Vielen Trans*menschen geht es keineswegs darum, von einem Geschlecht ins andere zu wechseln – der Vielfalt der Lebensentwürfe werden die zwei starren Kategorien Mann und Frau nicht immer gerecht. Drei Porträts von Andrea Bronstering

Die eine, beispielhafte Art, als transidenter Mensch zu leben, gibt es nicht – zu unterschiedlich sind die Voraussetzungen und Ansprüche ans Leben im Wunschgeschlecht. Als gemeinsamer Nenner von trans* bietet sich die Unmöglichkeit an, dauerhaft und ausschließlich im bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht zu leben. Das Sternchen * soll der Vielfalt der Lebensentwürfe Rechnung tragen, die von transsexuell über transgender bis zu transident und auch transvestitisch reichen können. Trans* bedeutet nicht zwingend, alle medizinischen Angebote zur Manipulation des Körpers zu nutzen; trans* muss nicht heißen, alle juristischen Möglichkeiten zur Änderung des Vornamens und Personenstands zu ergreifen.

Von transsexuell über transgender bis transident

Trans* spielt sich nie auf einer Insel ab, sondern immer in einer konkreten Gesellschaft mit ihren Vorgaben der Dualität von Mann und Frau. Es gibt Trans*menschen, die das Erfüllen einer Geschlechtsrolle anstreben, und andere, die sich weder im weiblichen noch im männlichen Geschlecht zu Hause fühlen. Die Frage, ob es ein Ende eines transidenten Weges im Sinne eines Aufgehens im Wunschgeschlecht gibt, lässt sich nur individuell beantworten.

 

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Indianische Kulturen: offen für „Two Spirit People“ (Foto: dancingtoeaglespiritsociety.org_.png)

Stellan ist ein Mensch mit geradezu buddhistischer Ausstrahlung: Kahler Schädel, gepflegter Spitzbart, runder Körper, wache Augen, warmes Lächeln.  Er beschäftigt sich mit Schamanismus und Pflanzenheilkunde, liest viel und unternimmt mit seinem Hund lange Spaziergänge im Wald und an den zahlreichen Berliner Seen. Der Trans*mann nimmt seit acht Jahren Testosteron und hat sich die Brüste entfernen lassen.

Uterus und Eierstöcke hat er jedoch behalten, um den Kontakt zu seinen weiblichen Anteilen zu halten. Er bekennt sich zu seinem Penisneid, strebt aber keinen plastischen Aufbau eines Schwanzes an, da die Ergebnisse einer solch aufwändigen und riskanten Operation ihn weder ästhetisch noch funktional überzeugen. Er lebt in einer schwulen Beziehung und befindet sich in der Ausbildung zum Heilpraktiker.

Über viele Jahre war Stellan in der Trans*-Szene aktiv, doch in seinem Job lebt er jetzt ungeoutet. Sobald er seine Berufsausbildung abgeschlossen hat, möchte er die Großstadt verlassen und auf dem Land eine Praxis eröffnen. Seine Kenntnisse sowohl der alternativen als auch der Schulmedizin lassen ihn die lebenslang notwendige Gabe synthetischer Hormone kritisch sehen, eine befriedigende Alternative abseits der Chemie hat er für sich aber noch nicht gefunden.

Massive Wirkung des Testosterons

„Mein Leben als Mann ist deutlich freier, als es vor dem Rollenwechsel war“, sagt Stellan. „Eine dicke Frau bekommt viel mehr Häme und Spott ab als ein dicker Mann. Trans*frauen werden oft wegen ihres herben Äußeren angemacht, Trans*männer werden durch die massive Wirkung des Testosterons – Bartwuchs, Stimmbruch, Muskelwachstum – wie von selbst ins neue Geschlecht gezogen.

Meine weibliche Vergangenheit kann und will ich nicht ungeschehen machen, finde es aber entspannter, nicht darüber zu sprechen. Indigene Kulturen gehen mit einem Geschlechtswechsel ganz anders um, dort gelten die ,Two Spirit People‘ als mit magischen Kräften ausgestattet. Ich lebe im Alltag undercover und bin froh, dass das möglich ist. Genauso wichtig ist es für mich, im privaten Kreis meine Geschichte vollständig erzählen zu können.

Die weiblichen Energien, über die ich verfüge, können sich paradoxerweise erst in der männlichen Rolle so richtig entfalten. Nach außen lebe ich als Mann, bin zufrieden, kreativ und gesund. Nach innen habe ich einen guten Kontakt zum Universum.

