Ein Gespenst geht um in Europa: die Überlastung des Gesundheitssystems durch das neue, sehr effektive, aber auch teure Hepatitis-C-Medikament Sovaldi (Wirkstoff: Sofosbuvir).

Deutsche Krankenkassen malen den Kollaps an die Wand, weil die Anträge auf Behandlung mit dem teuren Medikament die Budgets zu sprengen drohten. In der Schweiz und den USA kursieren Empfehlungen, nur die Kränkesten der Kranken zu behandeln, während Vertreter von Patienteninteressen die Pharmaindustrie anklagen, Profitinteressen über das Leben von Millionen Menschen zu stellen.

In der Debatte geht allerdings manches durcheinander – wir bringen ein wenig Licht ins Dunkel.

Was ist überhaupt Hepatitis C?

Hepatitis C ist eine Form der virusbedingten Leberentzündung, Hepatitis-C-Viren (HCV) sind die dritthäufigste Ursache für solche Entzündungen. Von HCV gibt es mehr als sechs Genotypen mit über 80 Subtypen, die sich bezüglich Virusaufbau, Krankheitsverlauf und Therapieerfolg unterscheiden. Bei uns sind die Genotypen 1 (ca. 62 %), 3 (28 %), 2 (7 %) und 4 (3 %) am häufigsten, die Genotypen 5 und 6 kommen so gut wie nicht vor (vgl. Hüppe u.a. 2008).

Übertragen wird HCV fast ausschließlich über Blut, in der Mehrzahl der Fälle durch gemeinsamen Gebrauch von Spritzbesteck und Zubehör beim intravenösen Drogenkonsum; je nach Population sind bis zu 60 oder gar 80 Prozent der Drogengebraucher in Deutschland HCV-infiziert.

Weltweit sind nach Schätzungen der WHO 130–150 Millionen Menschen chronisch HCV-infiziert, anderen Berechnungen zufolge bis zu 160 Millionen Menschen.

Etwa 15 bis 30 Prozent der chronisch Infizierten entwickeln im Lauf von 20 Jahren eine Leberzirrhose (Leberschrumpfung mit Verlust der Leberfunktion), davon wiederum 2–4 % pro Jahr ein Leberzellkarzinom. Zwischen 350.000 und 500.000 Menschen sterben jährlich an HCV-verursachten Lebererkrankungen.

In Europa sind neun Millionen chronisch infiziert, wobei die auf Grundlage von Surveys ermittelten Prävalenzen sehr unterschiedlich sind (von 0,3 % in Schweden, Deutschland und den Niederlanden bis 2–3 % in Mittelmeerländern). Für Deutschland wäre bei 80,3 Millionen Einwohnern (Ende 2011) und einer Prävalenz von 0,3 % unter den 18- bis 79-Jährigen von 240.000 chronisch HCV-Infizierten auszugehen. Da Risikogruppen wie injizierende Drogengebraucher und Migranten aus Hochprävalenzländern allerdings in solchen Untersuchungen unterrepräsentiert sind und viele Infizierte nichts von ihrer Infektion wissen, liegt die tatsächliche Prävalenz wohl höher, also vielleicht bei 300.000 oder mehr.

Bisherige Behandlung der Hepatitis C

Jahrelang war der Einsatz von pegyliertem Interferon alfa plus Ribavirin Standard der Hepatitis-C-Therapie. Je nach Genotyp und anderen Faktoren lag die Behandlungsdauer zwischen sechs und achtzehn Monaten, die Erfolgsaussichten lagen bei Genotyp 1 zwischen 30 und 60 %, bei den Genotypen 2 und 3 zwischen 60 und 90 % und beim Genotyp 4 bei 60 bis 70 %. Insbesondere das eingesetzte Interferon hat allerdings viele Nebenwirkungen, neben ausgeprägten grippeähnlichen Symptomen auch Depressionen und erhöhte Suizidalität, Müdigkeit, eine starke Verminderung der Blutplättchen und weißen Blutkörperchen, außerdem Hautprobleme, Gewichtsverlust oder Haarausfall.

