MENSCHENRECHTE

„Ich will mein Land nicht verlassen!“

Von Holger Wicht
Wer in Nigeria ein Treffen schwuler Männer organisiert, muss zehn Jahre Haft und Gewalt fürchten. John, selbst schwul, arbeitet trotzdem in der HIV-Prävention. Holger Wicht traf den 26-Jährigen bei der Internationalen Aids-Konferenz in Melbourne

John, du bist John Quadratfür eine Organisation tätig, die es nach nigerianischem Recht nicht geben darf, das Internationale Zentrum zur Verteidigung des Rechts auf Gesundheit. Dieses Gespräch ist für dich nicht ungefährlich. Ist es dir wirklich recht, ein Interview über deine Arbeit zu geben?

Ja, ich möchte mit dir reden. Obwohl ich immer Angst habe, meinen Namen und andere Informationen bekanntzugeben. In Nigeria als offen schwuler Mann zu arbeiten ist äußerst riskant. Es gibt jetzt ein Gesetz, das Zusammenschlüsse und Treffen von Männern, die Sex mit Männern haben, unter Strafe stellt. Und die Regierung greift auch Leute an, die Unterstützung dabei suchen, sich vor HIV zu schützen.

„Schwule Männer gibt es überall – sogar in der Wüste.

Wie wirkt sich dieses Gesetz im Alltag aus?

Menschen fürchten um ihr Leben. Als Sozialarbeiter kann man kein Treffen für junge, ältere oder HIV-positive Schwule organisieren – dafür kannst du zehn Jahre Gefängnis bekommen. Nur weil Leute ihr Recht auf Gesundheit einfordern, sich und ihre Frauen vor HIV schützen wollen! Es tut weh, wenn solche Leute eingesperrt werden, und wir hoffen, dass es dazu nicht kommt.

Ihre Frauen?

Ja, manche sind aus kulturellen Gründen  heterosexuell verheiratet.

Bist du schon einmal verhaftet worden?

Nein. Aber als Sozialarbeiter muss man jetzt sehr vorsichtig sein. Viele haben Angst, zur Arbeit zu kommen. Wir sind in unseren Jobs nicht versichert. Niemand zahlt für mich, wenn ich vor Angreifern flüchten muss oder auf der Straße einen Unfall habe. Deshalb fordern wir von den Organisationen, die in Ländern wie Nigeria tätig sind, für Mitarbeiter eine Lebensversicherung oder Ähnliches abzuschließen.

Gibt es denn trotz dieser Gesetze so etwas wie eine schwule Community?

Sicher. Die LGBT-Organisation, für die ich arbeite, existiert schließlich auch. Ich habe Erfahrungen mit Leuten aus meinem Dorf gemacht, noch bevor ich irgendeinen nigerianischen Flughafen gesehen hatte – ich war damals noch unwissend. Schwule Männer gibt’s überall, sogar in der Wüste. Nur müssen wir uns privat treffen, an anonymen Orten. Denn wenn man dich outet, wirst du eingesperrt.

„Wenn wir so weitermachen, haben wir bald die höchste HIV-Rate der Welt.

Was bedeutet diese Politik für die HIV-Prävention?

Nigeria hat die zweithöchste HIV-Rate der Welt. In zwei oder drei Jahren werden wir an die erste Stelle rücken, wenn wir so weitermachen. Denn die am stärksten Betroffenen – auf sie entfallen 40 Prozent der HIV-Infektionen – scheuen wegen der Bedrohung vor medizinischer Behandlung zurück.

Heißt das, bevor es das Gesetz gab, haben schwule Männer HIV-Medikamente genommen – und jetzt nicht mehr?

Ja, der Anteil derer, die HIV-Medikamente abholen, geht zurück, weil sie für eine Packung Tabletten nicht zehn Jahre Gefängnis riskieren wollen. Sie versuchen, sich zu verstecken und zu tarnen und auf anderen Wegen zu überleben. Manche sagen, sie würden lieber sterben, als verhaftet zu werden. Ein Freund hat zu mir gesagt: „HIV ist kein Todesurteil, aber wegen dieses Gesetzes ist es doch eines, weil ich keinen Zugang zur Therapie habe.“

Überwacht die Regierung denn die Behandlungszentren?

