Der Feind in meinem Bett? Warum ehemals Liebende wegen HIV vor Gericht landen
Frank* ist ein sorgfältiger Mensch. Nur deshalb hat er es gewagt, seinen früheren Lebenspartner anzuzeigen – der soll schuld daran sein, dass Frank mit HIV leben muss. Zwei Laborberichte konnte der 28-Jährige im Sommer 2011 der Polizei vorlegen. „Nur weil ich diese beiden Berichte hatte, einen vom März, einen vom Juni, bin ich dann auch guten Gewissens zur Polizei gegangen“, erzählt Frank heute. Der Paderborner ist sich sicher: Er muss sich bei Peter* angesteckt haben. Mit dem war er 2011 vier Monate lang zusammen und hatte damals mit keinem anderen Sex. Dass er zu Beginn der Beziehung negativ war, das hat er sich damals „schwarz auf weiß“ bestätigen lassen, und zwar für Peter.
„Spätestens in dem Moment hätte er doch die Bremse ziehen müssen.“
Als die beiden ein paar Wochen zusammen waren, ließ Frank einen HIV-Test machen, extra beim Hausarzt. Denn anders als beim Gesundheitsamt bekam er dort einen Laborbericht, auf dem nicht nur „HIV: negativ“, sondern auch sein Name stand. Das Ergebnis legte er Peter vor, als eine Art Beweismittel. „Bis dahin haben wir immer mit Gummi Sex gehabt“, beteuert Frank, „für die Anfangszeit einer Beziehung gehört das für mich dazu.“ Erst der Test schaffte für ihn genügend Vertrauen. „Dann ist ja jetzt alles gut“, soll Peter geantwortet haben. Über mögliche Infektionsrisiken haben die beiden danach nicht mehr gesprochen, die Kondome weggelassen. „Er hat ja gesehen, dass ich negativ war“, kritisiert Frank. „Spätestens in dem Moment hätte er doch die Bremse ziehen müssen.“
Von Peters HIV-Infektion hat Frank erst erfahren, als die Beziehung zerbrochen war. Ein anderer Ex von Peter erwähnte es im Chat. Frank machte einen neuen HIV-Test. Ergebnis diesmal: positiv. „Von Anfang bis Ende bin ich von ihm belogen worden“, klagt Frank.
Kommt es zum Prozess, haben Positive kaum Chancen auf Freispruch
Wie bei Frank steht vor fast jedem Prozess wegen einer HV-Übertragung eine große Enttäuschung. „Wenn man die Entscheidungen der Gerichte liest, kann man deutlich erkennen, dass die Unaufrichtigkeit des Gegenübers den Impuls nach Bestrafung auslöst“, erläutert Rechtsanwalt Jacob Hösl, der für die Deutsche AIDS-Hilfe die Rechtsprechung zu HIV in Deutschland untersucht hat. Seit 1988 hat Hösl rund 35 Verurteilungen in Deutschland gezählt. Auch wenn nicht alle Fälle bekannt sind: Im internationalen Vergleich ist das ein sehr niedriges Level. Es gibt keine Klagewelle gegen Positive in der Bundesrepublik – anders als etwa in Schweden, wo ein spezielles Seuchengesetz HIV-Positive verpflichtet, Sexpartnern gegenüber ihre Infektion offenzulegen. Kommt es aber zu einem Prozess, dann haben HIV-Positive in Deutschland kaum Chancen auf Freispruch. Allzu oft schieben die Richter allein dem positiv Getesteten die Verantwortung für eine HIV-Infektion zu. Der muss dann darlegen, dass er eine mögliche Übertragung des Virus nicht billigend in Kauf genommen hat.
HIV-Positive in Deutschland haben kaum Chancen auf Freispruch
Kann er das nicht, kennen viele Richter keine Gnade. Im März 2010 zum Beispiel verurteilte das Landgericht in Oldenburg eine 25-jährige Frau zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung. Eine „krasse Wiederholungstäterin“ sah es in der Verurteilten, da diese zum wiederholten Male wegen ungeschützten Geschlechtsverkehrs angeklagt worden war. Mehrfach habe sie den Wunsch ihrer Sexpartner nach Safer Sex abgelehnt, ohne ihre HIV-Infektion zu erwähnen. Im aktuellen Fall hatte sie zwei Tage nach Entlassung aus der U-Haft einer Chat-Bekanntschaft gegenüber zwar eine „Ansteckungsgefahr“ erwähnt, aber den Vorschlag, Kondome zu verwenden, abgelehnt. Das Gericht ordnete eine sozialtherapeutische Behandlung an und wies darauf hin, dass bei einem weiteren Rückfall „der Allgemeingefährlichkeit ihres Verhaltens sehr wahrscheinlich nur noch durch die Anordnung der Sicherheitsverwahrung begegnet werden kann“. Wichtig zu wissen: Keiner der Zeugen wurde infiziert. Bestraft wurde nur der Versuch einer Körperverletzung.
Erst wenn die Beziehung kriselt, kommt die Justiz ins Spiel
Fälle wie der aus Oldenburg geraten oft in die Schlagzeilen. Zu gut passen sie ins Empörungsschema der Boulevardmedien. Die klare Rollenverteilung – hier das ahnungslose Opfer (HIV-negativ), dort der gewissenlose Täter (HIV-positiv) – sorgt beim Lesepublikum für einen wohligen Schauer. Allerdings verzerrt ein solcher Fall den Blick auf die Wirklichkeit. „HIV-Übertragungen, die später kriminalisiert werden, finden meist innerhalb fester Partnerschaften statt“, betont Siegfried Schwarze, der Herausgeber des HIV-Patienteninfodienstes „Projekt Information“. Den in Medienberichten oft skandalisierten „Desperado“, der beim anonymen Sex eine Ansteckung seiner Sexpartner leichtfertig in Kauf nimmt, gebe es schlicht nicht.
