Vier Jahrzehnte Aids: 8 Dokumentarfilme zu HIV/Aids

Von Axel Schock
Standbild aus dem Doku-Film
Standbild aus dem Doku-Film "How to Survive a Plague" © David France

1981 wurde die Krankheit, die seit 1982 Aids heißt, Teil unserer Lebensrealität. 1983 wurde das Aids auslösende Virus entdeckt, das seit 1986 den Namen HIV trägt. Welche Auswirkungen HIV und Aids auf das Leben einzelner Menschen, auf ihre Communitys, die Gesellschaft und ganze Weltregionen hatten und haben, wurde seither in zahlreichen Werken festgehalten – in Büchern und Filmen, in der Kunst und Musik, mit digitalen Projekten und in anderen Formen.

Gut vier Jahrzehnte nach den ersten beschriebenen Fällen präsentiert die Redaktion von magazin.hiv in loser Folge ihre Empfehlungslisten mit Werken zur Aidsgeschichte – wie diese Auswahl von Dokumentarfilmen, die das Leben mit HIV und Aids sowie den Aidsaktivismus beleuchten. In der Auswahl berücksichtigt haben wir Titel, die 2023 als DVD erhältlich oder auf Videoplattformen zu sehen sind.


We Were Here

USA 2011

Am Beispiel der Schwulen-Community seiner Wahlheimat San Francisco zeigt der US-Dokumentarfilmer David Weissmann, wie die Aidskrise in den 1980er-Jahren die Stadt überrollte und veränderte. Mithilfe dokumentarischen Film- und Fotomaterials, vor allem aber durch Interviews mit fünf Zeitzeug*innen und ihren bewegenden Lebensgeschichten ergibt sich ein informatives und komplexes Zeitbild. Dabei zeigt „We Were Here“ auf beeindruckende Weise, wie eine Community in einer Ausnahmesituation zusammenwächst und sich als politisch starke und zugleich solidarische Gemeinschaft erweist. Lesben spenden Blut für ihre schwulen Freunde, Community-Hilfsorganisationen wie das Shanti-Project kümmern sich um Erkrankte, die keine Freund*innen oder Angehörigen haben.

Auf DVD erhältlich sowie im Stream bei OUTtv/Prime Video und Pantaflix.


United in Anger

USA 2012

Vereint im Zorn: Der US-Filmemacher und Aktivist Jim Hubbard zeichnet in „United Anger“ die Entstehung von der einflussreichen und bis heute inspirierenden Protestgruppe ACT UP nach, die mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und neuen Formen des Aktivismus Druck auf Politik, Medizin und Öffentlichkeit ausübten, die Aidskrise und vor allem die Situation von Menschen mit HIV und Aids ernster zu nehmen und zu handeln. Jim Hubbard konnte für seinen Film auf seltenes Archivmaterial zurückgreifen und viele Aktivist*innen der ersten Stunde interviewen.

Als Stream bei Apple TV.


Silverlake Life: The View From Here

USA 1993

22 Jahre haben die beiden Dokumentarfilmer Tom Joslin und Mark Massi miteinander verbracht. Als sie von ihrer HIV-Infektion erfuhren, beschlossen sie das Leben mit der Krankheit in Form eines Videotagebuchs festzuhalten. Sie filmen sich bei der Strahlenbehandlung, bei einem Ausflug in einen Kakteenpark, aber auch bei psychischen Zusammenbrüchen. Sie zeigen ihr Selbstmitleid, den Zynismus, mit dem sie dem nahen Tod begegnen, das Aufbegehren und vor allem auch ihre innige Liebe zueinander. Selbst Toms Sterben, der unwürdige Abtransport seines Leichnams in einem Leichensack wird von Mark Massi dokumentiert. Nach dessen Tod wurde das Werk von Peter Friedman fertiggestellt. Kaum ein anderer Film zeigt so unmittelbar und schonungslos im eigentlichen Wortsinne den tödlichen Verlauf einer Aidserkrankung und das Hadern, Kämpfen und Verlieren. Das ist passagenweise nur schwer zu ertragen und macht dieses filmische Vermächtnis auch für Zuschauer*innen zu einer existentiellen Erfahrung.

Kostenfrei auf dem YouTube-Kanal des Regisseurs abrufbar.


Memory Books – Damit du mich nie vergisst

Deutschland 2008

In Uganda, einem Land mit extrem hoher HIV-Rate, hat eine Selbsthilfeorganisation für aidskranke Frauen das „Memory Book“-Projekt ins Leben gerufen. Sie ermutigen erkrankte Mütter und Kinder, sich selbst und ihr Leben in solchen Memory Books zu beschreiben, um so im Todesfall ihren Angehörigen eine Erinnerung zu hinterlassen. Filmemacherin Christa Graf porträtiert in ihrer sensiblen Dokumentation mehrere Waisenkinder, Witwen und eine Krankenschwester. Sie sind alle HIV-positiv, bereits aidskrank oder haben betroffene Angehörige. Damit ihre Familien und Freund*innen sie nicht vergessen, nehmen sie am Projekt „Memory Books“ teil. Der Film macht zudem deutlich, wie tiefgreifend die Epidemie auf die Gesellschaft des Landes einwirkt.