2011 kamen dann neue Medikamente hinzu: die Proteasehemmer Telaprevir und Boceprevir zur Behandlung bei Genotyp 1, die – jeweils zusätzlich zu Interferon und Therapie eingesetzt – die Erfolgsaussichten erhöhten, aber die Behandlung auch durch zahlreiche Neben- und Wechselwirkungen erschwerten. Seit Mai 2014 ist außerdem Simeprevir (plus Interferon und Ribavirin) zur Behandlung bei den Genotypen 1 und 4 zugelassen, die Erfolgsaussichten liegen hier bei bis zu 80 Prozent.

Im Mittelpunkt der Diskussion steht derzeit aber die Substanz Sofosbuvir, die im Januar 2014 in Europa für die HCV-Therapie bei allen Genotypen zugelassen wurde (bei den Genotypen 1, 3 und 4 in der Regel mit pegyliertem Interferon plus Ribavirin, bei den Genotypen 2 und ggf. auch 3 nur mit Ribavirin). Der Therapieerfolg bei nicht vorbehandelten Patienten mit Genotyp 1 liegt hier bei etwa 90 % – bei durchschnittlich nur drei Monaten Behandlung.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO gab denn auch in ihren Hepatitis-C-Leitlinien vom April 2014 der Sofosbuvir-Therapie bei den Genotypen 1, 2, 3 und 4 den Vorrang vor der Behandlung nur mit Interferon und Ribavirin – ohne den Kreis der Patienten, die davon profitieren könnten, einzuschränken.

Großer Zusatznutzen – für eine kleine Gruppe

Doch ist Sofosbuvir nun wirklich der große „Game-Changer“? Viele Ärzte und Patienten jubeln – und schon geht das Hauen und Stechen los. Kein Wunder, wenn man bedenkt, was an Kosten auf die Gesundheitssysteme zukommen könnte.

Sofosbuvir hat nämlich einen großen Haken: Das Präparat ist teuer. Der Hersteller Gilead hat für die Firma, die es entwickelte, 11 Milliarden Dollar gezahlt und will dieses Geld jetzt wieder hereinholen. Der Markt scheint ja auch riesig angesichts der hohen Zahl der chronisch Infizierten. Und so kostet eine Monatspackung in den USA rund 28.000 Dollar, eine zwölfwöchige Therapie also gut 80.000 Dollar, für Europa hat das Unternehmen einen Preis von etwa 60.000 Euro festgelegt – bei geschätzten Herstellungskosten von vielleicht 100 Euro.

Für die 60 Länder mit den geringsten Einkommen dagegen verlangt Gilead für die gesamte Therapie „nur“ 1000 Dollar, nicht wie in den Industrieländern für die Tagesration, also eine Pille. Dazu kämen dann noch 2000 Dollar für Diagnostik und medizinische Versorgung.

Ein großes Problem dagegen werden die Schwellenländer haben – und auch die ärmeren Länder in Europa. Hier wird man sich die Therapie kaum leisten können (was in ähnlicher Weise auch für die HIV-Medikamente der neuesten Generation gilt).

Wer soll das bezahlen?

Zurück nach Deutschland: Auch wenn bei uns nur jeder Fünfte mit Sofosbuvir behandelt würde, sagen wir 20 Prozent von vielleicht 300.000 chronisch HCV-Infizierten, wären das (wenn auch nicht auf einen Schlag) 60.000 Behandlungen zu durchschnittlich vielleicht 100.000 Euro (60.000 für Sofosbuvir und zusätzlich ca. 40.000 für die anderen Medikamente). Dafür müsste man dann mindestens 6 Milliarden Euro bezahlen, die ganzen Kosten für Diagnostik und Co. noch nicht einmal mitgerechnet.

