Ungarn in schlechter Verfassung

Von Holger Wicht

 

 
Hier fiel die Entscheidung: das ungarische Parlamentsgebäude. Foto: Ivanhoe

Ungarns rechtskonservative Regierung macht Schwule und Lesben offiziell zu Bürgern zweiter Klasse. Ein herber Rückschlag für die Emanzipation, die gerade erst in Fahrt kam. Selbsthilfe- und Menschenrechtsorganisationen protestieren – werden aber wohl erfolglos bleiben. Von György Cap

 

Ungarn streicht das Wort „Republik“ aus seinem Namen und die rechtskonservative Regierungspartei installiert fast im Alleingang eine neue Verfassung, die auch die Position von Minderheiten schwächt. Zugleich hat Ungarn die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union inne. Ein guter Grund, einen Blick auf das schwule und lesbische Leben des Landes zu werfen.

Es ist ein doppeltes Spiel. Einerseits ist es in Ungarn möglich, eine gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft eintragen zu lassen, andererseits schreibt die neue Verfassung die Ehe als „Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau“ fest. Nächstes Jahr sollen in Budapest die Eurogames stattfinden, zugleich kommt es bei der Pride-Parade (dem Budapester CSD) stets zu heftigen Gegenprotesten und Gewalt. Und nicht zuletzt: Im europäischen Vergleich leben in Ungarn nicht besonders viele HIV-Positive – doch die Zahl der jährlichen Neuinfektionen steigt rasant.

Das Verbot von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung wurde aus der Verfassung gestrichen

Seit der Wahl im letzten Jahr hat sich die Situation drastisch verschärft: Die rechtskonservativen Jungen Demokraten „FIDESZ-KDNP“ haben eine so große Mehrheit, dass sie nicht nur alleine regieren, sondern auch die Verfassung verändern können. Die Opposition weigerte sich dementsprechend, am Diskussionsprozess teilzunehmen, lediglich die rechtsradikale „Jobbik“ („Die Besseren“) hat sich beteiligt. Ergebnis: Nicht nur soll in Zukunft die Ehe heterosexuellen Paaren vorbehalten bleiben, es wurde auch ein Passus gegen sexuelle Diskriminierung gestrichen.

Die Möglichkeit der Eintragung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft besteht in Ungarn seit dem 1. Juli 2009. Es gibt drei entscheidende Unterschiede zur Ehe: Es ist nicht möglich, den Namen des Partners beziehungsweise der Partnerin anzunehmen,  Kinder zu adoptieren oder eine künstliche Befruchtung vornehmen zu lassen. In vielen Punkten – beispielsweise  im Steuerrecht – ist das Gesetz aber fortschrittlicher als die Eingetragene Lebenspartnerschaft in Deutschland. Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) haben auf die Angleichung an die Ehe hingearbeitet. Durch den neuen Passus in der Verfassung wird die Gleichstellung nun vereitelt.

Heftiger Widerstand dagegen kommt von der Ende März gegründeten NGO „Egyenjogúságért Koalítió“ („Schwule Gleichberechtigungskoalition“). Sie will die Kräfte für die Rechte von sexuellen Minderheiten bündeln und ihnen eine gemeinsame Stimme verleihen. Durch die neue Verfassung werden nach Auffassung dieser Organisation Schwule, Lesben, Bi- und Transsexuelle offiziell zu Bürgern zweiter Klasse. Am 15. April veranstaltete man darum eine große Demonstration, gemeinsam mit Sinti und Roma, der Frauenbewegung und der Gewerkschaft der Feuerwehr. Attila Német, einer der Sprecher der Koalition, rief die Regierung dazu auf, die herabwürdigenden Passagen nicht in die Verfassung aufzunehmen.

Breiter Widerstand von „Schwuler Gleichberechtigungskoalition“ bis Amnesty International

Die Regierung hält der Kritik entgegen, die Eingetragene Partnerschaft bleibe ja unbeschadet. Doch diesem Versprechen sei nicht zu trauen, meint der Soziologe Tamás Dombos von „Háttér Társaság A Melegekért“ („Verein für schwulen Rückhalt“). Seine Organisation will weiter demonstrieren und Unterschriften sammeln.

Auch Amnesty International hat in Briefen an den Präsidenten, die Regierung und die Parteien den Verfassungsentwurf kritisiert und gefordert, das Verbot von Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung und sexueller Identität aufzunehmen. Die ungarische Verfassung verstoße sonst gegen internationale und europäische Menschenrechtsgesetzgebung. Unter anderem steht sie im Widerspruch zur auch von Ungarn unterzeichneten Grundrechte-Charta der EU. Artikel 21 verbietet ausdrücklich die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung. Das Parlament hat die neue Verfassung am 18. März verabschiedet. Ostermontag will Präsident Pál Schmitt sie unterzeichnen. Am 1. Januar 2012 wird die „Osterverfassung“, wie das Volk sie nennt, somit in Kraft treten.

Bei den Schwulen und Lesben in Ungarn haben sich angesichts dieser Entwicklung Frust und Enttäuschung breitgemacht. Die Eingetragene Partnerschaft hatten viele als großen Schritt Richtung Emanzipation empfunden. „Ich verstehe nicht, wie die Regierung jetzt so eine Entscheidung fällen kann“, sagt der 28-jährige István aus Jászberény. „Emanzipation und gleiche Rechte verletzen niemanden. Warum verwehrt man uns das Recht zu leben wie alle anderen? Jetzt gibt es vielleicht für Jahre keine Möglichkeit mehr, die Verfassungsänderung rückgängig zu machen.“

Befragt, ob er denn mit seinem Freund eine Eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen würde, winkt István ab. Er hat Angst vor Diskriminierung, Ausgrenzung, Verachtung. „So geht es vielen hier“, sagt er. „Um offen schwul oder lesbisch zu leben, braucht man in Ungarn viel Mut.“

György Cap ist Ungar und lebt mit seinem Mann in Berlin.

Der Lesben- und Schwulenverband ruft zur Teilnahme am Budapest Pride (18.Juni) auf.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 75 = 83