Forschung

HIV-Prophylaxe: Die Zukunft von PrEP und Co.

Von Siegfried Schwarze
© DAH | Renata Chueire


Die Einführung der medikamentösen Prä-Expositions-Prophylaxe war ein großer Durchbruch in der HIV-Prävention und ist die Grundlage für Forschung zu verschiedenen Methoden für unterschiedliche Schlüsselgruppen. Wie geht’s weiter mit der PrEP und anderen biomedizinischen Präventionsmaßnahmen?

Erfolge der PrEP

Jahrzehntelang gab es als einzigen, praxistauglichen Schutz vor einer HIV-Infektion nur das Kondom und andere Barrieremaßnahmen, die mit einer natürlichen und lustvollen Sexualität nicht ganz einfach zu vereinbaren sind. Nicht zuletzt deshalb wurde die Einführung der medikamentösen Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) mit Tenofovir-DF/Emtricitabine (TDF/FTC, oft noch als Truvada® bekannt) für viele als Entlastung und Durchbruch gesehen. Denn auch wenn die PrEP laut Zulassung nur zusätzlich zu einem Kondom anzuwenden ist, war von Anfang an klar, dass dies zwar der Studiensituation, aber keineswegs der Realität entspricht. Nachdem der zunächst sehr hohe Preis durch die Initiative eines Apothekers und eines Generika-Herstellers auf ein bezahlbares Niveau gesenkt werden konnte, zogen die meisten anderen Hersteller dieses Präparats nach. Schließlich hatte auch der Gesetzgeber ein Einsehen und verankerte die PrEP als Kassenleistung der GKV. Inzwischen haben viele private Krankenversicherer – längst nicht alle – gleichgezogen. Auch wenn wünschenswert wäre, dass die Erstattung der PrEP dauerhaft ist, ist das nicht sichergestellt. Mit geschätzten 15.600 bis 21.600 PrEP-nutzenden MSM in Deutschland (Ende Juni 2020) kann man von einem „Erfolgsmodell“ sprechen.

Mit bis zu 21.600 PrEP-Nutzenden in Deutschland kann man von einem Erfolgsmodell sprechen.

Inzwischen hat sich die PrEP weiterentwickelt. Als Alternative zu Tenofovir-DF steht nun auch Tenofovir-AF zur Verfügung. Diese Substanz verteilt sich im Körper etwas anders, sodass die PrEP mit TAF/FTC in Studien weniger Nebenwirkungen auf Nieren und Knochen hat, dafür öfters mit Gewichtszunahme einhergeht. In den USA gibt es eine Zulassung für das Originalpräparat Descovy® als PrEP und aufgrund eines anderen Bezahlmodells, u. a. mit Subventionierung durch den Hersteller, ist die Descovy®-PrEP dort schon verfügbar. Dabei bleibt es aber bei der Einnahme von einer Tablette täglich.