Das wären enorme Summen, in der Tat. In der Schweiz sowie in einigen Staaten der USA gibt es daher Richtlinien, nur die „Kränkesten der Kranken“ (also zum Beispiel Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose) mit Sofosbuvir zu behandeln. Drogengebraucher oder Substituierte hingegen sind zum Beispiel in Illinois ausgeschlossen, obwohl gerade sie den größten Anteil der Infizierten stellen. Der stigmatisierende Gedanke dahinter: „Junkies“ schaffen es eh nicht, das teure Medikament regelmäßig zu nehmen – oder sie infizieren sich sowieso wieder neu, wenn sie weiterhin intravenös Drogen konsumieren. Beides kann als widerlegt gelten (siehe z. B. hier und hier).

Zudem hat die Rechnung mindestens einen Haken: Sofosbuvir bringt laut der Bewertung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss nur einem kleinen Teil der chronisch HCV-Infizierten, nämlich den etwa sieben Prozent mit dem Genotyp 2, einen „beträchtlichen Zusatznutzen“. Bei den anderen Genotypen muss noch vorwiegend mit dem problematischen Interferon behandelt werden. Die an die Wand gemalten Kosten stehen uns so wohl nicht ins Haus. Noch nicht.

Darüber hinaus wird bei solchen Rechnungen nicht bedacht, dass auch die herkömmlichen Therapien viel Geld kosten: im besten Fall vielleicht 10.000 bis 60.000 Euro, je nach Genotyp und Behandlungsmöglichkeit. Von den Kosten der Nichtbehandlung haben wir dann noch gar nicht geredet: Wenn sich aufgrund einer Leberzirrhose oder bei einem Leberkrebs Wasser im Bauchraum sammelt, das vielleicht viermal im Monat abgepumpt werden muss, kostet das jährlich um die 45.000 Euro (siehe hier).

Das Beste kommt erst noch

Nichtsdestotrotz wird uns die Kostendiskussion einholen. Neue Medikamente sind in der Pipeline – schon im Herbst rechnen wir für Europa mit der Zulassung von Daclatasvir, Asunaprevir und Ledispavir, das zusammen mit Sofosbuvir in einer Tablette daherkommt. Und im Frühjahr kommen wahrscheinlich weitere Substanzen hinzu.

Die neuen Substanzen werden dann erstmals Behandlungen ohne Interferon und ohne Ribavirin ermöglichen, die Therapiedauer könnte für den häufigsten Genotyp 1 auf acht bis zwölf, in manchen Fällen auf sechs Wochen verkürzt werden. „Wer nicht auf die sofortige Behandlung mit Sofosbuvir plus Interferon und Ribavirin angewiesen ist, sollte die paar Monate noch warten“, sagt Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe. „Denn bald wird es auch für die vielen Patienten mit Genotyp 1 endlich interferonfreie und ribavirinfreie Therapieoptionen geben.“

Der Ball liegt auch im Feld der Politik

Die Frage „Wie viel darf Gesundheit kosten?“ wird sich bald verschärft stellen. Eines der Probleme: Medikamente sind in Deutschland viel teurer als in den europäischen Nachbarländern, und Deutschland gilt als Referenzland für den europäischen Markt. Das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz (AMNOG) aus dem Jahr 2011 wollte das eigentlich ändern. Seither bewerten die unabhängigen Wissenschaftler des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) jede Neuheit und prüfen, ob ein neues Präparat lediglich über eine neue chemische Formel verfügt oder auch einen therapeutischen Fortschritt für Patienten bringt. Auf dieser Grundlage entscheidet anschließend das oberste Gremium der Selbstverwaltung, der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), ob das Medikament einen Zusatznutzen hat und wie hoch er einzuschätzen ist.

Das Problem: Für das erste Jahr kann eine Pharmafirma den Preis für ein neues Medikament völlig frei festlegen. Erst danach müssen sich Firma und Kassen auf der Grundlage des G-BA-Beschlusses auf einen Erstattungspreis einigen. Während die Pharmakonzerne argumentieren, sie müssten die hohen Entwicklungskosten wieder hereinholen, sprechen Kritiker von „Fantasie-“, „Mond-“ und „Wucherpreisen“, die in diesem ersten Jahr erzielt werden, und fordern eine Änderung des AMNOG. Eine Idee: Die Preise, die man nach den ersten zwölf Monaten vereinbart, sollen rückwirkend gelten. Der Ball liegt also nicht nur bei den Pharmafirmen, von denen eine ethisch vertretbare Preispolitik zu fordern ist, sondern auch im Feld der Politik.

