Am 19. Dezember hat das Bundesarbeitsgericht geurteilt, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers in der Probezeit wegen seiner HIV-Infektion im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen kann. Eine erste Einschätzung von Rechtsanwalt Jacob Hösl

Meine Bewertung kann nur vorläufig sein, denn bis dato liegt noch keine schriftliche Urteilsbegründung vor. Bekannt sind lediglich der Tenor des Urteils und die kurzen Ausführungen in der mündlichen Begründung. So hat das Bundesarbeitsgericht zunächst ausgeführt, dass nach den entsprechenden rechtlichen Vorgaben die HIV-Infektion die Merkmale einer Behinderung erfüllt und damit das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Anwendung findet. Darüber hinaus hat es den Fall Sebastian F. an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Dieses muss nun noch einmal überprüfen, welche Vorkehrungen getroffen werden können, damit der Kläger trotz seiner HIV-Infektion im Rahmen seiner Tätigkeit im sogenannten Reinraum beschäftigt werden kann.

Für eine erste Einschätzung ist Folgendes relevant:

Als Erstes ist festzuhalten, dass es sich um einen Fall im Arbeitsbereich der aseptischen Herstellung von Arzneimitteln handelt. Von Bedeutung ist damit vor allem die Frage der beruflichen Tätigkeit in einem hoch sensiblen Bereich, in dem die Kontamination durch Infektionen weitestgehend ausgeschlossen werden muss. Auf dem Prüfstand steht folglich auch die Rechtfertigungsherleitung der Beklagten – von den Richtlinien zur Qualitätssicherung in der Arzneimittelproduktion (GMP-Richtlinien) über die hausinternen Hygienevorschriften (SOP-Regeln) bis hin zur Beauftragung des Betriebsarztes im Rahmen der durchzuführenden Untersuchungen.

Ausgedrückt wird auch, dass Menschen mit HIV des besonderen staatlichen Schutzes bedürfen

Neben dem Umstand, dass durch die Anwendbarkeit des AGG auch solche Fälle erfasst werden können, in denen die Kündigung in der Probezeit ausgesprochen wird, ist vor allem auch § 22 AGG („Beweislast“) von Bedeutung: Wenn der Benachteiligte Indizien beweisen kann, die auf eine Diskriminierung hindeuten, muss die andere Partei – hier: der Arbeitgeber – beweisen, dass dies nicht der Fall gewesen ist.

Daraus ergeben sich aus meiner Sicht vor allem drei Aspekte, bei denen die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Gewicht hat:

Zunächst einmal ist die deklaratorische Wirkung der Entscheidung zu nennen. Neben ihrer Anwendbarkeit im konkreten Fall wird damit auch etwas Grundsätzliches ausgedrückt, nämlich dass Menschen mit HIV – hier: am Arbeitsplatz – diskriminiert werden und des besonderen staatlichen und gerichtlichen Schutzes bedürfen.

Der zweite Aspekt ist, dass vor allem Fälle erfasst werden können, in denen eine Kündigung (gegebenenfalls auch in der Probezeit) ausgesprochen wird, für die es außer der HIV-Infektion des Mitarbeiters offenkundig keine andere Begründung gibt, selbst wenn die HIV-Infektion als Kündigungsgrund nicht genannt wird. (Natürlich sind alle Fälle erfasst, in denen die HIV-Infektion als Kündigungsgrund angegeben wird.) Durch die oben genannte Beweislastregelung kann eine Diskriminierung aufgrund der HIV-Infektion leichter belegt werden, weil Arbeitgeber mangels anderer Umstände sich hier nicht entlasten können.

Diskriminierung aufgrund der HIV-Infektion kann leichter belegt werden

Natürlich werden Arbeitgeber, die sich diskriminierend verhalten, auch immer herauszureden versuchen, was in dem einen oder anderen Fall auch gelingen mag. Jedoch wird es aus meiner Sicht deutlich erschwert, sich auf eine vordergründig „ohne Begründung“ ausgesprochene Kündigung zurückzuziehen, wenn in Wahrheit die HIV-Infektion des Mitarbeiters der Anlass ist. Der Arbeitgeber muss dann nämlich darlegen, dass andere Gründe für die Kündigung vorgelegen haben. Wenn ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Aussprechen der Kündigung und dem Bekanntwerden der HIV-Infektion belegt werden kann, wird das für Arbeitgeber mit Sicherheit schwieriger.

Jacob Hösl (Foto: privat)
Jacob Hösl (Foto: privat)

Die erhebliche Bedeutung der Entscheidung ergibt sich drittens aus der Eigenheit des Falles. Das Bundesarbeitsgericht hat gesagt, dass der Arbeitgeber trotz hergeleiteter und durch öffentliche Stellen genehmigte Hygienevorschriften verpflichtet ist, im Einzelfall zu überprüfen, ob eine Beschäftigung möglich ist. Damit sind Arbeitgeber gehalten und auch verpflichtet, im konkreten Fall und anhand der konkreten Tätigkeit die Entfernung eines Mitarbeiters aus einem sensiblen Bereich (oder gar eine Kündigung) sachlich zu begründen.

Arbeitgeber werden also entweder ihre Hygienevorschriften rational und sachlich begründet ausgestalten und die konkreten Gefahren abdecken müssen – und nicht pauschal eine abstrakte Gefährdungslage als Rechtfertigung heranziehen können. Oder sie werden verpflichtet sein, ihre geltenden Hygienevorschriften so auszulegen und anzuwenden, dass sie nicht lediglich pauschale Sachverhalte erfassen, sondern darüber hinaus die konkrete Gefährdungslage bezogen auf die jeweils ausgeübte Tätigkeit berücksichtigen.

In diesem Bereich, der unter anderem sämtliche Tätigkeiten im medizinischen Sektor umfasst, dürfte die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts weitgehende Anwendung finden und somit von großer Tragweite sein.

Insgesamt gesehen werden sich die Arbeitgeber und Kollegen künftig eingehend(er) mit HIV auseinandersetzen müssen – es wird nicht mehr so einfach möglich sein, das Thema mithilfe von Scheingründen von sich wegzuschieben.

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