Florian, 38, putzt in einem schwulen Sexclub – und war niemals glücklicher.

Es ist Freitag, 9:30 Uhr, in der Nähe einer Autobahn, irgendwo in Berlin-Schöneberg. Der Himmel ist grau und es scheint so, als würde es bald regnen. In einer großen Einfahrt, gleich neben einer Autowerkstatt, befindet sich ein Sexclub für schwule Männer, der von außen kaum als solcher erkennbar ist. Gestern war eine Fistparty im Club. Der Eintrittspreis für die Gäste richtet sich nach dem zu erwartenden Reinigungsaufwand – Gestern kostete es satte 18 Euro. Jetzt, wenige Stunden nach dem Event, beginnt Florians Arbeitstag. Er ist der Putzmann.

Foto: Rebecca Rütten

Im dunklen Eingangsbereich des Sexclubs hängt ein Vorhang aus dickem, durchsichtigem Plastik. Gleich dahinter ist eine Bar, an der Florian eine Zigarette raucht. Hinter dem Tresen hängen riesige Poster hinter Plexiglas an der Wand. Eines der Poster zeigt eine Aufnahme von zwei Männern, die einem anderen Mann in einem Plantschbecken, ins Gesicht pinkeln. Darunter steht eine Auswahl an Gleitmitteln und hochprotzentigem Alkohol. Florian arbeitet hier bereits seit sechs Jahren. Er ist ungefähr 1,60 Meter groß, hat kurze, schwarze Haare, einen 3-Tage-Bart und trägt einen schwarzen Trainingsanzug. Er ist die Person, die den Club an fünf Tagen in der Woche putzt. Dann, wenn alle Lichter an, und keine Gäste mehr da sind.

Der Club erstreckt sich über drei Etagen. Nachdem Florian seine Zigarette geraucht hat, geht er die Treppen nach oben. Aufgrund einer Behinderung am rechten Bein, und an seinem rechten Arm, humpelt er. Oben angekommen, geht er über den klebrigen Boden – wahrscheinlich eine Mischung aus Gleitgel und Sperma – in eine Küche. Aus einem Schrank nimmt er Putzlappen, Handschuhe und einen Eimer. Dann geht er ins Badezimmer gleich daneben. Florian beginnt immer mit den Duschen und Toiletten. Er lässt Wasser in den Eimer und desinfiziert zuerst die Analdusche. Wenige Stunden zuvor haben sich Männer hier noch das Arschloch gespült. “Oft ist hier alles voller Kackspritzer”, sagt er. Heute sieht es aber harmlos aus. Die Fäkalien anderer Menschen weg zu schrubben, macht ihm nichts aus. Andernfalls könnte er den Job nicht machen.

Ursprünglich kommt Florian aus Rumänien, aus Slobozia, einer Stadt im Südosten des Landes, zwei Stunden vom Schwarzen Meer entfernt. Seit 11 Jahren lebt er bereits in Berlin. Er kam her, weil es in seiner Heimat keine Perspektive für ihn gab. Er verdiente zu schlecht, und auch sonst hielt ihn nichts. Florians Kindheit und Jugend in Rumänien waren nämlich geprägt von Gewalt. Er spricht offen über seine Vergangenheit und es scheint fast so, als wäre er froh, dass jemand nachfragt.

Ich wusste nichtmal was Schokolade ist, bis ich 16 oder 17 Jahre alt war

Gleich nach seiner Geburt wurde er von seinen Eltern im Krankenhaus abgegeben und wuchs deshalb in einem Kinderheim auf. “Es war sehr schlimm”, wiederholt er immer wieder, schüttelt den Kopf und schaut dabei auf den Boden. “Ich wusste nichtmal was Schokolade ist, bis ich 16 oder 17 Jahre alt war.” Ab seinem 6. Lebensjahr wurde er jeden Tag geschlagen und lebte in ständiger Angst. Prügel drohte jederzeit und ohne Grund. “Nachts haben mich manchmal zwei Männer mit meiner Decke aus dem Bett gerissen und ins kalte Wasser geworfen”, erzählt er. Tagsüber musste er mit den anderen Kindern auf die Straße betteln gehen. Das Geld sammelten die Betreuerinnen und Betreuer im Anschluss ein.

Foto: Rebecca Rütten

Die Behinderung hat Florian seitdem er 10 Jahre alt ist. Einer seiner Betreuer wurde irgendwann wütend, weil Florian ihm das gesammelte Geld nicht geben konnte. Das hatte er nämlich zuvor bereits einer anderen Betreuerin gegeben. Weil der Mann das nicht akzeptieren wollte, packte er Florian an Fuß und Arm, und schleuderte ihn mit voller Wucht dreimal auf den Boden. Er hatte mehrere Knochenbrüche und kam ins Krankenhaus – Bis heute kämpft er mit den Folgen.

Im selben Alter wurde Florian von einem anderen Lehrer zum Oralsex gezwungen. “Das war schrecklich”, sagt er. “Ich war einfach noch zu jung.” Der Mann kam immer in Florians Schlafzimmer, wenn die anderen Kinder weg waren. Er vergewaltigte ihn, und zwar über längere Zeit. Wenn er darüber spricht, lächelt er immer wieder, so als würde er die Gedanken daran gleich abschütteln und mit neuen ersetzen. Die Erfahrungen waren traumatisch. Noch heute wacht er nachts auf und hat Alpträume. Florian ist sich deshalb noch immer sicher: “So bin ich schwul geworden.”