Wir müssen über Geld reden – auch über Geld für die Primärprävention!

Das gilt umso mehr für ein Feld, das bei der Debatte um die Medikamentenpreise bisher überhaupt nicht bedacht wird: Warum reden alle nur darüber, ob, wann und unter welchen Umständen Infizierte behandelt werden sollen und wer das bezahlen soll, aber niemand darüber, wie Infektionen sich vermeiden lassen?

Ein Beispiel: Etwa zwei Drittel aller Drogengebraucher in Deutschland waren schon mindestens einmal in Haft, bis zu einem Drittel der Gefangenen konsumiert auch in Haft, etwa ein Drittel lässt sich dort tätowieren, oft mit nicht sterilen Nadeln – beides „gut geeignete“ Wege, sich mit Hepatitis C zu infizieren. Sterile Spritzen aber gibt es in Deutschland nur in einer einzigen Haftanstalt, nämlich im Frauengefängnis Berlin-Lichtenberg. Dabei kostet so ein Spritzenautomat vielleicht etwa 5.000 Euro – „draußen“ sind sie ja auch verbreitet, wenn es auch längst nicht so viele gibt, wie nötig wären.

Aber nicht nur hier mangelt es am Bewusstsein für die Gefahren sowie die Schutz- und Behandlungsmöglichkeiten der Virushepatitis. Mit dem 2013 vorgestellten „Aktionsplan für eine nationale Strategie gegen Virushepatitis in Deutschland“ haben daher acht Institutionen Vorschläge für dringend notwendige Maßnahmen zur Prävention und für die medizinische Behandlung der Virushepatitis gemacht (die Deutsche Leberstiftung, die Deutsche Leberhilfe e.V. und das Aktionsbündnis „Hepatitis und Drogenbrauch“ mit der Deutschen AIDS-Hilfe, akzept e.V., dem JES-Bundesverband, dem Bundesverband der Eltern und Angehörigen für akzeptierende Drogenarbeit sowie der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin).

Neue Lösungen braucht die Welt

Gehen wir also die „stille Epidemie“ Hepatitis C an, auf nationaler, europäischer und globaler Ebene. Und setzen wir dabei um, was wir in der HIV-Prävention gelernt haben:

  • Keine Prävention ohne Beteiligung derer, um die es geht.
  • Solidarität ist entscheidend. Warum gründen wir nicht einen Globalen Fonds zur Hepatitis, ähnlich dem Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria? Und warum gründen wir keinen europäischen Fonds, der auch Menschen in ärmeren Ländern Europas Zugang zu den neuen Behandlungsmöglichkeiten bietet?
  • Behandlung allein hilft nicht – wir brauchen strukturelle Prävention, die die Lebenswelten einbezieht.
  • Auch für Hepatitis gilt: Wir müssen das Stigma und das Tabu brechen, wir brauchen vorurteilsfreie Aufklärung sowie niedrigschwellige Prävention und Versorgung.
  • Hepatitis ist wie HIV ein Menschenrechtsthema – es geht um das Recht auf den bestmöglichen erreichbaren Gesundheitszustand, um Zugang für alle. Weltweit.

 

Holger Sweers

 

Weitere Informationen

WHO-Informationen zu Hepatitis C (April 2014)

Hepatitis C Virus Infection Epidemiology among People Who Inject Drugs in Europe: A Systematic Review of Data for Scaling Up Treatment and Prevention (Juli 2014)

Virushepatitis C im Jahr 2013 (Epidemiologisches Bulletin 31/2014 des Robert-Koch-Instituts vom 4. August 2014)

Aktuelle Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungsstörungen und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und des Berufsverbands Niedergelassener Gastroenterologen Deutschlands (bng) zur Therapie der chronischen Hepatitis C

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Holger Sweers

Holger Sweers, seit 1999 als Lektor, Autor und Redakteur bei der Deutschen Aidshilfe, kümmert sich um die Redaktionsplanung des Magazins.

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