Dr. Tatjana Zimenkova von der Uni Bielefeld (Foto: privat)
Dr. Tatjana Zimenkova von der Uni Bielefeld (Foto: privat)

Auf der Tagung „Gold für Equal Rights“ kamen am 1. Februar neben LGBT-Aktivist_innen auch Wissenschaftler_innen zu Wort: Dr. Tatjana Zimenkova von der Uni Bielfeld richtete in ihrem Vortrag das Augenmerk auf die institutionellen Mechanismen hinter der Homophobie. Christina Laußmann hat die Soziologin noch einmal hierzu befragt.

Frau Dr. Zimenkova, immer wieder hören wir von gewalttätigen Übergriffen auf LGBT. Sie sagen, aus soziologischer Sicht ist Homophobie nicht immer ein Ausdruck von Hass, sondern da steckt auch anderes dahinter.

Natürlich würde ich sagen, dass bei Menschen, die anderen Gewalt antun, auch Hass dahintersteckt, keine Frage. Homophobie sollte aber nicht darauf reduziert werden. Hinter ihr stehen auch Institutionen und Mechanismen, die für ein gesellschaftliches Klima sorgen, das in solchen Hass-Taten eskaliert. Mit Blick auf die Institutionen glaube ich aber, dass es den meisten nicht um diese eine Gruppe geht, die diskriminiert wird.

„Institutionen streben nach Konsolidierung und verfolgen bestimmte Interessen“

Welche Institutionen und Mechanismen sind das?

Es handelt sich hier um verschiedene Akteure – wir Soziologen sprechen von Institutionen. Alle Institutionen streben nach Konsolidierung und verfolgen bestimmte Interessen: Politische Parteien z. B. wollen mithilfe von Homophobie eine konservative Wählerschaft gewinnen. Medien profitieren von der Kontroverse und wollen über das Publikumsinteresse vielleicht ihre Auflage oder Quote steigern. Der Kirche geht es um Normierung und Machtgewinn, und Vereine und Verbände wollen ihre Mitgliederzahl erhöhen und sich zugleich von anderen abgrenzen. Institutionen geht es also um Existenzsicherung und Machtausübung, und Macht ausüben heißt inkludieren und exkludieren.

Besucher_innen der Tagung "Gold for Equal Rights" (Foto: Stefan Lutz)
Besucher_innen der Tagung „Gold for Equal Rights“ (Foto: Stefan Lutz)

Ist das auf alle Formen von Diskriminierung übertragbar?

Diese Mechanismen sind auf alle Formen von Diskriminierung und auf alle Gesellschaften übertragbar. Und wir müssen uns bewusst sein, dass Diskriminierung in alle Richtungen gehen kann. Auch innerhalb der Migranten-Community gibt es Gruppen, die sich von anderen abgrenzen wollen. Ich höre auch immer wieder von bisexuellen Frauen, die von ihren lesbischen Freundinnen nicht ernst genommen werden und gesagt bekommen, wenn sie sich in einen Mann verlieben, gehören sie nicht mehr dazu. Ich möchte das keinesfalls mit den Ausmaßen von struktureller Diskriminierung vergleichen, aber Normierung und Konsolidierung gibt es auch im Kleinen, und Ausgrenzung ist hierfür das einfachste Instrument.

Homophobie als politische Machtstrategie

Haben Sie ein Beispiel für Homophobie als politische Machtstrategie?

Schauen wir nach Russland: Beim Thema LGBT ist immer wieder von „westlichen Werten“ die Rede, von denen man sich abgrenzen möchte. Eigentlich geht es aber darum, im Land einen Patriotismus zu beschwören, indem man sagt, die anderen Länder sind absolut pervers, da sitzen pädophile Parteien im Parlament, und wir sind die letzte Festung der Normalität. Gegen einen Feind lässt sich eben am besten Politik machen. Lange Zeit wurden in Russland mithilfe der Medien intensive Kampagnen gegen nichtrussische Arbeiter geführt, z. B. aus der Kaukasus-Region oder aus China. Irgendwann, im Laufe diverser Wahlprozesse, wurden LGBT zur Zielscheibe. Und immer wieder wird die eine Gefahr suggeriert: Diese Leute – Migranten oder „perverse Schwule“ – besiedeln Russland, weshalb es auszusterben droht. Mit der Diskriminierung dieser Gruppen bieten Akteure dann eine Rettung aus dieser vermeintlichen Gefahr an.

Dr. Tatjana Zimenkova während ihres Vortrags auf der Tagung "Gold for Equal Rights" (Foto: Stefan Lutz)
Dr. Tatjana Zimenkova während ihres Vortrags auf der Tagung „Gold for Equal Rights“ (Foto: Stefan Lutz)

Sind LGBT damit eher zufällig zur Zielscheibe geworden? Ob in Russland oder beispielsweise in Frankreich oder Baden-Württemberg – homophobe Stimmen führen immer wieder das gleiche ideologische Argument an: Es gehe um den Schutz der Kinder und der Familie.

