TEIL DER LÖSUNG

Menschen mit HIV: ein integraler Teil des Verbands

Von Annette Fink
Zahnräder
Es war ein Auftrag der letzten Mitgliederversammlung der Deutschen AIDS-Hilfe:  Der Vorstand soll bis zu den Positiven Begegnungen (PoBe) Vorschläge für eine verbindliche Beteiligung der Menschen mit HIV an der Verbandsarbeit vorlegen. Im Vorfeld der PoBe haben wir den Vorstand gefragt, wie er diesem Auftrag nachkommt.

Welchen Hintergrund hatte der Auftrag der MV?

Auf der Mitgliederversammlung 2013 wurde der Delegiertenrat, „die kleine MV“,  verabschiedet und durch sogenannte besondere Verbandsorgane ersetzt. Im Delegiertenrat hatten die verschiedenen Communities – also gerade nicht die ordentlichen Mitgliedsorganisationen und Landesstrukturen – neun Sitze, um ihre Perspektive zu den Themen einzubringen, die den Verband besonders beschäftigen, z.B. schwule Lebenswelten, Migration, Drogen oder die Kriminalisierung der HIV-Übertragung. Nach der Auflösung des Delegiertenrats gab es die Sorge, dass Menschen mit HIV auf Bundesebene keine verbindliche Form der Beteiligung mehr haben.

Welchen Stellenwert hat die Beteiligung in der DAH?

Unsere gesamte fachliche und verbandliche Arbeit basiert auf Beteiligung; sie ist unser besonderes Qualitätsmerkmal. Wo immer wir neue Konzepte entwickeln – z.B. für die Testberatung – oder politische Positionen formulieren – etwa zum Schutz durch Therapie – beziehen wir die jeweiligen „Experten in eigner Sache“ und die Gruppen, um die es geht, ein. Die Beteiligung von Menschen mit HIV ist nicht nur in unserem Leitbild verankert, wo es heißt, dass Selbsthilfe und Professionalität zusammengehören und die Einbeziehung der Menschen aus unseren Zielgruppen und ihrer Netzwerke eine wichtige Quelle unserer Fachkompetenz ist; der Anspruch, Selbsthilfe auf allen Ebenen des Verbandes zu provozieren und ihre Teilhabe strukturell abzusichern, ist auch in unserem Zukunftspapier „DAH reloaded“ explizit benannt.

Woran mangelt es, wenn die Beteiligung auf Bundesebene schon gut verankert ist?

Vielleicht fehlt es bei all den unterschiedlichen Beteiligungsmöglichkeiten, die ja manchmal auch nur ad hoc zu einer bestimmten Fragestellung eingerichtet werden, an sehr klar definierten, verbindlichen, quasi institutionellen Formen, die Menschen mit HIV die Sicherheit geben, ihre Interessen vertreten zu können.

Dem Auftrag der Mitgliederversammlung lag ja ursprünglich ein Antrag auf die Einrichtung eines Positivenbeirats zu Grunde.

 Die MV hat sich dazu recht eindeutig positioniert: Eine parallele Struktur wie ein eigener Positivenbeirat würde immer auch vermitteln, dass Verband und Community unterschiedliche Interessen verfolgen und nebeneinander anstatt miteinander arbeiten. Das kann aber nicht unser Ziel sein, und das verkennt auch, dass Menschen mit HIV integraler Teil des Verbands sind und ihn mitgestalten – sei es im Vorstand oder eben in diversen bundesweiten Vorbereitungs- und Arbeitsgruppen, oder als haupt- oder ehrenamtliche Mitarbeitende in den regionalen Aidshilfen und der Bundesgeschäftsstelle. Unser Ziel ist es, dem Miteinander transparentere und besser nachvollziehbare Formen zu geben; so geschieht es z.B. bei der Besetzung der Kommission Projekte und Finanzen, dem Gremium, das die Entwicklung des Haushalts als dem wichtigsten verbandlichen Steuerungsinstrument begleitet. In seiner Geschäftsordnung ist festgeschrieben, dass es möglichst zu 50 Prozent mit Menschen mit HIV besetzt sein soll. Das wünschen wir uns auch im Aufruf zur Kandidatur für die Wahl des neuen Vorstands im Herbst.