Wenn der Arzt herausfindet, dass man schwul ist, muss er das melden, weil man laut diesem Gesetz keinen schwulen Mann decken und unterstützen darf. Wer das trotzdem tut, macht sich strafbar.

„HIV ist kein Todesurteil, aber wegen dieses Gesetzes ist es doch eines.

Wie kann man schwule Männer trotz dieser Umstände mit Informationen und HIV-Medikamenten versorgen?

Es darf auf jeden Fall niemand mitbekommen. Man muss Codewörter verwenden und erst mal durch andere Schwule herausfinden, ob jemand schwul ist. Es ist schwieriger geworden, die Männer anzusprechen, weil man sich mehr um Sicherheitsfragen kümmern und auf sich selbst aufpassen muss. Aber wir verlieren nicht die Hoffnung. Wir geben nicht auf!

Was sagt ihr den Leuten, wenn ihr sie erreicht?

Wir versuchen, Betroffene zu leiten und zu beraten, wenn sie von Problemen, Beschwerden und Schikanen berichten. Die Leute müssen sich selbst verstehen und wertschätzen, damit sie Alternativen finden können, wie sie sich im Leben zurecht finden. Wir versuchen, ihnen, ihre Grundrechte bewusst zu machen, wie sie in der Verfassung der Republik Nigeria von 1999 stehen. Aber wir haben kaum Ressourcen und immer weniger Geld. Und die, die unsere Rechte verletzen, wissen, dass wir als Schwule sie nicht anzeigen können.

Tretet ihr auch in Kontakt mit der Regierung, um etwas zu verändern?

Wir versuchen das. Wir möchten, dass die Regierung eine Versorgung für alle als Chance erkennt – unabhängig davon, wen jemand liebt oder wie er aussieht. Wir arbeiten mit Pressemitteilungen, wobei wir nicht wissen, ob das bei ihnen ankommt. Manchmal veröffentlichen wir Beiträge in Zeitungen, davon erfahren sie. Aber das ist natürlich teuer.

Ihr könnt euch nicht direkt an die Regierung wenden …

Nein. Ihnen zu sagen, dass es um schwule Männer geht, ist zu gefährlich. Sie verstehen nicht, dass wir unseren Teil zur nationalen Antwort auf HIV beitragen, um Leben zu retten und Menschen zu schützen. So wird die Situation immer gefährlicher für alle!

„Schwule Männer haben viele Probleme, sie wollen nicht auch noch über HIV reden.“

Du erlebst das wahrscheinlich sehr direkt in deinem eigenen Freundeskreis, oder?

Einer meiner Freunde wusste nichts von seiner HIV-Infektion. Er wollte seine sexuelle Orientierung verbergen, weil es überall Druck gab. Seine Freundin infizierte sich, und soweit wir wissen, hatte dieses Mädchen mehrere Liebhaber – stell dir diese Infektionskette vor! Wenn du nur einen einzigen Mann schützt, der Sex mit Männern hat, dann schützt du viele weitere Leute.

Ist dir bekannt, wie viele schwule Männer in Nigeria HIV-positiv sind?

Eigentlich sollte ich keine solchen Zahlen nennen. Die HIV-Prävalenz im Land beträgt etwa 17 Prozent.

Man spricht nicht darüber, dass viele Schwule HIV-positiv sind?

Idealerweise sollte man offen darüber sprechen können. Aber wir möchten nicht noch etwas hinzufügen, was uns zu unserer Ausgrenzung beiträgt. Schwule Männer haben Angst, und viele stehen zusätzlich ohne Job da, haben kein Zuhause oder nichts zu essen. Unter solchen lebensbedrohlichen Umständen möchtest du nicht auch noch über deinen HIV-Status reden. Sogar in der LGBT-Community wird das ausgeblendet, obwohl wir dort unter Freunden sind.

