Menschlichkeit

#Refugeeswelcome – wir sind dabei!

Von Axel Schock
Weltkarte aus Gesichtern
Sie kommen aus Ländern wie Afghanistan, Syrien oder Eritrea. Sie sind politisch verfolgt, vertrieben, dem Krieg entflohen und in Not. Deshalb brauchen sie unsere Solidarität und Unterstützung, aber auch Schutz vor rassistischen Anfeindungen.

Menschen auf heillos überladenen Booten, notdürftig errichtete Zeltstädte, endlose Warteschlagen vor den Erstaufnahmestellen – seit vielen Wochen und Monaten begleiten uns diese Bilder und Szenen im Medienalltag. Die Nachrichten erschüttern und bewegen die Menschen, manche beunruhigen und ängstigen sie auch.

Und während die einen mit Mitgefühl reagieren und sich auf vielfältige Weise für Flüchtlinge einsetzen, schüren andere Hass und Ressentiments. Dabei reicht meist ein Blick auf die Fakten, um viele der Vorurteile zu widerlegen.

60 Millionen Menschen weltweit sind auf der Flucht

Ein Flüchtling ist, so definiert es die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will“.

Rund 60 Millionen Menschen sind laut Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen(UNHCR) derzeit weltweit auf der Flucht, so viele wie nie zuvor. Sie haben meist nicht nur ihre Heimat, berufliche Existenz und Lebensperspektive, sondern oft auch Familienangehörige und Freunde verloren. Viele haben körperlich wie psychisch Schäden erlitten, wurden gefoltert und leiden an traumatischen Erlebnissen.

Das UN-Flüchtlingshilfswerk unterscheidet dabei zwischen Flüchtlingen, Asylbewerbern und Binnenvertriebenen. Letztere machen den Großteil der Flüchtlinge aus. Beispiel Syrien: Zwei Drittel der geflohenen Menschen suchen Schutz im eigenen Land, die anderen zumeist in den Nachbarländern Libanon, Jordanien und Türkei. Dort hoffen sie auf ein baldiges Ende des Krieges, um in ihr Land zurückkehren zu können.

Etwa ein Viertel aller Flüchtlinge hingegen sucht nach einer dauerhaften neuen Heimat. Ein vergleichsweise geringer Teil hofft, diese in Europa zu finden: 2014 wurden über 625.000 Asylbewerber in der Europäischen Union registriert. 45 Prozent der bearbeiteten 360.000 Anträge (auch aus früheren Jahren) wurden positiv beantwortet.

Für 2015 rechnet das Bundesinnenministerium nach jüngsten Prognosen damit, dass bis zu 800.000 Asylbewerber nach Deutschland kommen werden. 2014 lag Deutschland mit 2,5 Asylanträgen auf 1.000 Einwohner im europäischen Vergleich auf Platz acht ­– hinter Schweden, Ungarn, Österreich, der Schweiz, Dänemark und Norwegen –, weltweit auf Platz 13.

Gründe für den Anstieg der Flüchtlingszahlen

Flüchtlinge verlassen ihr Land nicht freiwillig, sondern werden zur Flucht gezwungen. Die Gründe sind vielfältig und von Menschen gemacht. In Eritrea fliehen die Menschen vor der massiven Unterdrückung durch die Regierung; in Syrien, Afghanistan, dem Irak und Pakistan sind die Menschen durch Bürgerkrieg und Terror bedroht.

In vielen Ländern müssen Homosexuelle und politisch Andersdenkende um ihr Leben fürchten. Aber auch Armut und die vage Hoffnung auf ein menschenwürdigeres Leben bringen Menschen dazu, sich auf eine ungewisse und oft lebensgefährliche Reise zu begeben.

Wir tragen oft eine Mitverantwortung für Fluchtgründe

Auch die Umweltzerstörung ist Ursache von Flucht und Abwanderung – Klimawandel, Wasserknappheit und Naturkatastrophen haben weite Landstriche unbewohnbar gemacht.

