Kompetenznetz HIV/AIDS 4 | Setzen, sechs!
Kommerziell motivierte Forschung, Kurzsichtigkeit und Intrigen: Das Kompetenznetz scheitert aufgrund politischer Bedingungen und eigener Unzulänglichkeiten, meint HIV-Aktivist Bernd Vielhaber. Sein Urteil: unentschuldbar.
Das Kompetenznetz und die HIV-Kohorte sind eine unendliche Geschichte von menschlichen Unzulänglichkeiten, Eitelkeiten, Dummheiten und mangelndem Weitblick.
Die Basis für dieses Debakel stellt die Art und Weise dar, wie in der Bundesrepublik Deutschland Forschung vom Staat – also über Steuergelder – gefördert wird. Hier stellt man mit Erschrecken fest, dass die Forschung an Krankheiten weitestgehend der pharmazeutischen Industrie überlassen wird. Die ist natürlich in allererster Linie daran interessiert, produktorientiert zu forschen. Unterm Strich muss ein vermarktbares Produkt herauskommen.
Das kann man gewinnorientierten Wirtschaftsunternehmen kaum zum Vorwurf machen. Die Folgen für die Allgemeinheit (das Gemeinwesen), vor allem aber für den individuellen Patienten sowie für den behandelnden Arzt sind jedoch verheerend. Zu Arzneimittelwirksamkeit, Arzneimittelsicherheit sowie der Kosten-Nutzen-Relation gibt es kaum unabhängige Forschung. Dennoch handelt der Staat – die Politik – nicht, sondern überlässt den Herstellern die Forschung fast vollständig.
Nicht interessengeleitete Forschung ist in Deutschland eine maximale Rarität
Steuergelder für (eben nicht interessengeleitete) Medikamentenforschung zu bekommen, ist in Deutschland eine maximale Rarität (zumindest im HIV-Bereich). Anders in den USA, in denen das große klinische Forschungsnetzwerk ACTG seit 1987 staatlich finanziert wird. Aber auch dort wird die Förderung beendet.
Auf diesen – tja, ich will mal höflich bleiben – mangelnden Weitblick der Politik, setzen persönliche Eitelkeiten und menschliche Unzulänglichkeiten im HIV-Bereich tätiger Wissenschaftler und Ärzte auf. Der Konkurrenzkampf untereinander und eine mangelnde Bereitschaft, sich (unentgeltlich) zu engagieren, führten gerade in den Anfangsjahren der HIV-Kohorte zu grotesken Situationen.
Beispielsweise war zu Beginn der HIV-Kohorte die Eingabe einer individuellen Medikamentendosis der ART ins Datenbanksystem ebenso wenig möglich, wie die Eingabe von Begleitmedikation, weil es den Damen und Herren schlicht zu viel Arbeit war. So brauchte es einige Zeit, bis die Datenerhebung (Welche Daten werden erhoben?) eine Qualität erreicht hatte, die einen wirklichen Nutzen versprach.
Wie andere Kohorten hat die HIV-Kohorte ihre Kinderkrankheiten gehabt und musste sie wohl auch haben, bevor sie wirklichen Nutzen generieren konnte. Wenn ich mich richtig erinnere, hat auch die ClinSurv-Kohorte des RKI erst etwas sechs Jahre nach Beginn einen wirklichen Nutzen hervorgebracht.
Die Reduzierung der beteiligten Zentren erwies sich als Sargnagel
Da sich aber über die Zeit weder die Konkurrenz konstruktiv nutzbar machen ließ, noch die Eitelkeiten abnahmen (eher im Gegenteil), noch sich die Geldgeber mit Weitblick infizierten, nahm das Verhängnis ungebremst seinen Lauf.
Zwischenzeitlich hatte die HIV-Kohorte eine Größe erreicht, die sie international wirklich konkurrenzfähig gemacht hätte. Mit großen Datenmengen gehen Probleme einher. Je mehr Daten eingegeben werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass es bei der Dateneingabe zu Fehlern kommt. Die müssen selbstverständlich identifiziert und korrigiert werden. Ein kostspieliges, weil personalintensives Unterfangen.
Der Geldgeber griff durch und verlangte eine Reduktion der Patientenzahl auf etwa die Hälfte. Der sich nun anschließende Prozess der Auswahl der Zentren, die weiterhin als Partner der Kohorte Patienten eingeben und einschleusen durften, war aus meiner Sicht der Sargnagel. Er führte zu einer erheblichen Verschärfung der Intrigen gegen das Kompetenznetz.
Da man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass die Politik in unserem Land erheblich stärker von Lobbyismus beeinflusst wird, als von Weitblick, waren die Versuche, die Kohorte am Leben zu halten, vergeblich.
Das Kompetenznetz hat einen ordentlichen Anteil an seinem Untergang
Das Kompetenznetz ist aus meiner Sicht nicht ausschließlich Opfer der Politik. Es hat in der Art und Weise, wie es agiert hat (wie miteinander umgegangen wurde) einen ordentlichen Anteil an seinem eigenen Untergang. Insofern hält sich mein Mitleid in Grenzen.
Aus der Perspektive eines HIV-Positiven und aus der wissenschaftliche Perspektive kann ich nur sagen: Die Nicht-Weiterführung der HIV-Kohorte ist inakzeptabel und unentschuldbar.
Schämt euch, alle zusammen!
Setzen, sechs!
Bernd Vielhaber ist HIV-Aktivist und Medizinjournalist
Bisher erschienen:
„Das Ende nach 18,6 Millionen Euro“ von Steffen Taubert (Deutsche AIDS-Hilfe)
„Die Hoffnung stirbt zuletzt“ von Siegi Schwarze (Mitglied im Patientenbeirat und Patientensprecher im Kompetenznetz HIV/AIDS)
„Kohorte der Kohorte wegen?“ von Corinna Gekeler
Am Montag erscheint ein Beitrag von DAH-Vorstandsmitglied Carsten Schatz.
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