Viel alltäglicher sei folgendes Szenario: „Selbst wenn sich die Partner anfangs des Kondoms befleißigen, kommt irgendwann der Wunsch, ganz mit dem Partner zu verschmelzen, und sie lassen das Kondom weg“, so Schwarze. „Das kann eine bewusste oder eine unbewusste Entscheidung sein.“ Erst wenn es später in der Partnerschaft krisele, wende sich eine Seite an die Justiz. „Und dann fängt der Rosenkrieg an.“
„Und dann fängt der Rosenkrieg an.“
Aber ist ein Gerichtssaal der richtige Ort, um zu klären, wer bei einer HIV-Übertragung Verantwortung trägt? Carsten Schatz (41), Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe, bezweifelt das: „Die in der Strafrechtswirklichkeit vorkommende Dramatisierung sowohl der Infektionsmöglichkeiten als auch der gesundheitlichen Folgen einer Infektion schadet allen Beteiligten – sitzen sie nun auf der Anklagebank oder stehen sie im Zeugenstand.“
Die Gerichte urteilen widersprüchlich
Zwei Probleme tauchen immer auf, wenn ein Gericht klären soll, wie es zu einer HIV-Infektion kam. Erstens: Sie geschieht in einem intimen Moment. Es gibt keine Zeugen. In der Regel steht Aussage gegen Aussage. Und zweitens: Die Weitergabe eines Krankheitserregers ist ein sehr komplexer biologischer Vorgang. Seine juristische Deutung hängt stark davon ab, wo Gericht und Parteien ihre medizinischen Gutachten bestellen. Die Verwirrung ist in den letzten Jahren sogar noch größer geworden. Denn seit Mitte der 1990er gibt es wirkungsvolle HIV-Therapien. Die meisten HIV-Experten gehen aufgrund wissenschaftlicher Studien heute davon aus, dass eine Ansteckung beim ungeschützten Sex mit einem erfolgreich behandelten HIV-Positiven praktisch ausgeschlossen ist. Das sieht auch der Nationale AIDS-Beirat in einem Anfang April 2012 veröffentlichten Votum so , während andere Fachleute widersprechen. Die Debatte der Sachverständigen tobt auch vor Gericht.
Eine Ansteckung durch erfolgreich behandelte HIV-Positive ist praktisch ausgeschlossen
So kommt es zu sehr widersprüchlichen Urteilen. Während die Richter in Oldenburg Härte demonstrierten, sprach ein Gericht in Nürtingen 2008 einen Mann frei, der seiner Partnerin nichts von seiner HIV-Infektion erzählt und auf Kondome verzichtet hatte. Begründung: Der Kameruner sei zu Recht davon ausgegangen, dass er aufgrund seiner HIV-Therapie nicht mehr infektiös sei. Der Arzt des Angeklagten hatte bestätigt, dass im Blut seines Patienten kaum noch Viren nachweisbar seien. Tatsächlich waren die Klägerin und das gemeinsame Kind HIV-negativ getestet.
Andere Formen der Konfliktlösung sind selten
Fakt ist, dass viele rechtliche Auseinandersetzungen um HIV der tragische Endpunkt einer gescheiterten Beziehung sind. Ist die Justiz einmal eingeschaltet, endet der ohnehin schmerzliche Beziehungskonflikt mit einem Showdown vor dem Richter. Alternativen zu Anzeige und Strafprozess gibt es nur wenige. Zwar gibt es zaghafte Ansätze, Rosenkriege anders zu befrieden. Aber die werden oft in den Mühlen der Justiz zerrieben. So wie in Jürgens* Fall. Der Call-Center-Agent aus Niedersachsen zeigte seinen früheren Freund wegen einer HIV-Infektion an. Der wiederum hatte zuvor Gewaltschutz erwirkt, Jürgen durfte keinerlei Kontakt mehr zu ihm aufnehmen. Ein Rosenkrieg mit allen Mitteln. Im Laufe des Verfahrens regte die Staatsanwaltschaft einen „außergerichtlichen Einigungsversuch“ an. Ein gemeinsamer Termin bei einem örtlichen „Verein zur Konfliktschlichtung“ war angesetzt. Doch im letzten Moment riet Jürgens Rechtsanwältin davon ab.
„Eine tierische nervliche Belastung“
Das Beharren auf den Rechtsweg hat sich für Jürgen nicht gelohnt. 2011 wurde seine Klage endgültig abgewiesen. 15.000 Euro waren für den Rechtsbeistand fällig, dazu kamen knapp 5.000 Euro Verfahrenskosten. Und nicht zu vergessen „eine tierische nervliche Belastung“, so der 41-Jährige. „Du musst zur Polizei, zu den Ärzten. Du hast nur Stress dadurch – bei den Verhandlungen, aber auch wenn du bei den Anwälten bist. Noch mal würde ich das definitiv nicht machen“, bilanziert Jürgen ein halbes Jahr nach dem Urteil. „Am Ende hatten wir beide die Kontrolle darüber verloren und dabei das Wesentliche übersehen: Dass wir das Ganze ohne die Behörden hätten regeln können.“
*Name geändert
Philip Eicker
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