Hinzugekommen sind die negativen Folgen der Globalisierung. In letzter Konsequenz trägt auch unser Lebensstil zur Verschlechterung der Lebensumstände in einigen Krisen- und Auswanderstaaten bei. So exportiert beispielsweise die Europäische Union subventioniertes Milchpulver sowie Rind- und Hühnerfleisch in afrikanische Länder. Dort können diese Produkte zu weitaus niedrigeren Preisen angeboten werden  als durch die einheimischen Viehzüchter und Kleinbauern, deren Lebensgrundlage so zerstört wird.

Der Kampf multinationaler Unternehmen um Rohstoffe wie Kupfer, Gold, Holz und Coltan, aber inzwischen auch um lebenswichtige Ressourcen wie Wasser trägt zur Destabilisierung des sozialen Gefüges bei und führt immer wieder zu Korruption, Ausbeutung, Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen bis hin zu kriegerischen Konflikten.

Die EU-Agrarpolitik, die Geschehnisse an den großen Börsenplätzen, die Entscheidungen in den Vorstandsetagen der Konzerne und unser tagtägliches Konsumverhalten haben somit Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in den Schwellen- und Dritt-Welt-Ländern – meist nicht zum Vorteil der dort lebenden Menschen.

Nicht zuletzt sind viele Industriestaaten auch direkt dafür mitverantwortlich, dass die in vielen Ländern bestehenden Konflikte weiter befeuert werden. Nach den USA, Russland und China ist Deutschland der viertgrößte Großwaffenexporteur weltweit. Im ersten Halbjahr 2015 wurden deutlich mehr Waffenexporte genehmigt als im gleichen Vorjahreszeitraum. Besonders drastisch ist nach Angaben des Wirtschaftsministeriums der Anstieg der Exporte in Krisengebiete wie in die arabischen Staaten und nach Nordafrika: Er hat sich mit 587 Millionen Euro mehr als verdoppelt.

Humanität und Menschenwürde gebieten es, Solidarität zu zeigen und Rassismus entgegenzutreten

Dass wir den Asylsuchenden in ihrer Not helfen, unabhängig von unserer Mitverantwortung für die Fluchtgründe, gebieten die Humanität und Menschenwürde. Und wenn auch mancherorts Hass, Vorurteile und Neid ihr hässliches Gesicht zeigen – es gibt auch viele tausend ehrenamtliche Helfer, die Zivilcourage und auf vielfältige Weise ihre Solidarität mit den Flüchtlingen zeigen.

Immer mehr Menschen engagieren sich in Flüchtlingsinitiativen und versorgen jene, die die langen und lebensgefährlichen Wege, oft über tausende Kilometer hinweg, überstanden haben, mit dem Nötigsten.

Doch neben Nahrung und einem Dach über dem Kopf benötigen diese Menschen auch gesundheitliche Versorgung, und um die ist es hierzulande nicht zum Besten bestellt – abgesehen davon, dass in den überfüllten Erstaufnahmelagern derzeit viel zu wenig Ärzte bereitstehen, um sich um Erkrankte und Verletzte zu kümmern.

Mangelhafte Gesundheitsversorgung

Asylsuchende haben in Deutschland nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, so regelt es das 1993 als Folge des „Asylkompromisses“ in Kraft getretene Asylbewerberleistungsgesetz. Medizinisch notwendige Behandlungen sind darin nur bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen vorgesehen. Mit diesen Einschränkungen sollen die Gesundheitsausgaben gering gehalten und keine Anreize zur Asylsuche in Deutschland geboten werden.

