Zurzeit wird international und auch bei uns über die HIV-PrEP debattiert. Wir wollen diese Diskussion auf eine breitere Basis stellen und verschiedene Stimmen zu Wort kommen lassen. Zum Auftakt erklären wir, was so eine PrEP eigentlich ist:

Wenn HIV-Negative HIV-Medikamente nehmen, um sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen, nennt man das „Prä-Expositions-Prophylaxe“, kurz PrEP – auf Deutsch: „Vor-Risiko-Vorsorge“.

In den USA empfahl die Gesundheitsbehörde CDC schon 2011 Menschen mit andauernd hohem HIV-Risiko, nämlich Schwulen und anderen Männern, die Sex mit Männern haben (MSM), die tägliche Einnahme von Truvada (einer Kombinationstablette aus zwei HIV-Medikamenten) über Monate und Jahre. 2012 bekam das Präparat die US-Zulassung zu diesem Zweck. Im Mai 2014 wurden diese ersten CDC-Empfehlungen präzisiert. Die Rede ist jetzt von Menschen mit „substanziellem“ HIV-Risiko. Genannt werden HIV-negative Partner von HIV-Positiven (ohne weitere Präzisierung), MSM, die in den letzten sechs Monaten Analverkehr ohne Kondom und/oder eine sexuell übertragbare Infektion hatten, heterosexuelle Frauen und Männer, die beim Sex mit Partnern mit erhöhtem HIV-Risiko (injizierende Drogengebraucher/Menschen mit MSM als Sexpartnern) nicht immer Kondome verwenden und Drogengebraucher, die in den letzten sechs Monaten Spritzbesteck mit anderen geteilt haben. Als Option soll die PrEP auch mit heterosexuellen HIV-serodifferenten Paaren mit Kinderwunsch oder in der Schwangerschaft besprochen werden.

Seit dem Juli 2014 empfiehlt auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) MSM, über die HIV-PrEP als zusätzliche Präventions-Möglichkeit nachzudenken. Außerdem nennt sie die PrEP als Präventionsmöglichkeit für „serodifferente“ Paare (aus HIV-negativen und HIV-positiven Partnern).

In Europa steht die Zulassung von Truvada für eine Dauer-PrEP derzeit offenbar nicht an, der Hersteller hat bisher keinen Zulassungsantrag gestellt. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) veröffentlichte 2012 ein Diskussionspapier mit Prinzipien für einen möglichen Bewertungsprozess von Medikamenten für die HIV-PrEP und bezeichnete die PrEP darin als „potenziell wertvolles Instrument für einen integrierten Ansatz zur Reduktion des individuellen HIV-Risikos und zur Bekämpfung der HIV-Epidemie“. Eine kritische Betrachtung des tatsächlichen Nutzens könne aber erst beim routinemäßigen Einsatz dieses Instruments unter Alltagsbedingungen erfolgen.

Neben der oralen Dauer-PrEP werden derzeit auch andere Anwendungsformen der PrEP erforscht: Medikamentenhaltige Cremes für die Scheide und den Enddarm, sich auflösende „Tampons“, die Substanzen freisetzen, Vaginalringe, Vaginaltabletten, die Dreimonatsspritze oder die Tabletteneinnahme bei Bedarf könnten bald die Prävention bereichern.

Welche Nebenwirkungen hat Truvada, und wie viel kostet eine PrEP?

Truvada ist im Allgemeinen gut verträglich. Eine seltene, aber schwerwiegende Langzeitnebenwirkung des Truvada-Inhaltsstoffes Tenofivir ist eine Schädigung der Nieren. Aus diesem Grund muss bei Patienten, die mit Tenofovir behandelt werden, regelmäßig die Nierenfunktion kontrolliert werden.

Ein wichtiger Punkt bei der Diskussion um die PrEP ist auch die Finanzierung. In den USA (und Kanada) übernehmen viele Versicherungen die Kosten, für nicht Versicherte gibt es unter Umständen andere Programme. In Deutschland ist die PrEP mit Truvada dagegen nicht zugelassen. Sie kann aber trotzdem auf Privatrezept „off-label“ verschrieben werden, außerhalb des eigentlich vorgesehenen Gebrauchs. Der Arzt oder die Ärztin muss zur eigenen rechtlichen Absicherung lediglich genauer als sonst in der Akte dokumentieren, warum dieser Schritt angezeigt ist, denn bei bislang nicht bekannten Nebenwirkungen haftet die Herstellerfirma beim „Off-label“-Einsatz nicht. Die Kosten, die man dann (wie in der Regel auch bei Instrumenten zur Schwangerschaftsverhütung) selbst tragen muss, liegen bei etwa 800 Euro im Monat.

Wer nimmt die PrEP?

