Nach Veröffentlichung des Entwurfs zur Reform des Transsexuellengesetzes fühlte sich unser Kolumnist Linus Giese erst mal hilflos. Dann startete er eine Online-Petition und erfuhr große Solidarität.

Am 8. Mai veröffentliche das Bundesinnenministerium gemeinsam mit dem Justizministerium einen Gesetzentwurf zur Reform des sogenannten Transsexuellengesetzes (TSG) und stieß damit auf lautstarke Kritik.

„Augenwischerei“

Über 20 Stellungnahmen wurden daraufhin von Parteien, Organisationen und Verbänden veröffentlicht; dafür hatten sie gerade mal zwei Tage Zeit.

„Augenwischerei“, „missraten“ und „schlechter Kuhhandel“ – so urteilte zum Beispiel die SPDqueer.

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes übte ebenfalls Kritik und schrieb über den Entwurf: „Er ist unnötig bürokratisch, baut für die Betroffenen neue Hürden auf und wird dem Prinzip der Selbstbestimmung nicht gerecht.“

Über 25.000 Menschen unterstützen meine Online-Petition

Auch ich entschied mich dazu, mich zu wehren, und startete eine Online-Petition. Diese wurde mittlerweile von mehr als 25.000 Menschen unterschrieben.

Für mich ist diese Unterstützung überwältigend. Es hilft sehr, zu sehen, dass ich nicht alleine bin – und nicht alleine kämpfen muss.

Es hilft sehr, zu sehen, dass ich nicht alleine kämpfen muss!

Als der neue Entwurf veröffentlicht wurde, fühlte ich mich hilflos und ausgeliefert. Der größte Wunsch von trans Menschen ist einfach nur, ein selbstbestimmtes Leben führen zu dürfen. Und zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch, selbstbestimmt über den eigenen Namen und das eigene Geschlecht entscheiden zu dürfen.

Doch davon sind wir in Deutschland auch 2019 noch weit entfernt.

Die Fremdbestimmung bleibt

Das Transsexuellengesetz trat am 1. Januar 1981 in Kraft. Es regelt die Änderung des Vornamens und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen.

Seit dessen Einführung erklärte das Bundesverfassungsgericht immer wieder einzelne Vorschriften für verfassungswidrig, die dann in der Folge angepasst oder ganz gestrichen wurden.

Zu Beginn durften der Vorname und der Personenstand zum Beispiel erst nach operativen Eingriffen geändert werden. Damals gab es auch eine Altersgrenze: Trans Menschen mussten mindestens 25 Jahre alt sein, um einen Antrag stellen zu dürfen.

Lange Zeit galt außerdem, dass die Vornamensänderung nach einer Heirat  unwirksam wird – und dass sich verheiratete trans Menschen vor der Änderung scheiden lassen müssen.

Das ist keine Selbstbestimmung, sondern Fremdbestimmung!

Was jedoch bis heute gilt: Trans Menschen brauchen zwei unabhängige Gutachten, um anschließend vor Gericht den eigenen Namen und Personenstand ändern zu können.

Dieses Verfahren soll laut dem vorliegenden Gesetzentwurf wie folgt aussehen: Statt zweier Gutachten, soll es jetzt eine Beratung geben, doch ein gerichtliches Verfahren bleibt immer noch notwendig. Und am Ende der Beratung wird eine „begründete Bescheinigung“ darüber ausgestellt, „ob sich die betroffene Person ernsthaft und dauerhaft einem anderen oder keinem Geschlecht als zugehörig empfindet“.

Das ist keine Selbstbestimmung, sondern Fremdbestimmung!

Künftig sollen Ehepartner*innen befragt werden

Andere Menschen möchten darüber bestimmen, wie ich heiße, welcher Name in meinem Personalausweis steht und welches Geschlecht ich habe.

Anhand welcher Kriterien möchte man darüber urteilen können, ob ich trans genug bin? Männlich genug? Ob mein Wunsch ernsthaft genug ist?

Andere Menschen möchten darüber bestimmen, welches Geschlecht ich habe

Im Gesetzentwurf steht außerdem, dass nun vor Gericht auch die Ehepartner*innen befragt werden sollen. Mit welchem Zweck und welchem Ziel? Was ist, wenn Ehepartner*innen Nein sagen? Oder wenn sie sagen: „Das halte ich für keine gute Idee.“ Wie absurd die Vorstellung doch ist, dass andere Menschen über mein Leben, meine Identität und meinen Körper entscheiden sollen.

Wenn der Antrag auf Änderung abgelehnt wird, sollen trans Menschen laut dem Gesetzentwurf außerdem drei Jahre warten, bevor sie einen neuen stellen dürfen. Drei lange Jahre!

Wir müssen dranbleiben, andere Länder machen’s vor

Die Kritik war so laut und vehement, dass der Gesetzentwurf zurückgezogen wurde. Das ist ein kleiner Erfolg, aber ich glaube, dass es jetzt wichtig ist, weiterzumachen.

In Malta reicht ein Anruf beim Notariat

In Ländern wie Irland oder Dänemark ist es möglich, den Namen einfach ändern zu lassen. Am Wochenende sah ich ein Video darüber, dass trans Menschen in Malta einfach nur bei einem Notariat anrufen müssen.

Wir brauchen in Deutschland kein Geschlechtsidentitätsberatungsgesetz, wir brauchen Selbstbestimmung! Und wir brauchen die Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen!

 

Weitere Informationen:

Beitrag auf buzzfeed.com vom 8. Mai, der auch den Text des Gesetzentwurfs enthält

Link zu Linus’ Petition auf change.org

Hinweis der Redaktion für Interessierte: Im Gutachten „Geschlechtervielfalt im Recht“ vom Deutschen Institut für Menschenrechte, das im Auftrag des Familienministeriums erstellt wurde, findet man ab Seite 63 einen umfänglichen und unter Beteiligung von trans* und inter* Personen sowie zahlreichen weiteren Expert_innen erarbeiteten Gesetzesentwurf zur Anerkennung und zum Schutz der Geschlechtervielfalt sowie zur Änderung weiterer Vorschriften.

Auch das Gutachten zum „Regelungs- und Reformbedarf für transgeschlechtliche Menschen“ der Humboldt-Uni zu Berlin enthält ab Seite 25 einen Gesetzentwurf, der von Trans*- und Inter*-Verbänden für gut befunden wurde.

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Über

Linus Giese

ist studierter Germanist, trans* Aktivist und seit 2017 queereinsteigender Buchhändler. Auf magazin.hiv schreibt er eine Kolumne rund um das Thema sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung

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