Es gibt bestimmte Themen, bei denen Konsolidierung noch besser funktioniert. Wenn man sagt, es gehe um den Schutz der Kinder und der Familie, dann ist erst mal bei vielen eine große Bereitschaft da, sich damit zu beschäftigen. Bei diesem Thema können sich viele Akteure zusammentun.

Homophobe Kräfte und Gegenkräfte

Würden Sie sagen, dass Homophobie in Russland weiter verbreitet ist als etwa in Deutschland oder anderen EU-Staaten?

Das hängt davon ab, woran man das misst. Bei Bevölkerungsumfragen kommt es sehr darauf an, wie die Fragen gestellt werden. Der Unterschied ist vor allem, dass in Russland alle möglichen homophob agierenden Akteure mehr oder weniger vernetzt sind und geballt auftreten können. In Deutschland und den meisten anderen europäischen Ländern ist an jeder Stelle, wo Homophobie betrieben wird, auch ein Gegengewicht da oder prinzipiell möglich. Die Gegenkräfte können innerhalb der Institutionen handeln oder eine Parallelstruktur bilden, z. B. in der Kirche: Klar gibt es da deutlich homophobe Einstellungen, aber es gibt auch kirchliche Akteure, die sich für ihre LGBT-Mitglieder einsetzen. In Russland gibt es als Gegenkräfte nur den internationalen Druck, das Engagement von LGBT-Aktivisten und die Zivilcourage Einzelner.

Wo kann man ansetzen, um Homophobie entgegenzuwirken?

Ich bin Didaktikerin und glaube, dass man durch Bildung ganz viel erreichen kann. Was die Akzeptanz von Minderheiten angeht, wurde in Europa vieles über Bildung erreicht.

„Deutschland hat eine gute didaktische Basis geschaffen, um über Diskriminierung aufzuklären“

Demnach ist Baden-Württemberg auf einem guten Weg, indem es die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ im Bildungsplan verankert.

Das ist ein Weg, den Deutschland unbedingt gehen muss. Ich finde, Deutschland hat bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine gute didaktische Basis geschaffen, um über Diskriminierung aufzuklären. So kann auch Aufklärung über sexuelle Minderheiten funktionieren.

In Russland verbietet das Gesetz gegen „homosexuelle Propaganda“ nun aber, in Gegenwart von Minderjährigen positiv über Homosexualität zu sprechen.

Das ist natürlich ein großes Problem. Hier kann man nur versuchen, bei der universitären Bildung anzufangen, um die Menschen aufzuklären, die später mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben werden. Denn in Russland bekommen homosexuelle Jugendliche von ihren Lehrern teilweise gesagt, dass sie Mutanten seien und bald aussterben würden – so nehmen sich diese Jugendlichen dann auch selbst wahr. Deshalb sind auch Projekte wie das Blog „Kinder 404“ lebenswichtig. Hier können LGBT-Jugendliche ihre Erfahrungen mitteilen und sehen, dass sie nicht allein sind.

„Meine Hoffnung liegt auf der russischen Bevölkerung“

Sie selbst sind in St. Petersburg aufgewachsen. Mit welchem Gefühl blicken Sie ganz persönlich auf Russland?

Lange Zeit war ich sehr traurig. Ich war dann aber erstaunt, wie viele Menschen bereit sind, viel zu riskieren und auf die Straße zu gehen, um ihre Meinung und Meinungsfreiheit zu verteidigen. Meine Hoffnung liegt auf der russischen Bevölkerung, und hoffentlich wird der internationale Druck nicht nachlassen.

LGBT-Aktivist_innen auf dem Podium der Tagung "Gold for Equal Rights" (Foto: Stefan Lutz)
LGBT-Aktivist_innen auf dem Podium der Tagung „Gold for Equal Rights“ (Foto: Stefan Lutz)

Welche Eindrücke haben Sie von der Tagung „Gold für Equal Rights“ mitgenommen?

Ich habe tolle, engagierte Menschen getroffen! Ich hatte die Gelegenheit, mit einigen Aktivisten zu sprechen, und konnte ihnen einmal sagen, wie toll ich finde, was sie machen. Viele meinten dann: „Ja, wissen Sie, wir haben einfach keine andere Wahl.“ Homosexuell sein ist in Russland eben ein Politikum. Viele wollen vielleicht ganz normal ihrem Beruf nachgehen, mit ihrer Freundin ein ruhiges und zufriedenes Leben führen und gar nicht auf die Straße gehen müssen – ihnen bleibt aber nichts anderes übrig.

Dr. Tatjana Zimenkova ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld. Im Bereich der Sozialwissenschaften- und Politik-Didaktik forscht sie zu Civic Education und der Ausgrenzung von Minderheiten.

Zurück

Queerer Under-Cover-Sport

Weiter

Bericht von der CROI (1): Große Fortschritte bei Hepatitis C

Über

Christina Laußmann

Christina Laußmann hat Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft und Neuere deutsche Philologie an der Humboldt-Universität und Technischen Universität Berlin studiert. Seit 2013 arbeitet sie als Autorin und Lektorin bei der Deutschen Aidshilfe.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

45 + = 52

Das könnte dich auch interessieren