Nackter Oberkörper
„Gorka“, 1981

Der 1991 verstorbene französische Schriftsteller Hervé Guibert ist in seinem nun vorliegenden fotografischen Gesamtwerk neu zu entdecken

Als Hervé Guibert Anfang der 1990er Jahre auch hierzulande wahrgenommen wurde, galt ihm die Aufmerksamkeit vor allem als dem Aidskranken. Mit seinem Roman „Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat“ hatte man ein schonungslos autobiografisches Werk, das zugleich auch intellektuelle Sensationslust bediente. Längst wusste man, dass hinter der Figur des Muzil Guiberts Ex-Lover, der Philosoph Michel Foucault, steckte. Dass dieser nicht, wie offiziell verkündet, 1984 an Krebs, sondern an Aids verstorben war, offenbarte erst Guibert durch seinen Roman.

Das Buch ist jedoch alles andere als literarischer Klatsch. In Rückblicken bis auf das Jahr 1980 erzählt Guibert von Tod und Todeserfahrung, von Schwäche und Hilflosigkeit. Er beschreibt die quälenden Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die Schäbigkeit der Krankenhäuser, die Leiden seiner Freunde.

Selbstportrait

Hervé Guibert hat seine „Aids-Biographie“ und Chronik des Sterbens danach konsequent weitergeführt. In „Mitleidsprotokoll“ (1991) stellt er die behandelnde Ärztin ins Zentrum. Das Interesse auf dem deutschen Buchmarkt war allerdings nur noch gering. Die posthum 1992 in Frankreich veröffentlichten Bände „L ‘homme au chapeau rouge“ und „Cytomégalovirus. Journal d’hospitalisation“ (beide 1992) wurden deshalb schon gar nicht mehr ins Deutsche übersetzt.

Die radikale Selbstentblößung hatte Guibert bis zu seinem Tod aufrechterhalten, ebenso wie sein Hang zum Narzissmus. Beides gipfelt in dem Film „La pudeur ou l’impudeur“ (Die Scham oder die Schamlosigkeit). Dieses Videotagebuch, das vor kurzem in Frankreich auf DVD erschienen ist) hatte er in seinen letzten Lebensmonaten im Auftrag des Privatsenders TF 1 gedreht. Die Kamera auf ein Stativ gestellt, erlaubt er den Blick auf die persönlichsten Verrichtungen: Untersuchungen im Krankenhaus, der Gang zur Toilette, das Waschen, An- und Ausziehen, der von der Krankheit gezeichnete Körper vor dem Spiegel. Schonungslos wie auch seine Bücher ist auch dieser Film; exhibitionistisch, sowie schamlos und radikal gegen sich selbst. Nur gegen große Schwierigkeiten konnte dieses Ego-Dokument überhaupt im französischen Fernsehen ausgestrahlt werden. Der Medienkontrollrat befürchtete eine wenig hilfreiche Desillusionierung von Aids-Erkrankten.

Guibert auf dem Sterbebett
„Selbstportrait, rue du Moulin-vert“, 1986

Dass Guibert, der schwerkrank 1991 seinem Leben selbst ein Ende setzte, auch ein fotografisches Werk mit einem sehr eindrucksvollen poetischen Stil hinterlassen hat, lässt sich spätestens jetzt durch eine erste Gesamtedition entdecken. „Fotografiere nur die Leute, die dir am nächsten stehen, deine Eltern, deine Geschwister, deine geliebte Freundin, denn die alten Gefühle bestimmen das Foto“, schrieb Guibert in seinem Essayband „Phantom-Bild“.

Bei seinen eigenen Fotoarbeiten hat er sich tatsächlich daran gehalten. Erstmals liegt nun das fotografische Gesamtwerk ediert vor. Es sind entrückte Aufnahmen von Freunden wie Isabelle Adjani, melancholisch stimmende Stillleben, träumerische Selbstporträts und Aktbilder von Liebhabern, und immer wieder sein Geliebter Thierry. Ganz beiläufig inszeniert Guibert hier Stimmungen, spielt mit Lichteinfall und Schattenwurf, schaut entrückt in die Leere und erzählt mit diesen sorgsam arrangierten Schwarz-Weiß-Aufnahmen Geheimnis umwobene Geschichten.

„Auf ihre Weise sind Hervé Guiberts Fotografien kleine Vanitasbilder und erinnern uns an die Dringlichkeit des Lebens, die ihm so wichtig war“, schreibt Jean-Baptiste Del Amo in seinem einleitenden Essay. Im ersten Moment erscheint einem diese Deutung etwas zu aufgeladen. Seinen frühen Tod mag Guibert Ende der Siebziger Jahre – aus dieser Zeit stammen die ersten Bilder – wohl kaum vorausgeahnt haben. Je länger man aber in diesem Band blättert, desto häufiger entstehen tatsächlich derlei Assoziationen, etwa wenn Guilbert sich wie ein Leichnam aufgebahrt oder lediglich seinen Schatten an der Wand fotografiert. Der Schreitisch mit den privaten Utensilien erscheint plötzlich wie melancholisch-traurige Stillleben von Erinnerungsstücken. Wem auch immer diese Füllfederhalter und Papiere gehört haben mögen und wer an dieser Schreibmaschine gesessen haben mag: Er ist entschwunden.

Axel Schock

Buchumschlag Hervé Guibert: „Photographien“
Verlag Schirmer/Mosel

Hervé Guibert: „Photographien“. Mit einem Text von Jean-Baptiste Del Amo. Verlag Schirmer/Mosel, geb., 224 S., 39,80 Euro

alle Fotos: Nachlass Hervé Guibert/courtesy Schirmer/Mosel

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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