Prävention

„PrEP? So was machen wir hier nicht!“

Von Kriss Rudolph
Mann nimmt PrEP
Symbolbild
Thomas* will sich mit der PrEP vor HIV schützen, den „Pillen davor“. Doch als er sich an HIV-Schwerpunktpraxen in der Nähe seines Wohnortes wendet, stößt er an Mauern aus Unkenntnis und Moralisierei

Seit August 2016 ist das HIV-Medikament Truvada in Europa auch zur HIV-Prä-Expositions-Prophylaxe (kurz PrEP; wörtlich: Vor-Risiko-Vorsorge) zugelassen. Seit Oktober darf das Mittel in Deutschland für Personen verordnet werden, die ein hohes Risiko haben, sich sexuell mit HIV zu infizieren. Damit ist es Teil einer Gesamtstrategie zur Prävention von HIV. Erst kürzlich erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Wirkstoffe der PrEP-Tabletten zu einem „unentbehrlichen Arzneimittel“.

Die PrEP schützt zuverlässig vor HIV

Der Schutz ist zuverlässig. Schon im Jahr 2015 zeigten zwei Studien, dass eine PrEP das HIV-Übertragungsrisiko um mindestens 86 Prozent senkt. Wenn man die Tabletten regelmäßig einnimmt, ist die Schutzwirkung sehr viel höher und erreicht fast 100 Prozent. Darum wird Truvada Menschen mit hohem HIV-Risiko, darunter Männern, die Sex mit Männern haben, in immer mehr Ländern zur Verfügung gestellt. In Belgien und Frankreich zum Beispiel werden die Kosten vom Gesundheitssystem getragen. Die deutschen Krankenkassen kommen jedoch nicht dafür auf, während die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) und viele andere Expert_innen eine Übernahme der Kosten befürworten.

„Wenn ein Medikament den gleichen Schutz wie Kondome bietet, möchte ich das nehmen“

Thomas*, Jahrgang 1976, wohnt in einer baden-württembergischen Kleinstadt, nicht weit von der französischen Grenze entfernt, und möchte sich mit mit der PrEP vor einer HIV-Infektion schützen. „Ich habe mein ganzes homosexuelles Leben mit der Angst vor Aids gelebt und bin 41 geworden, ohne mich zu infizieren. Wenn es ein Medikament gibt, das mir denselben Schutz wie ein Kondom verschafft, nehme ich mir das Recht heraus, zu sagen: Dann möchte ich das auch nehmen.“

Thomas ist viel privat in Frankreich unterwegs. Dort ist Truvada seiner Wahrnehmung nach viel verbreiteter als in Deutschland, denn im Nachbarland tragen die Krankenkassen die Kosten. Resultat: Thomas findet kaum noch Sexpartner, die ein Gummi benutzen wollen – eine Entwicklung, die seiner Beobachtung nach schon länger im Gange ist.

Hohe PrEP-Hürden auch in Schwerpunktpraxen

Also bemühte er sich im April um Truvada und orientierte sich dabei an einer der Listen mit Schwerpunktpraxen, die auf Seiten wie hivandmore.de oder deutschland.hiv-facts.net einzusehen sind – Praxen, die in der Deutschen Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e. V. (dagnä) organisiert sind.

Thomas probierte es in Karlsruhe. Doch als er bei einer der empfohlenen Praxen anrief, teilte man ihm mit, dass man dort keine PrEP verschreibe. Auch bei zwei weiteren Stellen in Karlsruhe – viel mehr gibt in der zweitgrößten Stadt des Landes Baden-Württemberg auch nicht – kam er nicht weiter.