Wie kommt der Vorstand dem Auftrag der MV nach?

Wir haben die Netzwerke, Themenwerkstätten und andere Selbsthilfe-Strukturen wie die Interessenvertretung HIV im Erwerbsleben, das DÖAK-Community Board oder POSITIV HANDELN NRW eingeladen, sich mit jeweils einem HIV-positiven Vertreter an einem Diskussionstag am 18. Mai zu beteiligen. Der Einladung gefolgt sind 13 Teilnehmer. Ihnen sei hier herzlich für ihr Engagement gedankt! Wir haben den Tag unter folgende Leitfragen gestellt:

  • Auf welcher Grundlage verständigt sich der Verband auf eine verbindliche Beteiligung?
  • Welche Möglichkeiten inhaltlicher Zusammenarbeit gibt es/braucht es?
  • Wie kann die Arbeit der Community koordiniert und abgestimmt werden?
  • Wer vertritt wen und warum? (Stichwort Legitimation)

Wir hatten zu jeder Frage einen Vorschlag vorbereitet, die wir nun auch hier vorstellen wollen, bevor sie im August auf den Positiven Begegnungen zur Diskussion stehen:

 | Resolution zur verbindlichen Einbeziehung von Menschen mit HIV

Wir wollen, dass die Aussagen im Leitbild und in „DAH reloaded“ kein Lippenbekenntnis bleiben; deshalb wünschen wir uns, dass die Mitgliederversammlung im Herbst eine Resolution verabschiedet, mit der sich die Deutsche AIDS-Hilfe und ihre Mitgliedsorganisationen verpflichten, Menschen mit HIV in allen Organen, Gremien und Arbeitsgruppen zu beteiligen. Dafür streben wir an, Organe, Gremien und Arbeitsgruppen zu mindestens 50% mit Menschen zu besetzen, die offen mit HIV leben. Dazu gehört auch die Verpflichtung, aktiv um Menschen mit HIV als Mitglieder, Vorstandskandidaten, Mitwirkende in Gremien, haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter zu werben und sie in Arbeitsgruppen aller Themenfelder zur aktiven Teilnahme einzuladen.

Wie kam dieser Vorschlag bei den Community-Vertretern an?

Im Prinzip gut; die damit befasste Arbeitsgruppe stellte aber fest, dass zum Teil Voraussetzungen wie eine Willkommenskultur, diskriminierungsfreie Räume oder materielle und personelle Ressourcen für eine Beteiligung von Menschen mit HIV fehlten. Die DAH kann hier nur Empfehlungen aussprechen; die Bundesgeschäftsstelle verpflichtet sich, die Rahmenbedingungen auf Bundeseben zu überprüfen und Angebote zu machen, um die Bedingungen für die Beteiligung zu verbessern. Eine Idee war z.B., in Form einer Rundreise „Selbstchecks“ für regionale Aidshilfen anzubieten, um gemeinsam Bedingungen zur Beteiligung zu überprüfen und Handwerkszeug für die Beteiligung weiterzugeben.

|Förderung der inhaltlichen Zusammenarbeit

Die Positiven Begegnungen sind alle zwei Jahre der Ort, an dem Menschen mit HIV und Menschen aus ihrem Umfeld zusammenkommen und miteinander die gegenwärtig wichtigen Themen bearbeiten. Mit ihren rund 400 Teilnehmern sind sie Plattform für Austausch, Diskussion und Ausgangspunkt für weiterführende Prozesse; hier bestimmt die Community, mit welchen Fragen sich die Themenwerkstätten in den nächsten zwei Jahren beschäftigen sollen und auch der Verband auseinandersetzen muss. Die Bedeutung der Positiven Begegnungen für die Beteiligung war in der Diskussion am 18. Mai unumstritten.

