Vor nunmehr 30 Jahren wurde in Deutschland der HIV-Test zugelassen. Bernd Aretz über Missbrauch und Versäumnisse im Umgang mit dem Diagnose-Instrument, aber auch den persönlichen Benefit einer sinnvollen Nutzung.

Männer, überwiegend aus der Lederszene, standen im Herbst 1984 Schlange am Haus 68 der Frankfurter Universitätsklinik, um ihr Blut untersuchen zu lassen. Frau Prof. Dr. Eilke Helm hatte in Veranstaltungen in der Schwulenszene dafür geworben, wie sie seit 1982 die Besucher ihrer an Aids erkrankten Patienten darum bat, sie untersuchen zu dürfen. Die Männer ließen sich also Blut abnehmen, auch wenn Hans Peter Hauschild wegen der bedenklichen Nähe von Prof. Dr. Wolfgang Stille, dem Leiter der Abteilung, zu Dr. Michael Koch, dem selbsternannten Seuchenexperten und Gauweiler-Spezi aus Schweden, erklärt hatte, sein Blut bekomme Frau Helm nicht (dabei hatte sie es schon lange, denn auch er war dem Aufruf gefolgt).

Ich selbst hatte mich Anfang November 1984 in Marburg testen lassen. In der Kohortenstudie der positiv Getesteten in Frankfurt erhielt ich die Nummer 168. Bevor am 5. Juni 1985 die arzneimittelrechtliche Zulassung für ein Testverfahren durch das Paul-Ehrlich-Institut in Frankfurt erfolgte, war röhrchenweise schon mancher Liter Blut abgenommen worden, um ihn auf Antikörper gegen LAV/HTLV-III zu untersuchen. Die etwas sperrige Bezeichnung verdanken wir dem Streit der Forschergruppen um Luc Montagnier in Frankreich und Robert Gallo in den USA, die beide für sich behaupteten, das Virus, das wir heute HIV nennen, als Erste isoliert zu haben.

„Die Bayern testeten jahrelang alle Beamtenanwärter“

Kaum gab es den Test auf dem Markt, entwickelten sich die Begehrlichkeiten. Mediziner, wie etwa an der Uniklinik Marburg, testeten ungefragt. Bundesinnenminister Zimmermann wollte den Test, um infizierte Ausländer, die nicht dem westeuropäischen Kulturhygienekreis entstammten, an der Einreise in die Bundesrepublik hindern zu können. Die Bayern testeten jahrelang alle Beamtenanwärter, bis sie endlich merkten, dass das teuer ist und nichts bringt. Asylbewerber und Gefängnisinsassen wurden in manchen Bundesländern ohne Einwilligung auf HIV-Antikörper untersucht.

Teile der Medien wie etwa der SPIEGEL und einige durchgeknallte Politiker sprachen dem Virus das Potenzial zu, den Untergang des Abendlandes zu verursachen. Dabei war seriösen Infektiologen schnell klar, welches die Übertragungswege sind und dass man sich HIV so leicht nun auch nicht holen kann. Bei allem Eifer, auf Teufel komm raus zu testen, blieben die Blutprodukte bis zum 1. Oktober 1985 außen vor, weil es billiger schien, die paar Infizierten, die ja doch bald sterben würden, zu entschädigen, als alle Blutspenden zu testen. Diesem Umstand verdanken einige Hämophile und Menschen, die bei Operationen Bluttransfusionen erhielten, ihre HIV-Infektion. Selbstverständlich wurden die ungetesteten Blut-Altbestände aufgebraucht.

„Zu entschädigen schien billiger, als Blutspenden zu testen“

In den Aidshilfen gab es einen erbitterten Streit, ob man – wie etwa die AIDS-Hilfe Marburg ab Herbst 1985 – den Test anbieten dürfe oder ob das ein Grund für den Ausschluss aus der Deutschen AIDS-Hilfe sei. Und wenn man schon kaum etwas anzubieten hatte, konnte man wenigstens über Begrifflichkeiten streiten. Ich kann die Rügen nicht zählen, die ich mir damals einfing, wenn ich vom „HIV-Test“ statt vom „HIV-Antikörpertest“ sprach.