Als „unglaublich“ beschreibt er, was er in einer der Praxen zu hören bekam: „Ich wurde da richtig abgewiesen.“ Zunächst hatte die Medizinische Fachangestellte gar nicht verstanden, was das Anliegen des Anrufers war. „Sie fragte mich immer, wann der Kontakt stattgefunden hätte, weil sie mich mit einer PEP behandeln wollte. Daraufhin habe ich ihr erklärt, dass ich mich für eine PrEP interessierte, für die Prä-Expositions-Prophylaxe, nicht für die Post-Expositions-Prophylaxe nach einem Risiko. Ich hatte den Eindruck, dass sie überhaupt nicht wusste, dass es Truvada als PrEP gibt.“

Rückkehr zum Moralismus der 80er-Jahre?

Nachdem er seiner Gesprächspartnerin erklärt hatte, worum es sich bei einer PrEP handelt, hieß es: „Nein, das machen wir nicht im Vorfeld.“ „Das war richtig moralisierend“, sagt Thomas. „Sie hat mir fast einen Vortrag gehalten. Da habe ich gedacht, jetzt sind wir wieder in den dunklen Tagen zu Beginn der 80er-Jahre angekommen. Am Ende hat mir die Frau sogar empfohlen: Dann müssen Sie halt aufpassen, nehmen Sie ein Gummi!“

Eine Anfrage bei der dagnä, der die Gemeinschaftspraxis angehört, ergibt: „Die Zulassung der PrEP ist eine Chance für die HIV-Prävention in Deutschland. Eine qualitätsgesicherte, effektive und wirtschaftliche PrEP […] soll ein weiterer Baustein eines Gesamt-Präventionskonzeptes sein.“ Wie aber kann es dann sein, dass eine PrEP-Anfrage von einer Schwerpunktpraxis derart abgebügelt wird?

„Dann müssen Sie halt aufpassen, nehmen Sie ein Gummi!“

Die Bundesärztekammer regelt in einer Muster-Berufsordnung, wer sich aufgrund erworbener Qualifikationen und Tätigkeitsschwerpunkte den Namen Schwerpunktpraxis geben darf. Für diese Praxen sei seit 2009 eine Qualitätssicherungsvereinbarung in Kraft, erklärt dagnä-Geschäftsführer Robin Rüsenberg – diese sei „zweifellos ein Meilenstein für die HIV/Aids-Versorgung in Deutschland und versorgungspolitisch von sehr hoher Bedeutung“. So würden „Erfahrung und Qualifikation der behandelnden Ärzte“ sichergestellt; die dagnä selbst ergänze die Qualitätssicherungsvereinbarung durch passgenaue eigene Angebote, insbesondere im Bereich Fortbildung, so Rüsenberg.

Es fehlen strukturell sachgerechte Voraussetzungen für die PrEP

Grundsätzlich spreche sich die dagnä für die PrEP aus. Die konkrete Erfahrung von Thomas zeige aber „einmal mehr, dass das Fehlen strukturell sachgerechter Voraussetzungen das Haupthindernis für eine erfolgreiche Implementierung der PrEP ist“. Selbstverständlich müsse sich das Anbieten der PrEP auch in die jeweiligen Praxiskapazitäten vor Ort angemessen integrieren lassen, was durch die Ärztinnen und Ärzte individuell zu entscheiden ist, sagt der dagnä-Geschäftsführer.

„Geeignete strukturelle Rahmenbedingungen sind der beste Weg, um das Präventionspotenzial der PrEP zu nutzen. Deswegen setzen wir uns zusammen mit der Deutschen AIDS-Hilfe gemeinsam für deren Schaffung ein.“ Den Vorwurf, wonach Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von HIV-Schwerpunktpraxen nicht über die entsprechende Sachkenntnis und/oder Sensibilität verfügen, höre er allerdings zum ersten Mal.

Woran es im geschilderten Fall mangelt, lässt sich leider nicht klären. Eine Nachfrage in der Praxis bleibt ergebnislos. Der Arzt wolle sich dazu nicht äußern, erklärt die Arzthelferin am Telefon.

