Das Angebot an Gesundheits-Apps ist riesig, doch Verbraucherschützer_innen warnen vor der Speicherung und Weitergabe von Daten. Kriss Rudolph über Nutzen und Risiken für Menschen mit HIV

Fast die Hälfte aller Smartphone-Besitzer_innen in Deutschland verwendet eine Gesundheits-App. Von denen, die keine haben, kann sich wiederum fast die Hälfte vorstellen, künftig solche mobilen Anwendungen zu nutzen.

Das ergab eine repräsentative Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom, deren Ergebnisse Anfang Mai vorgestellt wurden. Das Angebot ist enorm: Je nach Schätzung bieten Apple, Google und Microsoft allein in den Kategorien „Medizin“ und „Gesundheit“ zwischen 80.000 und mehr als 100.000 Apps an.

Eine App zu HIV und Aids speziell für Seeleute

Darunter sind auch einige, die sich speziell mit HIV und Aids beschäftigen, und sie kommen aus allen möglichen Ländern. Es gibt sie in Singapur, in der Subsahara-Region Afrikas und – sogar speziell für Seeleute. Denn: „Seeleute unterliegen wie viele Verkehrsbeschäftigte einem besonders hohen HIV/Aids-Risiko“, sagt Jacqueline Smith von der internationalen Gewerkschaft für Transportarbeitende, ITF.

Mit Mythen aufräumen und Stigmatisierung entgegentreten

Neben Informationen zur Übertragung und Behandlung von HIV nennt die App ITF Wellbeing Beispiele von Arbeitnehmer_innen, die der mit der Krankheit verbundenen Stigmatisierung entgegentreten, und erläutert die internationale Rechtslage. Darüber hinaus räumt sie mit Mythen auf, die sich seit Jahren halten, etwa, dass man mit einer HIV-Infektion nicht mehr arbeiten könne. Dabei sind Menschen mit HIV so gut wie alle anderen für alle Arten von Beschäftigung geeignet. Alles sehr vernünftige Hinweise – was leider keineswegs selbstverständlich ist, denn in manchen Apps wird HIV als „tödliche Krankheit“ bezeichnet, ohne darauf hinzuweisen, dass die HIV-Therapie ein langes und weitgehend normales Leben ermöglicht. Möglicherweise in der Hoffnung, dass es den Absatz fördern möge.

Per Quiz das HIV-Risiko ermitteln

Viele Apps bieten Aufklärung und praktische Hilfe im Bereich Safer Sex. iCondom etwa zeigt, wie weit es bis zum nächsten Kondom-Automaten ist, und die an der Uni Liverpool entwickelte HIV iChart gibt Auskunft darüber, wie HIV-Medikamente mit anderen Arzneimitteln wechselwirken. Wer unsicher ist, wie Sex Safer funktioniert, dem hilft beispielsweise der HIV Risk Calculator: Nach einem potenziellen Risikokontakt kann man in einer Art Quiz mit sehr anschaulichen Piktogrammen herausfinden, wie groß das Risiko je nach Sexpraktik war. Auch die App HIV / AIDS Test bietet einen solchen Test in Quizform an und empfiehlt je nach Ergebnis den Gang zum Arzt/zur Ärztin oder zur nächstgelegenen Klinik.

Ist eine PEP fällig?

Vergleichbares gibt es auch auf dem deutschen Mark. Die App PepCheck wurde nach Leitlinien der Deutschen AIDS-Gesellschaft e. V. entwickelt, ist aber nur für iPhone-Nutzer_innen erhältlich. Hiermit lässt sich zum Beispiel klären, ob nach einem Risikokontakt eine Post-Expositions-Prophylaxe (PEP) angezeigt ist. Neben einem ausführlichen Überblick zu HIV und Aids bietet die App auch einen Sofortmaßnahmen-Katalog und hilft via GPS-Funktion bei der Suche nach der nächstgelegenen Klinik mit einem 24h-PEP-Angebot.

Dank Smartphone die nächste Tabletten-Einnahme nicht vergessen

Zu den beliebtesten Gesundheits-Apps gehören in Deutschland laut Bitkom-Umfrage Anwendungen, mit denen sich Vitaldaten aufzeichnen lassen, etwa die Herzfrequenz oder der Blutdruck, und solche, die an Impfungen oder – interessant für Menschen mit HIV – an die Einnahme von Medikamenten erinnern.

Laut Weltgesundheitsorganisation WHO nimmt jede_r Zweite mit einer chronischen Erkrankung seine_ihre Medikamente nicht verschreibungsgemäß ein. Werden die Medikamente nicht regelmäßig eingenommen, kann es bei einer HIV-Infektion die Folge haben, dass sich resistente Viren bilden und die Therapie versagt. Doch gibt es mittlerweile technische Mittel, die bei der Medikamenteneinnahme unterstützen.

Die deutschsprachige App My Therapy, entwickelt durch das deutsche Software-Unternehmen smartpatient in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité und dem Münchner Klinikum rechts der Isar, gehört zu den beliebtesten Anwendungen für chronisch kranke Menschen. Die Erinnerungsfunktion zur Medikamenten-Einnahme führte laut Pilotstudie der Charité dazu, dass Behandlungen deutlich besser verfolgt wurden. Mit der App lassen sich außerdem Messwerte wie Gewicht und Blutdruck dokumentieren, es gibt die Funktion eines Stimmungstagebuchs bei Depressionen sowie ein ausdruckbares Tagebuch für den Arzt.