Schätzungen zufolge machten 2011 rund 150 Menschen in den USA eine HIV-Dauer-PrEP mit Truvada, 2012 waren es 1.274. Zwischen Januar 2012 und September 2013 nahmen 2.319 Personen außerhalb von Studien die PrEP, davon 48 Prozent Frauen. Im Juni 2014 schätzte die US-amerikanische Gesundheitsbehörde CDC, dass 500.000 Menschen in den USA für die PrEP in Frage kämen, aber nur 10.000 sie einsetzten.

Aber die PrEP ist noch weiter verbreitet: Viele tausend Säuglinge wurden und werden durch sie vor einer HIV-Infektion geschützt. Säuglinge, die gestillt werden müssen (weil es kein sauberes Wasser für Babynahrung gibt) und deren Mütter keinen Zugang zu einer kompletten antiretroviralen Therapie haben, kann man nämlich mit einer PrEP mit einem oder zwei Medikamenten über ein halbes Jahr oder ein Jahr bis zum Abstillen zuverlässig (das heißt zu 98 bis 99 Prozent) vor einer Infektion schützen.

Zwei Ansätze: systemische oder lokale PrEP

Müssen die HIV-Medikamente zum Schutz vor einer sexuellen HIV-Übertragung in jede Körperzelle gelangen (systemische PrEP)? Oder kann man auch einen Schutz erzielen, wenn man nur die Schleimhaut, die mit HIV in Berührung kommen könnte, „sättigt“ (lokale PrEP)?

Bei der systemischen PrEP gelangt das Medikament über Tabletten oder eine intramuskuläre Spritze in den ganzen Körper. Der Vorteil: Das Medikament ist überall und schützt alle Schleimhäute. Die PrEP bietet somit Schutz bei allen Sexualpraktiken und reduziert sogar das Risiko einer Infektion durch das gemeinsame Benutzen von Spritzen und Nadeln bei intravenösem Drogengebrauch. Der Nachteil: Man benötigt mehr von den Medikamenten, die PrEP wird teurer und nebenwirkungsreicher. Zu jeder systemischen PrEP gehört außerdem ein regelmäßiger HIV-Test zumindest alle drei Monate, denn wer sich trotz PrEP infiziert, riskiert eine Medikamentenresistenz – zwei Medikamente reichen in der Regel nicht aus, um HIV in Schach zu halten und die Vermehrung ganz zu unterdrücken.

Die lokale PrEP wirkt nur dort, wo sie wirken soll: in der Scheide oder im Enddarm. Dafür ist sie deutlich günstiger und nebenwirkungsärmer, denn nur ein verschwindend kleiner Teil der Körperzellen kommt überhaupt mit den Medikamenten in Kontakt, im Blut lassen sie sich nicht oder nur in Spuren nachweisen.

Systemische PrEP

  • Truvada-Dauer-PrEP

Die tägliche Einnahme einer Truvada-Tablette mit den gegen HIV wirksamen Substanzen Tenofovir und Emtricitabin schützt recht zuverlässig vor einer HIV-Infektion. Aus dem Medikamentenspiegel im Blut der Studienteilnehmer glaubt man nachweisen zu können, dass vier Tabletten pro Woche für einen wahrscheinlich über 90%igen Schutz ausreichen. Allerdings hat nur ein Teil der Teilnehmer es geschafft, die Tabletten tatsächlich regelmäßig einzunehmen. Daten über die „Therapietreue“ unter Alltagsbedingungen liegen bisher nicht vor.

  • „Wochenend“-PrEP

Anwenderfreundlicher ist die PrEP bei Bedarf. Profitieren davon könnte, wer nur ab und zu ein Risiko eingeht, zum Beispiel an einem Wochenende oder nur im Urlaub. In Frankreich, Kanada und bald auch in einigen Städten in Deutschland wird deshalb die Einnahme der PrEP durch schwule Männer vor einem „geplanten Risiko“ erprobt. Bislang ist nicht bekannt, wie viele Tage vorher man mit der Truvada-Einnahme beginnen muss, um in den Zellen einen schützenden Medikamentenspiegel aufzubauen. Die IPERGAY-Studie prüft nun, ob es ausreicht, kurz (2 bis 24 Stunden) vor dem geplanten Sex zwei Tabletten einzunehmen, gefolgt von jeweils einer Tablette am ersten und zweiten Tag nach dem Risikokontakt. Für den Sex am Wochenende benötigt man dann insgesamt vier bis fünf Tabletten – je nachdem, ob man an einem oder an zwei Tagen Sex hat. Die Kosten und die Nebenwirkungen würden verringert, und man müsste keine teure Prophylaxe einnehmen, wenn man vielleicht über eine längere Periode keinen oder keinen riskanten Sex hat. Ob das Einnahmeschema aber nicht doch zu kompliziert ist und ob die kurze „Anflutungszeit“ der Medikamente ausreicht, werden wir erst nach Abschluss der Studie 2016 wissen.