Später, mit 13 oder 14 Jahren, wurde er zum ersten Mal für Sex bezahlt. Ein Lehrer aus seiner Schule, der Frau und Kinder hatte, gab ihm Zigaretten oder Schokolade als Gegenleistung. Florian wirkt stolz, wenn er darüber redet. “Wir haben uns mehrmals lange angeschaut und gelächelt, irgendwann passierte es dann”, erzählt er und lacht. “Seine Ehefrau war meine Geografielehrerin.”

Im Sexclub bereitet Florian einen neuen Eimer vor, nachdem die Toiletten und Duschen sauber sind. In der linken Ecke des Nebenraums hängt eine Sexschaukel, in der Stunden zuvor wahrscheinlich Männer lagen und sich fisten ließen. Jetzt fängt Florian an sie zu schrubben und benutzt dabei einen neuen Putzlappen als im Raum zuvor. Das Gleitgel, das speziell zum Fisten benutzt wird, ist immer hartnäckig und schwer wegzubekommen. Obwohl er das Reinigungsmittel in seiner Nase spürt, trägt er keinen Mundschutz. „Dann kann ich so schlecht atmen“, sagt er. Seine Haut trocknet von den Chemikalien immer aus und die Arbeit belastet seinen Rücken. “Aber das ist bei jedem Job so”, sagt er und lacht.

Ich wusste nur, wie ich ‚Kann ich eine Zigarette haben, bitte?‘ sage

In Berlin landete er 2009 zuerst auf dem Schwulenstrich im Tiergarten. Er fing an sich zu prostituieren, weil er kein Deutsch sprach und niemanden kannte. “Ich wusste nur, wie ich ‘Kann ich eine Zigarette haben, bitte?’ sage”, erzählt er. “Die Winter waren besonders hart.” Ein Jahr schlief er in der Nähe eines Toilettenhäussches in einem Schlafsack auf einem steinigen Boden. “Ich konnte immer nur bis drei oder vier Uhr morgens schlafen”, erzählt er. Drogen nahdm er nie, obwohl viele Männer um ihn herum täglich konsumierten. Wenn er keine Kunden hatte, ging er tagsüber in ein Internetcafé. Dort wärmte er sich auf und suchte online nach weiteren Männern, die ihn für Sex bezahlen. 50 Euro verlangte er mindestens, andere Männer im Tiergarten fickten auch schon für 10 Euro mit ihren Kunden.

Foto: Rebecca Rütten

Zum Essen und Duschen ging er in Sozialeinrichtungen, bis ihn einer der Männer, die er im Park kennenlernte, bei sich zuhause aufnahm. Die Beziehung hielt aber nicht. Im Internetcafé stieß er dann durch Zufall auf einen Verein, der Rumäninnen und Rumänen Hilfe in Berlin anbietet und sie bei der Jobsuche unterstützt. Er verabredete einen Termin und fand mit der Hilfe einer Mitarbeiterin des Vereins einen Putzjob in einem Hotel, in dem er auch übernachten konnte. Danach wurde sein Leben besser, gefestigter. Später bekam er dann in der Schwulensauna, in der er Stammkunde war, einen Job als Reinigungskraft.

In der Schwulensauna lernte er seinen heutigen Partner Ralf kennen, der dort als Masseur arbeitete. Er ist 16 Jahre älter als Florian. “Ich wusste, dass er mein Mann wird, als wir zum ersten Mal gefickt haben”, sagt er. Da Ralf nebenbei auch im Sexclub an der Bar arbeitet, vermittelte er Florian den Job als Putzmann.

Eine eigene Wohnung hatte Florian nie. „Es ist zu schwer als Rumäne eine Wohnung zu finden“, sagt er. Heute lebt er mit Ralf zusammen, nur wenige Meter vom Sexclub entfernt. Das Paar besitzt ein kleines Gartengrundstück in Potsdam und sie reisen im Urlaub gemeinsam durch die Welt. Brasilien steht als nächstes an. “Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals reisen kann”, sagt Florian. Zusammen mit Ralf flog er auch nach Rumänien und lernte seine Heimat neu kennen, ganz abseits der schmerzhaften Vergangenheit. “Rumänien kann auch ein schönes Land sein”, sagt er. Den Ort seines Kinderheim zeigte er seinem Partner aber nicht, obwohl der danach fragte. Das sei einfach zu schmerzhaft. Obwohl Florian seinen Job mag, ist die Belastung für seinen Körper mittlerweile einfach zu groß. Die harte körperliche Arbeit lässt sich mit seiner Behinderung nur schwer vereinen. Deshalb schlug er sich lange mit den Behörden und dem Papierkram herum – mit Erfolg. Schon in einem Monat steht ihm eine vorzeitige Behindertenrente zu. “Ralf hat mir viel geholfen”, sagt er. Seine Stimme verändert sich, er flüstert fast. Ralf hat ihn auch an einen Psychologen vermittelt, mit dem er über seine Zeit im Kinderheim sprechen kann. Sein Partner gebe ihm Kraft, sagt Florian, schüttelt seinen Kopf und schaut dabei lächelnd ins Leere, so als könne er nicht fassen, wieviel Glück er hat. “Dieser Mann ist mein Lottogewinn.”

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