FORSCHUNG

Quo vadis, HIV-PrEP?

Von Armin Schafberger
Seit einigen Jahren wird intensiv zur sogenannten HIV-PrEP geforscht: HIV-Negative nehmen vorbeugend HIV-Medikamente ein, um sich vor einer Ansteckung zu schützen. Über herbe Rückschläge und Hoffnung machende Ergebnisse berichtet Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe

Wegweiser
HIV-PrEP: Die Forschung geht verschiedene Wege (Foto: Erich Westendarp/pixelio.de)

Komplett versagt – das ist das Fazit von VOICE, der bisher größten PrEP-Studie überhaupt mit über 5.000 Frauen aus Uganda, Simbabwe und Südafrika. Jeanne Marrazzo von der Universität Washington (Seattle) stellte die Ergebnisse auf der diesjährigen internationalen Retroviruskonferenz (CROI) in Atlanta vor.

Einen Studienarm, in dem das HIV-Medikament Tenofovir als Tablette vergeben wurde, hatte man bereits im September 2011 wegen Unwirksamkeit abgebrochen, einen anderen Studienarm mit Tenofovir-haltigem Scheidengel im November 2011. Die Studie wurde danach mit dem verbleibenden Studienarm Truvada (= eine Fixkombination aus Tenofovir und Emtricitabin) als Tablette weitergeführt. Das Ergebnis: Sowohl in der Kontrollgruppe, die ein unwirksames Scheinmedikament (Placebo) erhielt, als auch in der Truvada-Gruppe infizierte sich pro Jahr eine von 20 Frauen. Die Intervention mit Truvada war also nicht besser als die „Zuckerpille“.

PrEP bei Frauen abermals gescheitert

Wie bei anderen PrEP-Studien auch war die Therapietreue ein großes Problem. Nach der Selbsteinschätzung der Frauen und nach der monatlichen Kontrolle der Pillendosen hätten über 90 % das Medikament regelmäßig eingenommen – im Blut dagegen fand es sich deutlich seltener. Die im Blut gemessenen Medikamentenspiegel zeigten eine Therapietreue von ca. 50 Prozent.

Einige Befunde der VOICE-Studie weichen allerdings von anderen PrEP-Studien ab und stimmen bedenklich:

  • Die PrEP wurde im Laufe der Studie immer seltener eingenommen, wie sich an den Blutuntersuchungen zeigte – obwohl es monatliche Beratungen zur Medikamenteneinnahme gab.
  • In der Gruppe der unter 25-Jährigen, also bei denjenigen, für die eine wirksame Präventionsmethode am wichtigsten wäre, gab es besonders viele Infektionen: Fast neun von hundert jungen Frauen infizierten sich im Laufe eines Jahres.
  • In anderen PrEP-Studien waren diejenigen, die ihre Medikamente einnahmen (und bei denen die Medikamente im Blut nachgewiesen werden konnten), auch besser geschützt – hier nicht.

Die Auswertung der Studie geht weiter: Es folgen Tiefeninterviews mit den Teilnehmerinnen. Hier wird nach der eigenen Risikowahrnehmung gefragt, danach, ob die Partner beschnitten sind, wie viele Partnerinnen der Partner hat usw. Wir werden dann vielleicht genauere Details erfahren, um die Gründe für das Scheitern zu ermitteln.

Die VOICE-Studienergebnisse passen, so Jeanne Marrazzo, zu denen der FEM-PrEP-Studie, die ebenfalls wegen Unwirksamkeit abgebrochen wurde, obwohl die teilnehmenden Frauen die PrEP – nach eigenen Angaben – zu 95 % eingenommen hatten. Lediglich in der Partners-PrEP-Studie zeigte sich ein Schutzeffekt. Allerdings handelte es sich hier um feste Partnerschaften zwischen serodifferenten = HIV-positiven und HIV-negativen Partnern. Die Zukunft der PrEP für diese Gruppe ist aber sehr beschränkt: Wenn die WHO im Juli 2013 die Therapieleitlinien ändert und grundsätzlich einen Therapiestart ab 500 Helferzellen empfiehlt, bleiben immer weniger serodifferente Paare, bei denen der negative Partner die PrEP einnehmen könnte: Eine funktionierende Therapie beim HIV-positiven Partner bietet im Gegensatz zur PrEP einen praktisch vollständigen Schutz vor einer HIV-Übertragung.

Für Frauen geht die PrEP-Forschung in Richtung Vaginalringe und Monatsspritzen weiter:

Vaginalringe, Monatsspritzen und „risikoangepasste Einnahme“

Neben der (nicht als HIV-Medikament zugelassenen) Substanz Dapivirin (siehe HIV.Report 02/2012) soll nun auch Tenofovir in Vaginalringen eingesetzt werden. In Versuchen bekamen sechs Makakenweibchen solche Ringe mit 120 mg Tenofovir eingesetzt (das ist gerade mal die Hälfte der Menge, die in einer Tagesdosis für die PrEP in Tablettenform enthalten ist). Die Affen wurden über insgesamt vier Monate immer wieder einem HIV vergleichbaren Affen-Immunschwächevirus ausgesetzt, die Ringe wurden monatlich gewechselt. Ergebnis: Keines der Makakenweibchen infizierte sich. Von 12 Kontrollaffen (davon sechs historische Kontrollen) infizierten sich hingegen 11. Tenofovir war also wirksam und führte auch nicht zu einer Veränderung der Scheidenflora.

Neu in der PrEP-Forschung ist der noch namenlose Integrase-Inhibitor mit dem Kürzel GSK1265744. Das Besondere: Das Medikament ist extrem lang wirksam. Es kann als Tablette und als Monatsspritze entwickelt werden. Auf der CROI wurden Daten aus Affenversuchen vorgestellt: Von acht Affen, die eine Monatsspritze erhielten und über einen Zeitraum von zwei Monaten jeweils einmal wöchentlich dem experimentellen Immunschwächevirus SHIV ausgesetzt wurden, infizierte sich kein einziger. Die acht Affen der Kontrollgruppe hingegen wurden alle infiziert. Die Blutspiegel zeigten, dass die „Monatsspritze“ vielleicht sogar über drei Monate wirksam sein könnte. Weitere Dosisfindungsstudien an Menschen werden folgen. Dann muss sich die Substanz in größeren Studien beim Menschen bewähren.

Auch der NNRTI Rilpivirin, der Ende 2011 als Tablette für die HIV-Therapie zugelassen wurde, ist weiter im Rennen. Derzeit wird eine langwirksame Formulierung der Substanz für eine PrEP-Monatsspritze erprobt (siehe HIV.Report 02/2012).

Spannend bei der PrEP in Tablettenform ist die „risikoadaptierte Einnahme“, zum Beispiel am Wochenende, wenn man feiern geht und/oder Sex haben möchte. Hierzu läuft derzeit eine Studie mit Schwulen und anderen Männern, die Sex mit Männern haben, in Paris und Lyon (siehe HIV.Report 02/2012).

 

Weitere Informationen

HIV.Report 02/2012: PrEP und Mikrobizide

HIV.Report 05/2011 zur Wirkung der HIV-Therapie als Prävention und zum Stand der PrEP- und Mikrobizid-Studien

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