KIRCHE

Konfession vor Qualifikation

Von Axel Schock
Auch zum Putzen braucht's die richtige Konfession (Foto: Rainer Sturm/pixelio.de)
Auch zum Putzen braucht’s die richtige Konfession (Foto: Rainer Sturm, pixelio.de)

Unverheiratete Mütter wie auch Homosexuelle und Konfessionslose haben keine Chance auf eine Anstellung oder Karriere. Wer kein Kirchenmitglied ist, darf nicht einmal ein Praktikum machen. Die Kirchen sind zwar Deutschlands zweitgrößter Arbeitgeber, aber für ihre Arbeitnehmer gelten selbst grundlegende Rechte nicht. Warum so etwas dennoch geduldet wird, ist nun in einer bemerkenswerten Studie nachzulesen. Von Axel Schock

Seit der Affäre um den Limburger Bischof Tebartz-van Elst stehen die Kirchen verstärkt in der Kritik. Bislang weithin unangetastete Privilegien wie die Steuerbefreiung für kircheneigene Unternehmen oder die staatliche Finanzierung von Kirchenangestellten werden seither öffentlich diskutiert.

Ein weiteres Sonderrecht wurde in diesem Zusammenhang erstaunlicherweise bislang kaum benannt, obgleich es über eine Million Arbeitnehmer in der Bundesrepublik betrifft: Krankenpfleger und Ärzte, Reinigung- und Verwaltungskräfte, Erzieherinnen und Musiker. Die Kirchen beschäftigen nämlich nicht nur Priester und Funktionäre, sondern sind durch die unter dem Dach von Diakonie und Caritas vereinten Sozialeinrichtungen zweitgrößter Arbeitgeber des Landes, gleich nach dem Staat.

Kirchliche Träger sparen Steuern und lassen sich ihre Dienste bezahlen (Foto: S. Hofschlaeger, pixelio.de)
Kirchliche Träger sparen Steuern und lassen sich ihre Dienste bezahlen (Foto: S. Hofschlaeger, pixelio.de)

Aber nicht nur die Zahl der Beschäftigten macht die Kirchen zu besonderen Unternehmen, sondern auch ihr selbstgeschaffenes Arbeitsrecht, das den Beschäftigten fundamentale Grund- und Menschenrechte wie die Glaubens- und Gewissensfreiheit oder die freie Berufswahl vorenthält. Und das betrifft keineswegs nur offen schwule oder heiratswillige Priester.

Systematische Ausgrenzung und Diskriminierung

Die Politologin und Publizistin Corinna Gekeler, die sich bislang vor allem mit Menschenrechtsfragen im Zusammenhang mit HIV und Aids beschäftigt hat, zeigt in ihrer eben erschienenen Studie „Loyal dienen“, wie weitreichend die Kirchen ihre Sonderstellung ausnutzen, um Arbeitnehmer und Arbeitsuchende zu diskrimieren.

Rund 50 Berichte hat sie zusammengetragen und viele Betroffene für ihr Buch interviewt. In der Gesamtschau ergibt sich das Bild systematischer Ausgrenzung, Einschüchterung und Diskriminierung. Da ist die evangelische Reinigungskraft, die in einem katholischen Gemeindehaus nicht putzen darf. Oder die schwangere Lehrerin, die zur Heirat gedrängt wird, und die Sozialpädagogin, der man beim Einstellungsgespräch nahelegt, sich im Nebenzimmer noch schnell vom Pfarrer taufen zu lassen. Und dann sind da die Erzieher, denen auf der schwulen Dating-Plattform hinterherspioniert wird, oder die Integrationsfachleute, die beim Bewerbungsverfahren aussortiert werden, weil sie Muslime statt Christen sind.

Bespitzelung selbst im privatesten Bereich

Wer sich für eine Stelle in kirchlichen Einrichtungen bewirbt oder dort arbeitet, muss sich gegenüber dem Arbeitgeber vollkommen loyal erweisen, stellt Corinna Gekeler fest. Konkret heißt das: „Wer Kirchenmitglied ist und bleibt, nicht (offen) homosexuell ist, kirchlich verheiratet und in erster Ehe zusammenlebt, nur ‚eheliche’ Kinder hat und dann auch noch auf aktive Interessenvertretung verzichtet, dessen Arbeitsplatz ist nicht bedroht.“

Kirchenorgeln sind kein Arbeitsplatz für Geschiedene (Foto C.Falk/pixelio.de)
Die Kirchenorgel ist kein Arbeitsplatz für Geschiedene (Foto C.Falk, pixelio.de)

Einer Raumpflegerin in einem katholischen Kindergarten im Bistum Essen wurde gekündigt, weil sie mit ihrer Lebensgefährtin eine eingetragene Partnerschaft eingegangen war. Homosexuelle werden häufig so lange geduldet, wie ihre Lebensweise nicht amtlich oder offiziell ist. Doch selbst die „Duldung“ wird häufig teuer erkauft.

