes war aber nie ein wirkliches Thema für mich. Zwei Jahre bedingt durch die Pandemie waren die CSD-Partys ausgefallen, da war ein weiteres Jahr keine wirkliche Option. 

Nichtsdestotrotz, auf der Xtreme-Party am Freitagabend in der Essigfabrik wollte trotzdem nicht so recht Stimmung bei mir aufkommen. „Nüchtern im Flug“ betrachtet zollte meine emsige Aufklärungsarbeit über das Thema Affenpocken in den vergangenen sechs Wochen ihren Tribut bei mir, mein Kopf konnte nicht abschalten. Reizüberflutung. Pegel am Anschlag. 

So hatte ich auf der Xreme-Party auch längst nicht in dem Maß Sex mit anderen Kerlen, wie ich es eigentlich von mir gewohnt bin. Und trotzdem muss es genau hier passiert sein, dass ich mich mit Affenpocken infiziert hatte. Aber bei bzw. mit wem, dass bleibt in den nebligen Erinnerungen verborgen. Eigentlich möchte ich es auch gar nicht mehr ergründen, ändern tut es an der Sache ja eh nichts. 

Immerhin, die anderen Tage konnte ich das CSD-Wochenende dann doch noch etwas genießen, hatte ein paar Gelegenheiten zum Austoben und machte mich am Montagnachmittag nach der Poolparty in der Babylon Sauna auf den Weg zurück nach Osnabrück. 

Ich war am Montagabend noch keine Stunde Zuhause angekommen, da hatte ich plötzlich Schüttelfrost, Gliederschmerzen, Schnupfen und allgemeines Unwohlsein. Mein erster Gedanke war „Na toll, bestimmt Corona“, aber mehrere Schnelltests waren negativ. Am nächsten Morgen musste ich wieder zur Arbeit, ich fühlte mich immer noch etwas neben der Spur aber irgendwie habe ich den ersten Arbeitstag überstanden und war am Abend total platt. 

Die nächsten Tage bis zum Freitag verliefen wie eine Achterbahn. Mal ging es mir gut, dann wieder etwas schlecht und pünktlich zum Wochenende kam erneut ein größerer Schub mit Schnupfen und Unwohlsein. Morgens war der Schlafanzug durchgeschwitzt. Und ich bemerkte da das erste Mal am Schwanz etwas, was meine Aufmerksamkeit erregte. 

Eigentlich war die Sache klar um was es sich handelt, aber innerlich war ich zerrissen.

Es sah an zwei Stellen aus wie ein entzündeter Haarfollikel nach der Intimrasur, ein kleiner weißer Stippen. Das passiert bei mir immer wieder Mal aber irgendwie hatte ich eine innerliche Vorahnung und hatte daher zwei Fotos mit dem Handy gemacht. 

Das Wochenende war vorbei und die Arbeit rief wieder. Immerhin war ich körperlich wieder einigermaßen fit, die zwei Stellen am Schwanz bereiteten mir aber weiterhin noch Kopfzerbrechen. Sie waren etwas größer geworden. Eigentlich war die Sache klar um was es sich handelt, aber innerlich war ich zerrissen. Redete mir ein, dass es vielleicht in zwei oder drei Tagen schon wieder abgeheilt sein könnte – ich es irgendwie „unter dem Radar“ behalten könnte. 

In erster Linie wollte ich aber wohl aus falscher Rücksichtnahme auf meinem Arbeitgeber die Isolation vermeiden und ihm damit nicht zur Last fallen. Viele kennen bestimmt dieses Gefühl, wenn man sich krank melden muss. 

Zwischenzeitlich hatte sich meine HIV-/PrEP-Schwerpunktambulanz gemeldet und meinem Mann und mir überraschend einen Affenpocken-Impftermin angeboten, den ich sofort zugesagt hatte. Ich war begeistert! Während in Berlin noch bürokratische Schritte den Start der Impfkampagne fahrlässig verzögerten, hatte das Leben in der Provinz endlich auch mal einen Vorteil… 😉 

Die Freude währte aber nur kurz. Zur Wochenmitte musste ich dann nämlich die Reißleine ziehen. Neben einem plötzlichen erneuten Schub an Unwohlsein und Schüttelfrost zeigte sich nun auch in der rechten Handinnenfläche ein kleiner weißer Pickel, leicht druckempfindlich wenn ich mit den Fingern drüber strich.