Thomas gibt zu, er sei nach dieser Erfahrung „ein bisschen entsetzt“ gewesen. Von einer Schwerpunktpraxis hätte er einen anderen Umgang erwartet. Dass man sich mit dem Thema PrEP nicht auskennt, hätte er noch verstanden, sagt er. „Aber dass die einem moralisch kommen?“ Man hat ihm nicht mal eine andere Praxis empfohlen oder ihn an die lokale Aidshilfe verwiesen.

„Soll ich mich lieber infizieren?“

„Da entschließt sich jemand, diesen Weg zu gehen, weil er glaubt oder weiß, er hat demnächst einen potenziellen Risikokontakt – und dann so was!“, wundert sich Thomas. „Soll ich mich lieber infizieren? Das finde ich echt unglaublich.“

Ärzt_innen reißen sich nicht um PrEP-Klient_innen

Probleme mit der betreffenden Praxis sind bei der Aidshilfe Karlsruhe nicht bekannt. Anfragen zur PrEP erhalte man allerdings eher selten, sagt Mitarbeiterin Anja Stegbauer-Bayer, das Thema sei dort noch nicht so richtig angekommen.

Während Thomasʼ Ärger verständlich ist, gibt es möglicherweise eine einfache Erklärung für seine Abfuhr. Laut Armin Schafberger, DAH-Referent für Medizin und Gesundheitspolitik, reißen sich viele Schwerpunktärzt_innen nicht gerade um das Thema PrEP, und zwar aus ganz praktischen Gründen. „Die Beratung zur PrEP braucht Zeit. Da fragt sich mancher Schwerpunktarzt: Wenn zu meinen 400 HIV-Patienten noch 200 PrEP-Klienten dazukommen – wie soll ich das stemmen?

Es müsse ja eine Sexualanamnese erhoben werden, es gehe um Vorerkrankungen und um Nebenwirkungen von Truvada, schließlich sei das Einnahmeschema zu klären sowie die Häufigkeit der Kontrolluntersuchungen; außerdem müsse geklärt werden, wie der Klient an das Medikament kommt.

„Dass die PrEP keine Kassenleistung ist, macht nicht nur die Finanzierung der Medikamente zur Herausforderung, sondern auch die Kostenübernahme von Beratung und Kontrolluntersuchungen. Über das alles muss man sprechen, und eine Lösung ist in der Regel nicht einfach. Für den Praxisalltag sind PrEP-Klienten somit keine ‚attraktiven‘ Kunden“, so Schafberger.

Ende gut, alles gut?

Thomas musste sich nach seinen ersten Erfahrungen erst mal sammeln, bevor er einen neuen Anlauf unternahm. „Es ist schon schwierig, mit einer fremden Person darüber zu sprechen und zu erklären, was man will. Man hat da eine gewisse Hemmschwelle.“ Schließlich hat er sich an die Deutsche AIDS-Hilfe gewandt, die ihm eine Schwerpunktpraxis in Freiburg nannte. Dort empfand er den Umgang als freundlich und kompetent, ohne dass man sein Anliegen bewertete. Ein Anruf genügte, und er hat sofort einen Termin bekommen.

Mittlerweile war er auch bei der Ärztin und fühlte sich „super beraten“. Mit dem Rezept kann er sich nun Truvada besorgen – oder vielmehr ein generisches Medikament mit den gleichen Inhaltsstoffen, das um ein Vielfaches günstiger ist.

* Name geändert

Foren und Websites mit Infos zur PrEP (Auswahl)

Auf Deutsch:

http://www.lovelazers.org/de/prep-die-pillen-davor/ 

http://www.lovelazers.org/de/handbuch-prep-selbst-besorgen/

PlanetRomeo: Club PrEP-Info-DE

https://prep.jetzt

Auf Englisch:

https://www.iwantprepnow.co.uk/

http://prepster.info/

1 Kommentare

Andreas 1. August 2017 11:49

Hallo, die gleiche Erfahrung hatte ich mit Beiden Schwerpunkt Praxen in Augsburg. In der einen in Augsburg Lechhausen wurde ich sofort verurteilt und mir gesagt ich soll halt einen Gummi nehmen…

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