  • Monats- oder Dreimonatsspritze

Gleich zwei Medikamente werden für den Einsatz als Monats- oder Dreimonatsspritze erprobt: Rilpivirin, seit 2011 unter dem Handelsnamen Edurant für die HIV-Therapie zugelassen, und das seit 2014 zugelassene HIV-Medikament Dolutegravir. Beide Substanzen werden so verändert, dass sie –in den Muskel injiziert – über einen oder drei Monate wirksam sind. Bei Affen hat das Prinzip gut funktioniert. Nun beginnt die klinische Forschung am Menschen: Wird man mit nur einer Substanz auch eine Schutzwirkung aufbauen können? Wie hoch ist der Schutzeffekt und über wie viele Monate hält er an? Die Monatsspritze ist vor allem in einigen afrikanischen Ländern eine weit verbreitete Verhütungsmethode, die Akzeptanz könnte hoch sein. Aussagekräftige Ergebnisse zur Höhe des Schutzeffekts werden auch hier nicht vor 2016 erwartet.

Lokale PrEP

  • Vaginalring

Auch den Vaginalring kennt man bereits aus der Verhütung. Doch statt Hormonen gibt der HIV-PrEP-Ring, der für einen Monat im hinteren Scheidengewölbe platziert wird, kontinuierlich eine kleine Menge des antiretroviralen Medikaments Dapivirin ab, das ausschließlich für die Prävention entwickelt wurde. Zurzeit wird der Dapivirin-Ring im südlichen Afrika in zwei Studien an insgesamt über 4000 Frauen getestet. 2015 sollen Ergebnisse zum Schutzeffekt vorliegen.

Vaginalgels und -tabletten oder sich selbst auflösende Tampons können bei Bedarf, also vor und gegebenenfalls zusätzlich nach dem Geschlechtsverkehr in der Scheide platziert werden. 2011 wurde in der CAPRISA-Studie mit einem Tenofovir-Gel ein Schutzeffekt von 39 Prozent erzielt – das erste positive Studienergebnisse mit einem HIV-„Mikrobizid“ überhaupt, obwohl hier seit zwei Jahrzehnten geforscht wurde. Da in der Forschungspipeline nur Substanzen sind, die antiretrovirale Medikamente enthalten, werden die Mikrobizide seitdem als vaginale (oder rektale, siehe unten) PrEP eingeordnet.

Nun geht es darum, den Schutzeffekt der vaginalen PrEP zu erhöhen, zum Beispiel über ein verändertes Anwendungsschema oder über andere Zubereitungen, Medikamente und Medikamentenkonzentrationen. So werden zum Beispiel schnelllösliche Tabletten mit Tenofovir und Truvada sowie „Filme“ mit Dapivirin oder Tenofovir entwickelt. Solch einen Film kann man sich wie ein Stück Tesafilm vorstellen, der in der Scheide platziert wird und sich auflöst. Auf Filmen kann man Medikamente dichter „packen“ als im Gel. Sie bleiben für den Partner unbemerkt und sind deswegen diskreter in der Anwendung. Filme und Tabletten sind jedoch noch in der frühen Phase der klinischen Entwicklung. Ergebnisse zum Schutzeffekt werden nicht vor 2016 erwartet. Gels hingegen könnten weiterhin interessant sein: als abschließendes –und vor HIV schützendes – Gel bei Verwendung eines Diaphragmas.

  • Rektalgels

Gibt es auch eine lokale PrEP für den Analverkehr? Die ersten Versuche mit einem Tenofovir-Gel scheiterten. Das Gel enthielt zu viele lösliche Substanzen, sodass Wasser aus den zarten Schleimhautzellen des Darms gesogen und so der Darm stark geschädigt wurde. Eine HIV-Infektion wäre durch ein solches Gel sogar wahrscheinlicher. Mittlerweile aber ist das Gel für den Darm gut verträglich. Nun müssen Studien an vielen Hunderten oder Tausenden Menschen zeigen, ob sich durch die Anwendung des Gels Infektionen beim aufnehmenden Analverkehr verhindern lassen. Diese Forschung befindet sich inzwischen in der mittleren Phase der klinischen Entwicklung.

Armin Schafberger und Holger Sweers

 

Bisher in dieser Reihe erschienen:

Zur Lektüre empfehlen wir auch unsere Serie „Sex in einer Epidemie“ (hier der Link zum ersten Teil). Len Tooley, ein HIV-negativer schwuler Mann aus Toronto, der dort als HIV-Präventionist für schwule Männer arbeitet, beschreibt darin seine Erfahrungen mit der HIV-PrEP.

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Armin Schafberger

Armin Schafberger ist Arzt und Master of Public Health, Trainer und freier Autor.

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