Ich hatte große Sorgen, dass sich weitere Pocken an sichtbaren Körperstellen wie z.B. im Gesicht bilden könnten.

Und ich dann vielleicht sogar für die Kollegen ansteckend sein könnte. Oder Ausreden erfinden müsste, was ich denn habe. Zu später Abendstunde schrieb ich dem Chef daher eine Mail und druckste erst gar nicht um das Thema rum sondern legte gleich alle Karten auf den Tisch und meldete mich krank. 

Ebenso informierte ich meine Arbeitskollegen in unserer WhatsApp-Gruppe, beendete meine Nachricht mit „Und nein, das ist kein Scherz!“. Ich konnte förmlich spüren, wieder jeder Kollege nach dem Lesen meiner Nachricht Google angeworfen hatte, um sich über Affenpocken zu informieren. Dadurch auf den Seiten vom RKI landete. Vermutlich in den FAQs dann auch gelesen hatte, dass man sich auch über „kontaminierte Oberflächen“ anstecken könne. Ich konnte bei diesem Punkt dann aber alle schnell beruhigen, dass keine Gefahr bestand. 

Damit wussten die Kollegen dann aber auch, dass ich mich beim Sex mit anderen Männern angesteckt hatte. Das war aber kein wirkliches Problem für mich. Ich war schon immer den Kollegen gegenüber offen mit dem Thema umgegangen. Dass mein Mann und ich eine offene Beziehung führen ist somit kein Geheimnis. 

Gleich am nächsten Morgen rief ich bei der PrEP-Ambulanz an und erklärte die Situation. Nach einigem hin und her wegen einem Termin sollte ich dann am selben Nachmittag beim Arzt vorstellig werden, an dem auch die ganzen Impfungen gegen Affenpocken durchgeführt wurden, auch wenn dies den Praxisablauf etwas durcheinander brachte. Das Gesundheitsamt machte Druck, damit das Ergebnis von meinem Abstrich noch vor dem Wochenende vorliegt! 

Als ich in der Infektionsambulanz ankam herrschte im Wartebereich der Praxis großes Gewusel. Alle warten sie darauf, den Pieks in den Oberarm zu bekommen, die erste Impfdosis gegen Affenpocken. Von der Sprechstundenhilfe wurde ich gleich abgefangen und in ein kleines Behandlungszimmer geleitet. 

Was für eine skurrile und in Teilen vielleicht auch absurde Situation: Ich selbst, der seit Wochen über Affenpocken aufgeklärt hatte, ich selbst sollte nun auf Affenpocken untersucht werden, während die anderen Jungs und Kerle auf die Impfung warteten, sich vielleicht vorab schon auf meiner PrEP-Homepage oder in der Facebook-Gruppe zum Thema Affenpocken informiert hatten. 

Nach etwas Wartezeit kam der Arzt in voller Schutzmontur ins Zimmer. Ich zeigte ihm die Auffälligkeiten in der Handinnenfläche und am Schwanz. Es wurden Abstriche gemacht und die Probe mit extra bestellten Express-Kurierfahrer sofort ins Speziallabor gebracht, damit noch vor dem Wochenende das Ergebnis vorliegt. 

Innerlich fiel ein großer Stein von meinen Schultern, als ich die Krankmeldung in den Händen hielt. Die ganze innere Zerrissenheit der letzten Tage war weg und ich konnte mich nun voll und ganz auf mich und meine Genesung konzentrieren. Und das war auch nötig, denn das was noch kommen sollte ging weit über das hinaus, was ich erwartet hatte. 

Schon gleich am nächsten Tag rief am Abend das Gesundheitsamt an und teilte mir das Ergebnis mit: „Positiver Befund“

Alles andere hätte mich auch überrascht. Keine Ahnung wieso, aber irgendwie hatte ich im Vorfeld jemanden am Telefon erwartet, der in preußischer Disziplin auf mein Fehlverhalten hinweist und dann zack-zack die Isolation anordnet. Aber das Gespräch mit der Mitarbeiterin verlief überaus freundlich und empathisch. Sie merkte auch recht schnell, dass in Sachen Affenpocken bei mir kein Aufklärungsbedarf mehr Bestand.