Gesundheits-Apps und Datenschutz

Eine persönliche Registrierung ist hier nicht nötig (was nicht für alle Apps gilt, die sich an Menschen mit HIV richten). Die Hersteller der TÜV-zertifizierten App „setzen auf deutsche Verschlüsselungsstandards“, erklären sie im App-Shop. Der Datenschutz ist ein wichtiger Aspekt bei der Nutzung von Gesundheitsapps, gerade für Menschen mit HIV, die immer noch in der Gesellschaft stigmatisiert werden. Laut Charismha-Studie findet er bei den Gesund­heits-Apps bislang nicht ausreichend Beachtung. Welche Daten genau erhoben werden, wer auf sie zugreift und wie sie geschützt werden, ist oft nicht klar.

Wer garantiert, dass die Daten sicher sind?

Dass man sich bei Apps wie HIV Self Test mit seiner Handynummer oder dem Facebookprofil anmelden muss, dürfte für HIV-positive User_innen abschreckend sein. Und wenn man bei iStayHealthy Daten wie Blutwerte oder die Anzahl der Helferzellen via E-Mail oder Dropbox exportieren kann – wer garantiert dafür, dass die Daten dort sicher sind?

Bitkom fand bei einer anderen Umfrage heraus, dass sich jede_r Dritte in Deutschland vorstellen kann, seine Gesundheitsdaten an die eigene Krankenkasse weiterzuleiten. Aber schon 2015 warnten die Verbraucherzentralen vor einem sorglosen Umgang mit persönlichen Daten bei digitalen Gesundheitsangeboten. Dies könne zu einer Rundumüberwachung führen, sagte der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller.

Darum haben die Datenschützer_innen des Bundes und der Länder im vergangenen Jahr einen effektiveren Schutz der verarbeiteten Daten bei Gesundheits-Apps und Wearables gefordert – das sind kleine Computer wie Smartwatches oder Fitnessarmbänder. In einer Stichprobe Ende 2016 zeigte sich, dass Datenschutzerklärungen oft mangelhaft und der Umgang mit den erhobenen Daten oft intransparent waren. Bundes­gesund­heits­minister Hermann Gröhe (CDU) forderte darum klare Qualitäts- und Sicher­heits­stan­dards für Patient_innen, medizi­nisches Personal und App-Hersteller.

Nur attraktiv, solange man jung, fit und gesund ist

Auch Krankenkassen bieten eigene Gesundheits-Apps an. Dazu muss man wissen, dass die gesetzlichen Kassen gesammelte Daten für Studien nutzen dürfen. Dafür können die App-Nutzer_innen bei gesund­heits­bewusstem Verhalten Punkte sammeln und Prämien erhalten. Nicht erlaubt ist es den gesetzlichen Kassen dagegen, die Höhe der Beiträge vom Verhalten der Versicherten abhängig zu machen, etwa bei Sportler_innen, die per App ihre Daten über­mitteln. Ihnen darf kein günstigerer Tarif eingeräumt werden als Unsportlichen. Unabhängig von Verhalten oder Gesund­heits­zustand zahlen also alle Kund_innen weiter den gleichen Beitrag.

Mit dem Prinzip der solidarischen Versicherung hat das nicht mehr viel zu tun

Bei privaten Versicherungen liegt die Sache anders: Sie dürfen mithilfe von Gesund­heits­daten ihrer Versicherten neue Tarife entwickeln und auf die Person zuge­schnittene Preise verlangen. Mit dem Prinzip der solidarischen Versicherung hat das nicht mehr viel zu tun. Außerdem warnte der Chef der Verbraucherzentralen, dass solche Belohnungssysteme „vermeintlich attraktiv wie ein Wurm an der Angel“ daherkommen, wenn man jung, gesund und fit ist. Man wisse aber, dass dies selten bis zum Ende des Lebens so sei, „und insofern können wir nur eindeutig davor warnen“, sagt Müller weiter.

Eine ganz andere Dimension hat der Datenschutz für HIV-positive Versicherte beim Abschluss von Berufsunfähigkeitsversicherungen. Nach Recherchen des Portals positiv-versichert.de fragen alle deutschen Lebensversicherer in den Anträgen explizit nach HIV. Ein Ja führe nach dem letzten Stand der Recherchen im Jahr 2016 ohne Ausnahme zur Ablehnung.

Augen auf bei der App-Wahl

Es gilt also, seine Gesundheits-Apps sorgfältig auszuwählen. Die Techniker Krankenkasse (TK) weist auf ihrer Homepage darauf hin, dass die wenigsten von staatlicher Seite überprüft wurden, als Medizinprodukt zugelassen sind und eine CE-Kennzeichnung besitzen.

Die Stiftung Warentest rät, bei der Auswahl einer App Punkte wie Zweckbestimmung, Funktion, wissenschaftliche Evidenz und Datenschutzerklärung zu beachten. Vertrauenswürdige Angebote, so die TK, legen dar, „wie die App finanziert wurde, nennen Geldgeber, zum Beispiel Sponsoren beziehungsweise Kooperationspartner“.

Bei Apps, die Informationen rund um HIV und AIDS anbieten, ist außerdem auf regelmäßige Updates zu achten. Werden solche Angebote nicht immer wieder auf den aktuellen Stand der Forschung gebracht, sind sie obsolet und sogar potenziell riskant.

Als Faustregel stellt die Techniker Krankenkasse zudem fest: „Ein hohes Risiko stellen Apps dar, die vorgeben, eine Diagnose ermitteln zu können […] Eine falsche Diagnose ist gefährlich, weil sie den Nutzer davon abhält, einen Arzt aufzusuchen, oder den Anwender bei falschem Krankheitsverdacht unnötig in Verzweiflung stürzt.“

Weitere Informationen:

Checkliste der Techniker Krankenkasse zu Gesundheits-Apps

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