„Ich habe mit verschiedenen Vorgesetzten bei anstehenden beruflichen Veränderungen wie Versetzungen, Beförderungen oder Bewerbungen die Erfahrung gemacht, dass versucht wurde, das Wissen um meine Homosexualität als Erpressungsmittel zu benutzen“, erzählt einer von Gekelers Interviewpartnern.

Kirchenfreundliche Rechtsprechung

Doch wie, fragt man sich unweigerlich, können solche Ausgrenzungen selbst heute noch möglich sein? Detailliert und immer wieder überraschend zeichnet Gekeler anhand exemplarischer Gerichtsurteile nach, wie die an der Weimarer Reichsverfassung festgemachten kirchlichen Privilegien sich immer weiter verselbständigt haben und über Jahrzehnte weder von Justiz noch Politik in Frage gestellt wurden.

Autorin Corinna Gekeler (Foto: Christoph Swietlik)
Autorin Corinna Gekeler (Foto: Christoph Swietlik)

Vor allem aber hatte sich eine Rechtsprechung eingebürgert, in der die Souveränität der Kirchen stets über den verbrieften Menschenrechten ihrer Angestellten stand. Auch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), landläufig „Antidiskriminierungsgesetz“ genannt, hat diese Fehlentwicklung nicht wirklich aufhalten können – anders als ursprünglich geplant.

Gekeler zeigt anhand der verschiedenen Entwürfe des Paragrafen 9 AGG, wie die sogenannte Kirchenklausel durch erfolgreiche Lobbyarbeit von der CDU-SPD-Regierung entschärft wurde. Dadurch hat sich ergeben, dass jeder Beschäftigte sich an das kirchliche Selbstverständnis anzupassen habe, also zum Beispiel kein weiteres Mal heiraten, nicht homosexuell leben und nicht aus der Kirche austreten solle. Und zwar jeder Beschäftige, nicht nur jene in „verkündungsnahen“ Berufen wie Priester oder Lehrtätige.

Überarbeitung des Antidiskriminierungsgesetzes gefordert

„Für mich ist es nicht einsichtig, dass man als Angehöriger einer bestimmten christlichen Konfession für die Pflege von alten und kranken Menschen besser geeignet sein soll als Andersgläubige oder Atheisten oder dass man durch die Wiederverheiratung nach geschiedener Ehe oder durch eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft die erforderliche Qualifikation einbüßt“, sagt der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dr. Jürgen Kühling.

Er fordert – keineswegs als einziger – die dringliche Novellierung des AGG, große Hoffnungen aber macht er sich nicht. „In der gegenwärtigen politischen Szene will sich wohl niemand mit den Kirchen anlegen“ – und das gelte nicht nur für die CDU, sondern auch für die SPD wie für die Grünen.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (Foto: Erich Westendarp, pixelio.de)
Vielleicht nützt der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Foto: Erich Westendarp, pixelio.de)

Bliebe als einziger Weg der Gang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Im Falle eines Organisten, der noch vor Vollzug seiner Scheidung mit einer neuen Lebensgefährtin zusammenzog und daraufhin gekündigt wurde, hatte der EGMR zugunsten des Entlassenen entschieden. Das Gericht, das die Kündigung für rechtmäßig befunden hatte, habe es versäumt, die Grundrechte des Beschäftigen gegenüber den Sonderrechten des kirchlichen Arbeitsgebers abzuwägen.

Doch einen weiteren Präzedenzfall dieser Art wollen die Kirchen offensichtlich vermeiden. Sie scheuten sich, solche Prozesse bis vor das Bundesverfassungsgericht voranzutreiben, mutmaßt der ehemalige Bundesanwalt Manfred Bruns in einem sehr leidenschaftlichen, erfreulicherweise vollständig abgedruckten Interview.

Häufig enden aussichtsreiche Prozesse daher mit einem Vergleich. Oder die beklagten kirchlichen Einrichtungen gehen in Berufung, wie im Falle eines Witwers, dessen eingetragener Lebenspartner 2011 gestorben war. Das Paar war seit 34 Jahren liiert, der Verstorbene noch länger als Krankenpfleger und Qualitätsmanager in einer Klinik der Caritas beschäftigt.