Weibliche Energien, männliche Rolle

Aber normal? Ich erlebe bei den Cismenschen meines Umfelds eine wachsende Unsicherheit bezüglich der Erwartungen an ihre Männlichkeit bzw. Weiblichkeit, da kommt mir trans* nur als eine weitere Variable der Verunsicherung vor.“

 

Für Chiara sind ihre/seine Trekkingschuhe mehr als nur Wanderausrüstung (Foto: Campomalo, pixelio.de)
Scheidung? Kam nicht in Frage – zu groß ist die Vertrautheit (Foto: Campomalo, pixelio.de)

Chiara wirkt im Gespräch so kernig wie herzlich. Er/sie lacht viel, und dann tanzen Fältchen um die hellen Augen. Die dunklen Haare trägt er/sie kurz, dazu Jeans und Trekkingschuhe. Unter dem engen T-Shirt zeichnen sich keine Brüste ab, diese hat er/sie sich vor zehn Jahren abnehmen lassen, weil sie lästig und unnötig waren.

Die Ehe mit seinem/ihrem Partner hat auch nach dem Coming-out weiter Bestand – zu tief ist das Vertrauen zum Ehemann und zu gut läuft das Zusammenleben im Alltag zu Hause wie auch auf den gemeinsamen Klettertouren und Rucksackreisen, als dass eine Scheidung wünschenswert wäre.

Chiara nimmt kein Testosteron und will auch den weiblichen Vornamen nicht amtlich ändern lassen, da diese Maßnahmen an seinem/ihrem Zugehörigkeitsempfinden nichts änderten. Er/sie verdient das Geld im Handwerk und steht zudem kurz vor der Abschlussprüfung in Akupunktur und Traditioneller Chinesischer Medizin.
Chiaras Leben zwischen den Geschlechtern findet seine grammatikalische Entsprechung im Fehlen eines zuweisenden Pronomens, die umständliche Verwendung des „er/sie“ ist Ausdruck dieser Lücke der deutschen Sprache.

„Er/Sie“: ein Leben zwischen den Geschlechtern

„Ich lebe ein Geschlecht, das in dieser Welt nicht vorgesehen ist. Das geht im Alltag meist gut, manchmal schauen die Leute neugierig oder auch irritiert. Gerade Kinder fragen dann mal direkt: ,Bist Du ein Junge?‘ Blöd wird es beim Benutzen öffentlicher Toiletten. Da passiert es schon, dass eine Frau skeptisch fragt, ob ich mich in der Tür geirrt habe. Aber sowie ich dann antworte, kann sie mich über die Stimme ,richtig‘ einordnen.

Bei Reisen in Südeuropa, etwa nach Frankreich oder Spanien, kann das schon stressig werden. In Berlin sind die Menschen maskuline ,Frauen‘ eher gewohnt. Mir ist es recht, wenn die Leute mich als Butch lesen, dann haben sie ihre Schublade und ich habe meine Ruhe. Ich bin nicht so missionarisch gestimmt, als dass ich aller Welt meine Situation erkläre müsste.

Insbesondere Kinder fragen gern mal direkt: ,Bist Du ein Junge?‘

Ich werde nach meiner Ausbildung sicher viele Trans*menschen in der Behandlung haben. Bisher bekommen sie von therapeutisch Arbeitenden oft sehr trans*phobe Aussagen zu hören, wie etwa die, dass sich nach dem operativen Entfernen eines Organs die Lebenserwartung deutlich verringere. Ich werde einen geschützten Raum schaffen, wo sich Menschen nicht geschlechtlich erklären müssen, sondern einfach so angenommen werden.“

 

Transgender-Symbol
Trans*: Jenseits der Dualität von Mann und Frau und jenseits starrer Geschlechterrollen

Kerstin ist eine auffällige Erscheinung. Sie hat die Körpergröße eines Models und die sehnige Figur einer Triathletin. Im langen kastanienfarbenen Haar blitzen silberne Fäden auf, die vollen Lippen sind kirschrot geschminkt. Die operative Gestaltung einer Vagina liegt schon etliche Jahre zurück, ihre Knospenbrust hat sie sich jedoch nicht aufbauen lassen. Zu groß war ihre Furcht, durch einen Eingriff die Sensibilität ihrer liebevoll „Mückenstiche“ genannten Brüste einzubüßen.

Das Östrogen, das sie mittlerweile die Hälfte ihres Lebens nimmt, hat ihre Haut weich und seidig werden lassen. Besonders wichtig ist ihr der dadurch verstärkte Geschlechtsgeruch. Kerstin arbeitet als Redakteurin und verkörpert im Alltag überzeugend die weibliche Rolle. Sie sagt von sich, sie erlebe sich emotional als Fluss zwischen den Ufern Mann und Frau. Hinter ihr liegen mehrere lesbische Partnerschaften. Mit der Zeit hat sich ihr Begehren auf Männer verlagert, sodass sie aktuell in einer nachholenden, quasi heterosexuellen Pubertät steckt.