 |Koordination und Abstimmung der Arbeit

Eng mit den Positiven Begegnungen zusammen hängt unser Vorschlag, in den ungeraden Jahren zwischen den PoBe – also auch alle zwei Jahre – einen zweitägigen Fachtag zu veranstalten, um zum einen die Zwischenergebnisse der Arbeit in den Themenwerkstätten und Netzwerken abzustimmen und bei Bedarf Stellschrauben nachzudrehen. Zum anderen sollen ein bis zwei inhaltliche Schwerpunktthemen bearbeitet werden, die im Verband aktuell auf der Tagesordnung stehen. Der Fachtag für 30 bis 50 Teilnehmer soll frei ausgeschrieben werden; die Vorbereitung übernimmt der Fachbereich Leben mit HIV in Zusammenarbeit mit Community-Vertretern. Auch dieser Vorschlag fand breite Zustimmung.

|Personalpool zur Legitimation von Community-Vertretung (Arbeitstitel „Positiver Ratschlag“)

Wenn Community-Vertreter für die Besetzung diverser Community Boards oder der PoBe-Vorbereitungsgruppe gesucht werden, gibt es in der Regel eine offene Ausschreibung über aidshilfe.de und den Newsletter sowie über die Verteiler der Selbsthilfe-Strukturen. Bislang entscheidet der Vorstand über die Auswahl; an diesem Verfahren wird häufig kritisiert, dass es zu wenig transparent sei und Menschen mit HIV kein Mitbestimmungsrecht hätten. Die Kritik greifen wir auf und begegnen ihr mit dem Vorschlag, dass die Teilnehmer auf den PoBe einen Pool von maximal zwölf Personen wählen, die gut in die positive Community vernetzt sind, die Kommunikation zwischen positiver Community und Verband fördern und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen, wenn wir uns im Verband nicht an unsere eigenen Prinzipien halten. Ihre wesentliche Aufgabe wird es sein, die Ausschreibungen für Community-Vertretungen zu begleiten und die Bewerber auszuwählen.

Zum Schutz von Minderheiten innerhalb der positiven Community sollen jeweils zwei Plätze als Quote für Frauen, Migranten und drogengebrauchende Menschen mit HIV garantiert werden. Um keine Zeit bis zu den nächsten PoBe in zwei Jahren zu verlieren, soll dieser Pool, dem wir den Arbeitstitel „Positiver Ratschlag“ gegeben haben, bereits im August im Kassel gewählt werden. Wenn die Positiven Begegnungen die Zielrichtung der Vorschläge bestätigen, kann bereits in Kassel der erste „Positive Ratschlag“ gebildet und dann auf der MV, die die abschließenden Entscheidungen trifft, vorgestellt werden.

 Zu welchem Ergebnis kam der Diskussionstag am 18. Mai insgesamt?

Die Vertreter der positiven Community haben uns einstimmig empfohlen, unsere Vorschläge wie geplant auf den Positiven Begegnungen und anschließend auf der Mitgliederversammlung zur Diskussion zu stellen. Sie sollen bereits jetzt breit kommuniziert werden, um möglichst vielen Menschen mit HIV schon im Vorfeld ein hohes Maß an Information und die Möglichkeit für Feedback und Rückfragen zu bieten.

Die Diskussion ist also eröffnet?

Ja, wir laden alle ein, unsere Vorschläge für eine verbindliche Beteiligung – also die Resolution, die PoBe als den maßgeblichen Ort der inhaltlichen Zusammenarbeit, die Einrichtung eines zweijährlichen Fachtags zur Koordination und Abstimmung und schließlich die Wahl des „Positiven Ratschlags“ – schon jetzt zu bewerten und zu kommentieren. Dieses Feedback können wir dann bereits mit in die Diskussion auf den Positiven Begegnungen in Kassel nehmen.

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