Keine Witwerrente für schwule Lebenspartner

Die Katholische Zusatzversorgungskasse (KZVK), eine Anstalt des öffentlichen Rechts, hatte dem Lebenspartner allerdings die Auszahlung des ihm zustehenden Sterbegeldes und der Witwenrente verweigert: „Die Begründung einer Lebenspartnerschaft gilt jedoch nicht als Heirat, eine Lebenspartnerschaft nicht als Ehe, als Witwer nicht ein überlebender Lebenspartner und als Ehegatte nicht ein Lebenspartner“, argumentiert die KZVK. Dieser Skandal ist keineswegs ein Einzelfall.

Umso bedeutsamer das 2012 vom Landgericht Köln verkündete Grundsatzurteil: Die KZVK dürfe nicht willkürlich mit Verweis auf Verstöße gegen unerwünschte Verhaltensweisen – wie homosexuelle Partnerschaft, Zweitheirat, Kirchenaustritt – Ansprüche verweigern.

Ein solches Urteil konnte und wollte die katholische Kirche nicht auf sich sitzen lassen: Die KZVK ist in Berufung gegangen, das letzte Wort in dieser Causa daher noch nicht gesprochen.

Die evangelische Kirche ist fortschrittlicher

Die evangelische Kirche sei mittlerweile viel offener, stellt Bruns fest. Homosexuelle Mitarbeiter erführen überhaupt keine Diskriminierung mehr, problematisch werde es allenfalls noch, wenn ein Pfarrer oder eine Pfarrerin mit gleichgeschlechtlichem Lebenspartner ins Pfarrhaus ziehen wolle. In katholischen Einrichtungen allerdings müssten Schwule und Lesben weiterhin mit Diskriminierung rechnen, ebenso wie etwa Wiederverheiratete oder Nicht-Katholiken.

Monopol (Foto: Karin Jung, pixelio.de)
Vielerorts haben die Kirchen ein Monopol in Sachen Sozialarbeit (Foto: Karin Jung, pixelio.de)

Weil derzeit niemand ernsthaft das AGG angreifen will, sieht Bruns nur einen Weg: Keine öffentlichen Mittel mehr für kirchliche Einrichtungen. „Man darf den Kirchen zwar nichts vorschreiben, aber wenn sie meinen, sie müssten unter Berufung auf ihr Selbstbestimmungsrecht weiter diskriminieren, dann bekommen sie nicht auch noch Geld dafür.“

Dass das nicht so einfach umzusetzen sein dürfte, weiß auch Manfred Bruns. Denn die kirchlichen Träger haben die Länder und Kommunen fest in der Hand, weil sie über die Jahrzehnte eine Monopolstellung in Sachen Sozialarbeit aufgebaut haben. Wer nicht einer der beiden großen christlichen Kirchen angehöre, für den ist es beispielsweise in Bayern und Baden-Württemberg nahezu aussichtslos, eine Stellung als Kindergärtnerin oder Altenpfleger zu bekommen. In den neuen Bundesländern ist die Situation mittlerweile nahezu ähnlich.

Bleibt also alles beim Alten? Corinna Gekeler setzt auf eine langsame, aber stete strukturelle Veränderung. „Obwohl es sich bei der Diskriminierung am Arbeitsplatz um Menschenrechtsfragen handelt, ist das Unrechtsbewusstsein vielerorts noch recht diffus,“ so Gekeler. „Sowohl bei einigen unmittelbar Betroffenen als auch bei Politikern, Gewerkschaftlern und in der breiten Öffentlichkeit gilt es also zunächst, das Problem bekannter zu machen und die Veränderungsmöglichkeiten aufzuzeigen.“

Cover der Studie "Loyal dienen"
Cover der Studie „Loyal dienen“

Der Gesetzgeber habe allemal die Kompetenz, das kirchliche Arbeitsrecht auch ohne Änderung des Grundgesetzes zu modernisieren und – nicht zu vergessen – das Betriebsverfassungsgesetz auf kirchliche Einrichtungen zu erweitern (und damit den kirchlich Beschäftigten erstmals das Streikrecht, ein umfassendes Tarifrecht und Mitbestimmung zu bieten).

Die Bundesrepublik würde damit nicht einmal eine Vorreiterrolle übernehmen, sondern lediglich die deutsche Abweichung von den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien korrigieren.

Corinna Gekeler: „Loyal dienen. Diskriminierendes Arbeitsrecht bei Caritas, Diakonie und Co.“ Alibri Verlag, 319 Seiten, 22 Euro

Link zu einem Interview des Humanistischen Pressedienstes mit Corinna Gekeler

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

+ 24 = 30