Und wie ist die Lage heute? In den Polizeigesetzen mancher Bundesländer ist die völlig unsinnige Möglichkeit einer Zwangstestung auf HIV und Hepatitis vorgesehen – gegen die eindeutige Empfehlung der Deutschen AIDS-Gesellschaft. Immer noch wird ohne Aufklärung und Einwilligung getestet. Andererseits bieten längst nicht alle Gynäkologen schwangeren Frauen den HIV-Antikörpertest an, offensichtlich, weil sie sich zutrauen, Frauen mit HIV-Risiko schon zu erkennen. Damit offenbaren sie nicht nur ihre Vorurteile, sondern zugleich eine zutiefst erschreckende Unkenntnis über Infektionskrankheiten.

„Längst nicht alle Gynäkologen bieten Schwangeren den Test an“

Man verlangt ja nun nicht von jedem Arzt, er müsse sich besondere Kenntnisse im HIV-Bereich aneignen. Jeder arbeite in seiner Disziplin, und die Hinweise aus den anderen Fachgebieten finden sich in den Behandlungsleitlinien. Die zu lesen und zu befolgen dürfte so schwer doch nicht sein. In manchen Fällen ist es Gynäkologen zuzuschreiben, dass vereinzelt mit HIV infizierte Kinder geboren wurden, was durch eine angemessene ärztliche Betreuung der Mütter hätte vermieden werden können.

Was bedeutet ein positives Testergebnis heute? Es konstituiert den Menschen mit HIV. Und der hat Schwierigkeiten, eine Lebensversicherung abzuschließen. Er ist von Diskriminierung im Erwerbsleben, in der sexuellen Welt und auch im Medizinbetrieb bedroht. Weitere Probleme kommen hinzu, wenn er oder sie einer Community angehört, in der HIV ein Tabu ist, oder wenn eine mögliche Diskriminierung der eigenen Kinder zu bedenken ist.

„Die Vorteile des Wissens scheinen mir eindeutig zu überwiegen“

Aber wer den HIV-Test nicht macht, kann nicht behandelt werden. Über zehntausend Menschen in Deutschland sind infiziert, ohne davon zu wissen. Zumindest verdrängen sie ihre Ahnungen oft über Jahre so erfolgreich, dass medizinisch bereits Hopfen und Malz verloren ist, wenn sie im Vollbild der Erkrankung ihre Scham über ein womöglich sexuell zugezogenes Leiden endlich überwinden müssen.

Der Test rettet Leben. Er öffnet die Tür zur Behandlung, die bei rechtzeitigem Beginn eine normale Lebenserwartung ermöglicht und bewirkt, dass man für Sexpartner_innen, zumindest was HIV angeht, nicht gefährlich ist. Die Vorteile des Wissens scheinen mir eindeutig zu überwiegen. Deswegen begrüße ich Kampagnen, die sich besonders an sexuell umtriebige Männer mit der Botschaft richten, den HIV-Test für sich zur Routine beim ohnehin empfehlenswerten regelmäßigen Check in Sachen sexueller Gesundheit zu machen (was aber auch anderen sexuell umtriebigen Menschen anzuraten ist).

Gegen Diskriminierung kann man sich zur Wehr setzen, und auch Tabus sind nicht in Stein gemeißelt. Wir haben da in der Gesellschaft, in unseren ärztlichen Begleiter_innen und in den Aidshilfen starke Verbündete.

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„Kein Kind soll mehr an Aids sterben müssen!"

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Bernd Aretz

langjähriger Mitstreiter und Wegbegleiter der Deutschen Aidshilfe, Enfant terrible und Hundeliebhaber (06.07.1948 – 23.10.2018)

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