Ich will nicht meinen Körper permanent als Gegner bearbeiten müssen

„Ich habe einen verweiblichten Körper und kleide mich überwiegend androgyn mit weiblichen Accessoires. Ich werde meist als Frau gesehen und behandelt, mir fehlt aber die unbewusste Selbstverständlichkeit einer Frau, die als Mädchen geboren wurde. In diesem Sinne bleibe ich eine Trans*frau, nicht zuletzt meiner tiefen Stimme wegen.

Mir ist es wichtig, dass ich liebevoll mit meinem Körper umgehe, dass ich ihn nicht als permanenten Gegner bearbeiten muss. Ich rauche nicht, trinke keinen Alkohol, ernähre mich vegetarisch, treibe Sport und achte auf ausreichenden Schlaf. Sicher wäre es leichter, wäre ich kleiner, zarter, zierlicher. Aber wenn ich im Schwimmbad unter der Dusche die verschiedenen Leiber sehe, relativiert sich manches.

Da gibt es straffe Sportlerinnen, magersüchtige Teenagerinnen, durch etliche Schwangerschaften ausgelaugte Mütter, mit der Zeit gealterte Damen. In dieses Defilee reihe ich mich ohne große Worte ein. Wie so viele Frauen empfinde ich die allgegenwärtige Werbung für Mode und Kosmetik als Zumutung, da sie Jugend und Schönheit auf eine groteske Weise inszeniert, der kaum eine Frau entspricht.

Die Konkurrenz um den perfekten weiblichen Körper kennt neben den Profiteuren in der Industrie nur Verliererinnen – trotz Botox, Fettabsaugen und Wangenaufspritzen. Aber natürlich habe auch ich Angst vor dem Schwinden der Attraktivität mit dem Älterwerden, das Frauen weit härter trifft als Männer. Aber solange mein Friseur mich weiterhin als Model für seine Galas bucht, kann ich mit mir ganz zufrieden sein.“

In der eigenen Identität ankommen

Drei Menschen, drei Wege, ein Ziel. Stellan, Chiara und Kerstin sind auf ihre je eigene Weise „angekommen“, was in erster Linie bedeutet, dass sie ihren Frieden mit ihrer Identität und ihrem Körper haben machen können. Sie verfügen offensichtlich über genügend seelische Widerstandsfähigkeit, um positiv mit ihrer Abweichung vom geschlechtlichen Normalfall umzugehen.

Unisex-Toilette
Die Geschlechter-Dualität wirkt tief in den Alltag hinein (Foto: Kroy)

Als vorsichtiges Fazit ließe sich formulieren, dass die Kategorien „Mann“ und „Frau“ keine unvereinbar weit entfernten Pole sind, sondern die Enden eines Spektrums geschlechtlicher Vielfalt markieren, das von immer mehr Menschen besiedelt wird. Wie wirkmächtig aber das Tabu der Unverrückbarkeit von Geschlecht weiterhin ist, zeigen die Zwangseinweisung des transidenten Mädchens Alex in die Psychiatrie im Jahr 2012 wie auch der hysterische Aufschrei der Springer-Presse um das aktuelle Vorhaben des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, in öffentlichen Gebäuden Unisex-Toiletten einzurichten.

Offenkundig gibt es mehr Geschlechter, als auf der gängigen Landkarte verzeichnet sind. Auch ihnen einen Ort frei von Diskriminierung und Pathologisierung zuzusichern, ist nichts weiter als die Achtung des Menschenrechts auf körperliche und seelische Unversehrtheit. Auch wenn der Weg dahin lang und steinig bleiben wird.

 

Weiterführende Links:

Porträt des Trans*mannes Kay Garnellen

Glossar zu Begriffen rund um Gender, Geschlechteridentitäten und Sexualitäten

„Two Spirit People: Indianische Stammeskulturen zeigen: Geschlecht ist eine Frage der Sichtweise“ (Beitrag auf sein.de vom Mai 2008)

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

1 Kommentar

  1. Eine zielich transphobe Sichtweise uber Transsexualitaet, die auch nicht dadurch besser wird, wenn Betroffene sich den Schuh freewillig anziehen. We’re vom Geschlechtswechsel spricht, glaubt insgeheim Wohl auch das Menschen sich ihre sexueller orientierung freiwillig aussuchen und heterosexuell geboren werden.

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