HIV-Prophylaxe mit Depotspritzen

Einen Schritt weiter geht die PrEP mit „long acting“ Wirkstoffen, also Substanzen, die über längere Zeit im Körper verbleiben und eine seltenere Verabreichung erlauben. Erster Vertreter ist Cabotegravir, die in den USA und den Ländern der EU unter dem Handelsamen Apretude® zur PrEP zugelassen wurde. In der EU ist der Wirkstoff als Vocabria® für die Behandlung einer HIV-Infektion zugelassen, zusammen mit Rekambys®. Vorteil dieser Depotspritze ist, dass sie nur alle zwei Monate verabreicht werden muss. Dabei gibt es einen zeitlichen Spielraum von +/- 7 Tagen. Sollte auch dies einmal nicht möglich sein, ist eine Überbrückung mit Tabletten, einer Tablette pro Tag, möglich. Das Problem für die praktische Anwendung wird aber der Preis sein. Eine Ampulle Vocabria® kostet 1.272,93 Euro, die alle zwei Monate fällig werden (Stand: Sept. 2023). Nur wenige PrEP-User werden bereit sein, diese Kosten selbst zu tragen und eine Erstattung durch die GKV ist derzeit nicht in Sicht. Falls sich der Hersteller nicht bewegen lässt, Apretude® deutlich günstiger auf den Markt zu bringen, bleibt wohl nichts anderes als zu warten, bis die Substanz frühestens 2033 aus dem Patentschutz läuft und generisch verfügbar wird. Erfreulich ist, dass der Hersteller dem Medicines Patent Pool eine freiwillige Lizenz erteilt hat, um die Substanz in Ländern des globalen Südens für die PrEP verfügbar zu machen. Es wird spannend zu sehen, ob nicht Generika aus diesen Ländern auf dem illegalen Markt auftauchen und auch bei uns erhältlich sein werden. Allerdings ist tief intramuskuläre Injektion erforderlich, sodass es dabei ärztlicher Hilfe bedarf. [Community-Organisationen aus ganz Europa verabschiedeten 2023 ein gemeinsames Manifest, in dem das Potential solcher PrEP-Depotspritzen betont und politisches Handeln gefordert wurden. – Anm. d. Red.]

Hoffnung auf Lenacapavir 

Dies könnte bei einer weiteren Substanz anders aussehen: Lenacapavir wurde gerade erst für die Behandlung der HIV-Infektion mit multiplen Resistenzen zugelassen, wenn mit anderen Substanzen keine wirksame Therapie zusammengestellt werden kann. Derweil laufen die Studien für die PrEP mit Lenacapavir; erste Ergebnisse sind sehr erfolgversprechend, aber die endgültigen Studienergebnisse werden voraussichtlich erst Mitte 2027 vorliegen (PURPOSE-Studien). Diese Substanz ist deshalb so spannend, weil sie als subkutane Injektion verabreicht werden kann (ähnlich wie z. B. Insulin), was die Anwender*innen nach entsprechendem Training durchaus selbst durchführen könnten. Außerdem ist die Anwendung nur alle sechs Monate erforderlich. Das eröffnet völlig neue Möglichkeiten in allen Fällen, wo es auf besondere Diskretion ankommt. Doch auch hier dürften die Kosten das Problem sein. Der Hersteller hat bisher darauf verzichtet, das Präparat auf dem deutschen Markt zur Behandlung der HIV-Infektion einzuführen, weil man davon ausgeht, dass der erzielbare Preis nicht den Unternehmenserwartungen entspricht. Man muss leider davon ausgehen, dass der Einsatz von Lenacapavir in Deutschland bis auf weiteres unrealistisch ist.

Eine Demo auf der Welt-Aids-Konferenz 2024 fordert den breiten Zugang zum noch viel zu teuren Lenacapavir. (Foto: Johannes Berger)

Auch andere Hersteller haben lang wirksame Substanzen und so werden auch oral einsetzbare Medikamente erprobt, die seltener als einmal täglich eingenommen werden können. Ob aber Pillen, die man z. B. nur einmal pro Woche oder Monat schlucken müsste, tatsächlich einen Vorteil bringen oder ob letztendlich die Adhärenz und damit die Wirksamkeit darunter leiden, werden Studien zeigen müssen.

Es gibt Untersuchungen, die bisher für die PrEP eingesetzten Substanzen wie TDF, TAF, FTC und 3TC als subkutane Depots verfügbar zu machen. Aber hier sind zunächst noch mehr Studien erforderlich und, im Erfolgsfall, auch eine entsprechende Zulassung.

Innovation Implantat

Einen anderen Weg bestreiten Implantate. Dies sind kleine Stäbchen aus einem bioverträglichen Kunststoff, die über längere Zeiträume Wirkstoff freisetzen – in diesem Falle Substanzen, die eine HIV-Infektion verhindern können. Das Prinzip ist bei Mitteln zur Empfängnisverhütung bereits untersucht und etabliert. Allerdings könnte die notwendige Prozedur, um das Implantat im Muskelgewebe zu platzieren bzw. nach Ablauf der Wirkdauer wieder zu entfernen, für viele ein Hinderungsgrund sein.

