Out in Ost-Berlin
Von heutiger Warte aus betrachtet erscheint der berüchtigte Anti-Homosexuellen-Paragraf 175 des Strafgesetzbuches mehr als befremdlich: Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht missbrauchen lässt, wird mit Gefängnis bestraft, hieß es in der von den Nazis 1935 eingeführten verschärften Fassung, die in der Bundesrepublik noch bis 1969 galt. Und es ist noch keine 20 Jahre her, dass dieser Paragraf, Grundlage für etwa 50.000 Verurteilungen schwuler Männer in der Bundesrepublik, ersatzlos aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wurde.
Möglich wurde das Ende dieses Unrechts im Zuge der Angleichung des ost- und westdeutschen Strafrechts, die schwule Wessis zu Wendegewinnern machte: In der DDR blieben homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen bereits ab 1957 straffrei, und 1968 wurde dort der Paragraf 175 abgeschafft und durch den neugeschaffenen Paragrafen 151 ersetzt, der sexuelle Kontakte Homosexueller mit Minderjährigen unter Strafe stellte.
Lebte es sich jenseits der Mauer als Homosexueller also besser, freier und akzeptierter? Dieser Frage war bereits der Dokumentarfilm „Unter Männern – Schwul in der DDR“ nachgegangen, in dem der etwas naiv agierende Regisseur Ringo Rösener von seinen Interviewpartnern allerdings nicht sehr viel Erhellendes zu erfragen vermochte.
Im Bett mit dem Staatsfeind
Weitaus ergiebiger, allein schon durch die breitere Vielfalt der Stimmen und Porträts, und zudem bisweilen auch überraschender ist da die parallel entstandene Dokumentation „Out in Ost-Berlin“, die nun ins Kino kommt.
Der Filmemacher Jochen Hick („The Good American“, „Ich kenn keinen – Allein unter Heteros“) und sein Ko-Autor Andreas Strohfeldt verzichten darin auf jeglichen Off-Kommentar und lassen einzig das Dutzend Protagonisten erzählen.
Beispielsweise den Theologen Eduard Stapel. Als offen schwulem Theologen hatte man ihm eine Pfarrstelle verwehrt, als Organisator der Homosexuellen Arbeitskreise in Kirchengemeinden quer durch die DDR geriet er in den Blick der Staatssicherheit. Die immerhin scheute keine Mühen, ermittelte sogar Stapels sexuelle Vorlieben und ließ entsprechend vorbereitete „Romeo“-Agenten auf Tuchfühlung mit dem vermeintlichen Staatsfeind gehen.
Unliebsame Erfahrungen mit der Staatsmacht machten auch eine Lesbengruppe aus Berlin-Prenzlauer Berg. Eigentlich wollten sie nur bei einer Gedenkfeier im ehemaligen Konzentrationslager Ravensbrück einen Kranz zu Ehren der dort ermordeten lesbischen Frauen niederlegen. Doch die Fahrt dorthin endete im Polizeigewahrsam.
Klaus Laabs wiederum, Sohn des Staatssekretärs für Volksbildung, war auf dem besten Wege, wie sein Vater politische Karriere zu machen – bis seine Homosexualität bekannt wurde und man den überzeugten Sozialisten aus der SED ausschloss.
Widersprüche und Brüche kennzeichnen die meisten der Lebensläufe und -entwürfe, die Hick und Strohfeldt in ihrem Film skizzieren und mit Bildmaterial aus Dokumentar- und Spielfilmen sowie DDR-Wochenschauen in einen zeitgeschichtlichen und gesellschaftspolitischen Zusammenhang stellen.
Zugleich wird deutlich, wie ambivalent das Verhältnis des Staatsapparates zur Homosexualität war und wie zerrissen das Verhältnis mancher Schwuler und Lesben zur DDR. Denn viele von ihnen waren – zunächst – durchaus begeisterte FDJ-Mitglieder und loyale Parteigenossen. Manche, wie Michael Eggert, einer der Mitbegründer der Homosexuellen Interessensgemeinschaft Berlin (HIB), glaubten sogar daran, für den Aufbau von schwul-lesbischen Organisationen staatliche Unterstützung bekommen zu können.
Schwules Leben auch ohne Subkultur
Andere, wie Dieter Rausch und sein Lebenspartner Peter Bausdorf, hatten ihr schwules Leben längst ganz ins Private verlegt, schätzten das Gemeinschaftsgefühl der „Verzauberten“ und feierten ausgelassene Partys auch ohne institutionalisierte Subkultur. Die Schwarz-Weiß-Bilder in ihrem Fotoalbum sind dabei mehr als nur private Schnappschüsse: Eingebettet in die Erinnerungen des rührigen Männerpaares wird so ein Stück gelebter schwuler Alltag greifbar.
Vor allem aber gehören diese authentischen Bilder zu den raren Zeugnissen schwulen Lebens in der DDR, ebenso wie ein – aus heutiger Sicht – skurril wirkender Super-8-Film eines HIB-Akteurs, ein engagierter Versuch eines Aufklärungsfilms über Homosexuelle.
Weitaus brisanter ist ein anderer Archivfund der beiden Filmemacher: Versteckt aufgenommene Fotos der Stasi von der wohl einzigen Gay-Pride-Demonstration in der DDR. Peter Tatchell, heute der wohl bekannteste Homosexuellenaktivist Großbritanniens, war 1973 als einzig offen schwuler Delegationsteilnehmer zu den Weltfestspielen der Jugend nach Ost-Berlin gereist. Schwuler Stolz und realer Sozialismus waren für ihn keineswegs ein Widerspruch. Die Stasi sah das wohl anders – und entriss ihm sein selbstgemaltes Plakat, noch bevor er die S-Bahn auf dem Weg zur großen Parade verlassen hatte …
„Out in Ost-Berlin – Lesben und Schwule in der DDR“. D 2013, Regie Jochen Hick und Andreas Strohfeldt. Mit Andreas Fux, Christian Puls, Eduard Stapel, Peter Tatchell, Klaus Laabs, Michael Eggert, Peter Rausch, Peter Bausdorf u.a.. 94 min., Kinostart: 30.Oktober.
Kinotrailer von „Out in Ost-Berlin“
Vorpremieren und Veranstaltungen zum Kinostart von „Out in Ost-Berlin“:
- Berlin: 28.10. um 22 Uhr mit beiden Regisseuren im Kino International
- München: 28.10. um 21.15 Uhr Preview im Atelier im City Kino
- Berlin: 30.10. um 20 Uhr mit Protagonisten und Team im Kino Babylon-Mitte
- Berlin: 2.11. mit Regisseuren im Kino Krokodil
- Frankfurt/Main: 20.11. um 19 Uhr mit Jochen Hick im Orfeo-Kino
- Stuttgart: 11.12. um 19.30 mit Jochen Hick im Atelier am Bollwerk
Link zur Webseite des Verleihs mit allen aktuellen und zukünftigen Kinoterminen
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