Da mein Mann keine Symptome zeigte, mittlerweile ja auch die Impfung bekommen hatte und wir schon längere Zeit getrennte Schlafzimmer haben musste er auch nicht in Quarantäne und konnte seiner Arbeit weiter nachgehen. 

Dass mein Schatz die Impfung bekommen hatte war daher auch eine unglaubliche Erleichterung für mich und dem (in Teilen vorsichtigen) Zusammenleben im Haus. Mit jedem Tag wurde unser Zusammenleben wieder etwas entspannter. Hatten uns auch mal wieder in den Arm genommen. Auf Sex hatten wir aber natürlich erst noch weiter verzichtet. 

Mit Beginn der angeordneten Isolation schlugen die Pocken bei mir dann erst richtig zu: Rechte Handinnenfläche, linker Ringfinger, unterhalb des Bauchnabels und unter beiden Füßen (1x Ferse, 1x Fußsohle) bildeten sich u.a. Pocken. Spätestens dann hätte es auf der Arbeit Probleme gegeben, da Schuhe unangenehmen Druck auf die Pocken ausübten und ich gehumpelt hätte. 

So richtig wild wurde es aber am Schwanz. Es bildeten sich zwei große Pockencluster, die ziemlich übel aussahen. Es erstaunt mich noch heute, dass ich dabei kaum Schmerzen hatte, trotz dass die Lymphknoten in der Leistengegend geschwollen waren. 

Die zwei großen, manchmal leicht blutenden oder nässenden Wunden am Schwanz sahen aus, als wären dort irgendwelche Insektenlarven von unterhalb der Haut ausgeschlüpft. Es schüttelt Dich an dieser Stelle? Dann warte mal ab, bis Du die Bilder im Tagebuch gesehen hast… *g* 

So erschreckend das alles auch ausgesehen hatte, so kam dann auch doch der Nerd in mir durch: Alles wurde gründlich mit dem Smartphone dokumentiert, ich achtete auf passende gleichbleibende Lichtverhältnisse und Sichtachsen zwischen den Tagen und genoss das sonnige Sommerwetter auf der Terrasse und im Garten. Und immer wieder nahm ich mir Zeit und übte Selbstreflektion. 

Etwa 18 Tage waren seit der Party-Wochenende in Köln vergangen als ich merkte, dass ich über den Berg bin.

Es kamen keine neuen Pocken mehr dazu, der letzte Schub an Unwohlsein lag auch schon fast eine Woche zurück. Es dauerte aber noch eine ganze Zeit, bis die Narben am Schwanz weitestgehend abgeheilt waren. 

Das war die ganze Zeit meine größte Sorge: Dass es bleibende Narben am Schwanz geben könnte. Auf Grund seiner Größe (ich will hier jetzt nicht zu sehr ins Detail gehen *g*) zeige ich gerne, was ich in der Hose habe. Aus dem Grund hatte ich die Gelegenheit, beim Hustlaball in Berlin zusammen mit Pornostars auf der Bühne vor Publikum zu performen. 

Umso erleichterter war ich, als absehbar war, dass es keine bleibenden Narben geben wird und ich einfach nur etwas Geduld mit dem Heilungsprozess haben muss. Mitte August hatten mein Mann und ich dann das erste Mal wieder Sex. Zwei Monate waren seit dem letzten Sex mit ihm vergangen. Eine gefühlte Ewigkeit. Und das mitten im Sommer, wo normalerweise die Hormone sprudeln. Und es hat alles funktioniert, wie es sollte… 🙂 

Jetzt wo die Tage schon wieder spürbar kürzer werden und der Herbst an der Tür klopft und ich diesen Text schreibe gehen meine Gedanken zurück. Im Leben hätte ich es mir nicht träumen lassen, was diesen Sommer ohne Vorwarnung mitten unter uns in der MSM- Community passiert ist und immer noch passiert. Dass plötzlich, wie mit einem Fingerschnipp, etwas aufgetaucht war, was viele verunsichert hat und Erinnerungen an Zeiten geweckt hat, von denen wir dachten, dass sie eigentlich schon längst hinter uns lagen… Das Leben wird nicht langweilig. 

Vielen Dank, wenn Du bis hierhin durchgehalten hast. Gerne lade ich Dich noch ein, ein Blick in mein bebildertes Affenpocken-Tagebuch zu werfen. 

Hier der Link zum Tagebuch: https://prep.jetzt/mpx/tagebuch/

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