Doch selbst dringend erforderliche Behandlungen müssen von den örtlichen Sozialämtern genehmigt werden. Das ist nicht nur aufwendig, langwierig und ethisch umstritten, sondern letztlich auch teurer, wie eine aktuelle Studie zeigt: Wissenschaftler der Universität Bielefeld und des Universitätsklinikums Heidelberg haben dafür repräsentative Daten des statistischen Bundesamtes der Jahre 1994 bis 2013 ausgewertet. Demnach hätten in den vergangenen 20 Jahren die Gesamtausgaben für die medizinische Versorgung unter den Bedingungen eines gleichen Zugangs für alle Asylsuchenden um rund 22 Prozent gesenkt werden können.

Die Regelversorgung für Flüchtlinge wäre für alle besser

„Es ist wichtig, so früh wie möglich eine Anbindung an die Regelversorgung und somit eine umfassende Versorgung mit primärmedizinischen Maßnahmen sicherzustellen“, fordert daher der Autor der Studie, Dr. Kayvan Bozorgmehr. Vorreiter sind die Stadtstaaten Bremen und Hamburg, wo Asylsuchende ohne Wartezeit eine Gesundheitskarte und damit besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten.

Was die konkrete Versorgung angeht, hat sich die Situation in den letzten Monaten allerdings weiter zugespitzt. „Die Krankheiten, bedingt durch Flucht, Folter, Vertreibung, Vergewaltigung, Entbehrungen jeglicher Art, und das über einen meist langen Zeitraum verbunden mit den psychischen Belastungen, sind vielzählig“, sagt Dr. med. Ulrich Clever, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesärztekammer und Präsident der Ärztekammer Baden-Württemberg, dem Deutschen Ärzteblatt.

Wachsende Aufgaben der Aidshilfen

Doch nicht nur im fachärztlichen, sondern auch im sozialen und psychosozialen Bereich wächst der Betreuungsbedarf. „Die Verantwortung für die Versorgung von Flüchtlingen wurde inzwischen weitgehend Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und freiwilligen Helfer_innen überlassen“, beklagt in einem offenen Brief die Migrationsexpertin der Münchner Aids-Hilfe, Antje Sanogo.

Die wachsende Zahl an Flüchtlingen insbesondere aus Ländern mit hoher HIV-Prävalenz spiegelt sich auch in der Zahl der HIV-Neudiagnosen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts  wuchs der relative Anteil von Menschen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara an den neu Diagnostizierten von 10 Prozent im Jahr 2013 auf 15 Prozent im letzten Jahr. In Bayern und Sachsen werden neu ankommende Asylbewerber weiterhin zwangsgetestet, HIV-positive Flüchtlinge haben aber dennoch kein Anrecht auf eine antiretrovirale Behandlung.

Unter ihnen sind auch Frauen und Männer, die auf der Flucht vergewaltigt wurden und dabei innere Verletzung erlitten, die auch jenseits der grundlegenden medizinischen Versorgung intensiver psychologischer Begleitung bedürfen.

In München wie auch in vielen anderen regionalen Aidshilfen wird alles unternommen, um sich um die oftmals zutiefst verzweifelten und traumatisierten Menschen zu kümmern. In Freiburg und Potsdam beispielsweise arbeitet man direkt mit den Flüchtlingsheimen zusammen, organisiert Beratungen und Präventionsangebote. Doch Asylbewerber durch den deutschen Behördendschungel und bei der Wohnungssuche zu helfen, ist zeitaufwendig und kräftezehrend. „Wir sind längst an der Grenze unserer Belastbarkeit“, sagt Natalie Rudi, Geschäftsführerin der Aidshilfe Oberhausen, und fordert eine bessere finanzielle Ausstattung durch Land und Bund.

Allzu groß sind die Hoffnungen freilich nicht. Die Deutsche AIDS-Hilfe wird sich dennoch weiterhin auf politischer Ebene für eine Verbesserung der Situation stark machen – und zugleich, Hand in Hand mit ihren Mitgliedsorganisationen, daran mitarbeiten, die Not der Flüchtlinge zu lindern, sie in Deutschland willkommen zu heißen und jeglichem Rassismus entgegenzutreten.

 

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