Protest gegen Gilead: Aktivist_innen fordern vorläufigen Stopp von PrEP-Studie
In einem Offenen Brief an Douglas Brooks, der bei Gilead für die Community-Einbeziehung zuständig ist, bringen die Aktivist_innen ihren „großen Unmut“ darüber zum Ausdruck, dass das Unternehmen die Studie vorantreibt, ohne relevante Akteur_innen (Stakeholder) angemessen einzubeziehen. Die Studie sei damit „handwerklich schlecht gemacht“ und trage den Keim ihres Scheiterns in sich – so wie auch andere PrEP-Studien bereits an mangelnder Community-Beteiligung gescheitert seien.
In der DISCOVER-Studie sollen das bereits zur HIV-PrEP zugelassene Medikament Truvada und das Nachfolge-Präparat Descovy miteinander verglichen werden. Ziel ist herauszufinden, ob auch Descovy sicher und effektiv zum Schutz vor HIV eingesetzt werden kann. Descovy ist für diese Form der Anwendung noch nicht zugelassen.
„Gilead muss sich an die Spielregeln halten“
Die Unterzeichner_innen des Briefs werfen Gilead vor, potenzielle Teilnehmer_innen nicht ausreichend darüber zu informieren, dass Sicherheit und Wirksamkeit von Descovy noch nicht erwiesen seien. Stattdessen werde der Eindruck erweckt, Descovy sei sogar sicherer, wirksamer und besser verträglich, heißt es in einem Hintergrundpapier.
Angesichts des „Ausmaßes und der Dringlichkeit“ der Probleme fordern die Aktivist_innen Gilead auf, die Studie vorläufig zu stoppen, die Einrichtung je einer Community-Beratungsgruppe für Nordamerika und Europa und die bisherigen Werbematerialien gemeinsam mit den Community-Gremien überarbeiten.
Komme Gilead dieser Aufforderung nicht nach, werde man geeignete Schritte beraten, wie man die Communitys über die DISCOVER-Studie und ihre Rekrutierungsstrategien informieren könne.
Die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) teilt die Kritik: „Gilead muss die Spielregeln einhalten. Ganz besonders bei Präventionsstudien ist die Beteiligung und frühe Einbindung der Community unverzichtbar“, sagt DAH-Medizinreferent Armin Schafberger. „Bei der Discover-Studie besteht dringender Handlungsbedarf.“
Vor allem müssen die Studienteilnehmer_innen gründlich informiert werden, dass der Grad der Schutzwirkung von Descovy noch nicht erwiesen ist – es könnte besser, schlechter oder genauso gut schützen wie Truvada. „Die Deutsche AIDS-Hilfe wird die Aufklärungsmaterialien in deutscher Sprache genau begutachten, um gegebenenfalls darauf reagieren zu können“, kündigte Schafberger an.
„In Deutschland muss die PrEP-Finanzierung sichergestellt werden“
Während in den USA schon für die Teilnahme an der Studie geworben wird, verzögert sich der Start in Europa zurzeit. Die ersten Teilnehmer können voraussichtlich erst im Januar aufgenommen werden. Da es in Deutschland noch keinen regulären Zugang zur PrEP mit Truvada gibt, ist die Studie die einzige reguläre Möglichkeit, sich überhaupt mit einer PrEP vor einer HIV-Infektion zu schützen (mehr Informationen zum Zugang zur PrEP).
Die Forderung nach einem vorläufigen Stopp der Studie teilt die Deutsche AIDS-Hilfe darum nicht. Mehrere hundert Interessierte sind schon seit Monaten auf den Wartelisten der vier deutschen Studienzentren. Eine weitere Verzögerung könnte bedeuten, dass die Studienplätze schon weitestgehend an Teilnehmende aus den USA vergeben sind, bevor es in Europa losgeht.
Die Folgen könnten fatal sein: In PrEP-Studien werden schwule Männer aufgenommen, die sich ohne die Prophylaxe mit hoher Wahrscheinlichkeit infizieren. „Für diese Menschen ist die PrEP unverzichtbar“, betont Armin Schafberger. „Wir dürfen diese Tür darum nicht zuschlagen. Zugleich stehen aber alle Verantwortlichen in Deutschland in der Pflicht, so schnell wie möglich die Finanzierung der PrEP sicherzustellen.“
Bei einer PrEP werden HIV-Medikamente vorbeugend eingenommen. Die Schutzwirkung des Medikaments Truvada ist hoch, es ist bisher das einzige zu diesem Zweck zugelassene Medikament. In Deutschland kommen zurzeit die Krankenkassen nicht für die Kosten auf. Da Gilead mehr als 800 Euro für die Monatspackung verlangt, ist die PrEP für die meisten Menschen unerreichbar.
(hs/as/howi)
Zu den Erstunterzeichnern des Offenen Briefs gehören die Treatment Action Group (New York/USA), der National Minority AIDS Council (Washington D.C./USA), AIDeS (Frankreich), REZO, santé et mieux-être des hommes gais et bisexuels, cis et trans (Montréal/Kanada), PrEPster.info, The Care Center (Long Beach, CA/USA), iwantprepnow.co.uk (London/Großbritannien), die European AIDS Treatment Group (Brüssel/Belgien), AVAC (New York/USA), die AIDS Foundation of Chicago (USA), International Rectal Microbcides Advocates (Chicago/USA), die HIV Prevention Justice Alliance (USA) und die National Female Condom Coalition (USA).
Link zum Offenen Brief vom 16.11.2016
Link zum Factsheet zur Studie, das von den Unterzeichnern entwickelt wurde
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