Auf DVD erhältlich und im Stream bei Amazon Video und Vimeo.


Vito

USA 2011

Er war der Begründer und Motor gleich einer Reihe schwul-lesbischer US-Organisationen und einer der bedeutenden Köpfe der Aids-Aktionsgruppe ACT UP. Mit welch ausgeprägt politischem Bewusstsein und Unrechtsempfinden sich Vito Russo für die Rechte von Lesben, Schwulen und trans Personen sowie später für Menschen mit HIV und Aids einsetzte, vermittelt Jeffrey Schwarz in seiner packenden Dokumentation. Zu Wort kommen Familienangehörige, Freund*innen und Mitstreiter*innen, unter anderem Bestsellerautor Armistead Maupin („Geschichten aus San Francisco“) und Regisseur Robert Epstein („The Times of Harvey Milk“). Auch dank umfangreicher Archivaufnahmen ist es Schwarz gelungen, ein authentisches und lebendiges Bild dieses umtriebigen, charismatischen und humorvollen Mannes zu montieren, u. a. mit Interviews aus verschiedenen Phasen seines Wirkens und mit Fotos von Aktionen wie etwa der Gay Activists Alliance, einer der ersten homosexuellen Menschenrechtsgruppen in den USA.

Auf DVD sowie als Stream auf Vimeo und erhältlich.


Rosa von Praunheims „Aids-Trilogie“

Deutschland 1989/90

Es sind radikale, kämpferische, alles andere als journalistisch ausgewogene Momentaufnahmen von der Aidskrise, die Rosa von Praunheim 1990 ins Fernsehen bzw. Kino brachte. In „Positiv“ dokumentiert er den Aids-Aktivismus in New York und die Fantasie und Vitalität, mit der die queere Subkultur auf Herausforderung der Aidskrise reagiert. In „Schweigen = Tod“ porträtiert er Künstler, darunter David Wojnarowicz, Keith Haring und Allen Ginsberg, die sich mit Aids und seinen Folgen auseinandersetzen. Angst, Wut, Verzweiflung und Trauer brechen sich in Gedichten, Bildern, Performances und Aktionen der Künstler vehement Bahn. Im dritten und umstrittensten Teil, „Feuer unterm Arsch“, zeigt Praunheim die Reaktionen Berliner Schwuler auf die Epidemie. In den Interviews mit HIV-Positiven und Aktivisten werden vor allem zwei konträre Positionen herausgestellt: Die einen begreifen die Propagierung von Safer Sex als „Hetero-Terror“ und Fortsetzung der Schwulenunterdrückung, den anderen geht es um Prävention und die Betreuung bereits Erkrankter.

Als Stream erhältlich bei Amazon Prime.


Common Threads: Stories from the Quilt

USA 1989

„Erst mit Rock Hudson wurde Amerika auf Aids aufmerksam“, kommentiert Dustin Hoffman als Erzähler dieser Dokumentation aus dem Off. Robert Epstein und Jeffrey Friedman („The Times of Harvey Milk“) widmen sich hier allerdings den weniger prominenten Aidstoten und deren Angehörigen. Der monumentale Aids-Quilt, zusammengesetzt aus zehntausenden zur Erinnerung an Verstorbene gestalteten Decken, ist Ausgangspunkt für diesen 1990 mit dem Oscar prämierten Dokumentarfilm. Er erzählt die Geschichten hinter den Namen auf den Quilts. So kommen die Eltern des kleinen David Mandell, der als Bluter mit HIV infiziert worden war, ebenso zu Wort wie die lesbische Sara Lewinstein, die mit dem schwulen Schriftsteller und Aktivisten Tom Wadell ein Kind hat, oder auch der Filmwissenschaftler und Aktivist Vito Russo, der seinen Lebensgefährten Jeff Sevcik betrauert. Der Film fasst die erste Dekade der Auseinandersetzung mit Aids zusammen, die Trauer über die Verluste, die Wut über die Untätigkeit der Reagan-Regierung und den Kampfgeist der Aidsbewegung.

Kostenfrei auf dem YouTube-Kanal von Kino Lorber aufrufbar sowie antiquarisch auf DVD erhältlich.


How to Survive a Plague

USA 2012

Die Oscar nominierte Dokumentation (deutscher Alternativtitel „AIDS – Kampf ums Leben“) erzählt die Geschichte der Aids-Aktivistengruppe ACT UP, die mit medienwirksamen Aktionen gegen Gleichgültigkeit der US-Regierung und der Pharmaindustrie protestierte, sowie der Treatment Action Group. Ohne wissenschaftlichen Background haben diese Aktivist*innen die Pharmaindustrie unterwandert und dabei geholfen, erfolgversprechende Medikamente auszumachen und diese aus dem Versuchsstadium zu den Patient*innen zu bringen. Der Filmemacher David France konnte auf faszinierendes Material aus den ACT UP-Archiven zurückgreifen sowie Aktivist*innen und Zeitzeug*innen wie Larry Kramer, Anthony Fauci und Peter Staley vor die Kamera holen.

Als Stream bei TVnow und Amazon Prime Video erhältlich.


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