Sprichst du über deinen HIV-Status?

Ich arbeite für HIV-Positive, gehe regelmäßig zum HIV-Test, achte auf meine Gesundheit und versuche, mir nicht irgendwelche gesundheitlichen Probleme zuzuziehen. Meine Gesundheit ist für mich Privatsache, ich stelle meine eigenen Belange nicht in den Vordergrund. Ich möchte negativ bleiben, aber wenn ich mich eines Tages infizieren sollte, wird das kein Thema sein.

„Die Regierung versteht nicht, dass wir unseren Teil zu den Maßnahmen gegen HIV beitragen.“

Werdet ihr für eure Arbeit eigentlich bezahlt?

Nein, wir arbeiten im Grunde genommen ehrenamtlich. Wir bekommen ein kleines Entgelt, aber wenn du ein Gehalt meinst, das uns angesichts der jetzigen Situation in diesem Feld zustünde, könnte man uns gar nicht genug bezahlen.

Wie ist denn deine persönliche Situation?

Als offen schwuler Mann musste ich aus meinem Dorf in eine Wohngegend fliehen, wo zu leben ich mir eigentlich nicht leisten kann. Aber ich muss das irgendwie schaffen, weil ich in einer einigermaßen sicheren Umgebung leben muss. Ich wurde kürzlich um Mitternacht bei einem Zwischenfall in einem Dorf angegriffen: 14 Leute wurden aus ihren Häusern geholt, brutal mit Waffen angegriffen, und einige von uns hat man festgenommen und zu einer Polizeistation gebracht. Und statt die Opfer zu schützen, hat die Polizei die Opfer bestraft und ihre Angreifer gehen lassen. So etwas will man nicht noch einmal erleben.

Was erleben junge Schwule und Lesben in Nigeria in ihren Familien?

Ich sehe immer die Fortschritte, die Länder wie Australien gemacht haben. Hier kümmert man sich mehr um die persönliche Entwicklung als Mensch. Homosexualität stellt dabei kein Hindernis dar. Wenn in Nigeria ein Mädchen in der Familie vor dem Abitur als lesbisch identifiziert wird, verliert sie die Unterstützung ihrer Familie. Sie kann nicht mehr Augenchirurgin werden oder zum Militär gehen. So reduziert man die qualifizierten Arbeitskräfte, die Erwerbsbevölkerung und die Kraft der Menschen im Land. Die Menschen müssen über Homophobie nachdenken.

„Nicht Homosexualität ist unafrikanisch, sondern Homophobie!“

Welche konkreten Veränderungen wünschst du dir für dein Land?

Wenn mein Dorf, meine Kultur oder meine Gemeinde versucht, mich umzubringen, weil ich schwul bin, sollte mich ein Gesetz als ein menschliches Wesen schützen. Auffällig ist, dass die Regierung das homophobe Gesetz unterzeichnet hat, weil sie sich von der westlichen Kultur abgrenzen wollen. Aber nicht Homosexualität ist unafrikanisch, sondern Homophobie, denn Homosexuelle gibt es in Afrika schon seit Jahrtausenden.

Hast du je daran gedacht, Nigeria zu verlassen?

Ich möchte nicht von hier weg. Das ist mein Land. Nach seiner Verfassung sind alle Menschen gleich, wir sollen alle die gleichen Chancen haben. Ich möchte kein Flüchtling sein, sondern ein vollwertiger Bürger in meinem eigenen Land. Einige Leute gehen, andere bleiben. Wenn ich irgendwann nur so mein Leben retten kann, werde ich auch gehen. Aber ich möchte es nicht.

1 Kommentare

Hugo Egon Maurer 2. November 2014 21:01

Ich konnte den Artikel nicht zu Ende lesen, weil meine Wut ins unermäßliche steigen würde.
Was bilden sich die verbrecherischen Menschenhasser den ein?
Nur um sich an der Macht zu halten, denken sich die Diktatoren und Diktaturen solche unmenschliche Gesetze aus.

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