Das Prinzip Implantat ist bei Mitteln zur Empfängnisverhütung bereits untersucht und etabliert.

Dennoch arbeiten einige Hersteller an solchen Implantaten. Diese sind aber noch in sehr frühen Phasen der klinischen Entwicklung und viele Fragen sind noch ungeklärt. Hinzu kommt, dass einer der Wirkstoffe, Islatravir, der für ein besonders lang (ein Jahr oder länger) wirksames Implantat entwickelt wurde, in ersten Tabletten-Studien als unerwartete Nebenwirkung die Abnahme der weißen Blutkörperchen gezeigt hatte. Nun wird überprüft, inwieweit dies die weitere Entwicklung der Substanz beeinträchtigt. Das Ergebnis ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehbar.

Lokale HIV-Prophylaxe

Eine Option speziell für Menschen mit Vulva ist ein Vaginalring mit der Substanz Dapivirin. Das Besondere daran ist, dass diese Substanz bei der Behandlung der HIV-Infektion nicht eingesetzt wird, weil sich das Nebenwirkungsprofil für eine Einnahme als Tablette nicht eignet. Allerdings ist der Schutz vor einer HIV-Infektion deutlich geringer als bei den bisher zugelassenen PrEP-Optionen: Studien zeigten lediglich eine Risikoreduktion um etwa 35 % im Vergleich zu Plazebo. Dennoch könnte dieser Vaginalring eine Möglichkeit der HIV-Prävention z. B. für Frauen darstellen, für die andere Präventionsmöglichkeiten nicht akzeptabel oder anwendbar sind. Das Präparat wurde zur Zulassung in den Ländern der EU empfohlen. Ein Vorteil ist, dass der Vaginalring nur alle 28 Tage ausgetauscht werden muss. Studien mit einer verbesserten Version, die nur noch alle drei Monate getauscht werden muss, laufen derzeit.

Eine weitere Idee, die derzeit in Studien geprüft wird, sind Anal- bzw. Vaginalduschlösungen bzw. entsprechenden Gels mit Anti-HIV-Wirkstoffen. Hier ist die Herausforderung, auf der einen Seite Wirkstoffe einzusetzen, die so wirksam sind, dass eine HIV-Infektion sicher verhindert werden kann, die aber andererseits die Schleimhäute nicht reizen, um das Risiko einer HIV-Infektion nicht zu erhöhen.

Die Forschung an solchen topischen Präventionsmethoden wie Mikrobiziden wurde bisher maßgeblich vom US-amerikanischen Microbicide Trials Network (MTN) vorangetrieben. Die 2021 getroffen Entscheidung, dieses Netzwerk aufzulösen, wird Auswirkungen auf weitere Forschungsanstrengungen auf diesem Gebiet zeigen, auch wenn weiterhin Studien unter dem Dach des HIV Prevention Trials Network (HPTN) durchgeführt werden können.

Noch viel Forschungsbedarf

Eine mögliche Präventionsoption, die noch weiter in der Zukunft liegt, sind breit neutralisierende Antikörper (bnABs). Obwohl hier schon in „proof-of-concept“-Studien eine Wirksamkeit gezeigt werden konnte, verhindern derzeit die noch exorbitanten Herstellungskosten dieser biologischen Moleküle einen breiten Einsatz. Dennoch macht es Sinn, auch diese Möglichkeit weiter zu verfolgen, da z. B. die mRNA-Technologie eine Möglichkeit böte, die Antikörper direkt im Körper zu produzieren, anstatt sie künstlich herzustellen und als Infusion zu verabreichen. Doch hier ist noch viel Forschungsbedarf.


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