Seit 30 Jahren setzt sich der JES-Bundesverband für die Interessen und Rechte Drogen gebrauchender Menschen ein. Zum Jubiläum würdigen Wegbegleiter_innen die Arbeit des international geachteten Selbsthilfenetzwerks – und zeigen auf: JES wird weiterhin gebraucht.

Viele der Themen in der Drogenhilfe und Präventionsarbeit, die heute selbstverständlich sind – sei es die Vergabe steriler Utensilien zum Drogenkonsum oder die Substitution – stießen Ende der 80er-Jahre auf große politische Widerstände.

Dass sich in den letzten drei Jahrzehnten so viel bewegt und verändert hat, dazu hat auch das Selbsthilfenetzwerk JES (JES steht für Junkies, Ehemalige und Substituierte) entscheidend beigetragen. Zwar hatte es mit dem Kasseler Junkie-Bund bereits 1982 einen ersten Zusammenschluss von Drogengebraucher_innen gegeben, doch erst mit JES eine bundesweit vernetzte und aktive Drogenselbsthilfeorganisation.

JES steht für Junkies, Ehemalige und Substituierte

Ins Leben gerufen wurde sie am 21. Juni 1989 in Hamburg auf einem der zahlreichen vom damaligen Drogenreferenten der Deutschen Aidshilfe (DAH), Helmut Ahrens, organisierten Treffen für Drogen konsumierende Menschen.

Bereits im Folgejahr wurde mit Werner Hermann ein Experte im Bereich Drogenselbsthilfe eingestellt, der zudem die Lebenswelt von injizierenden Drogengebraucher_innen und die mit dem Konsum verbundenen Gesundheitsrisiken und gesellschaftliche Ausgrenzung aus eigener Erfahrung kannte.

Seither haben viele Aktivist_innen, Mitstreiter_innen und Unterstützer_innen aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen bei und mit JES dazu beigetragen, die Situation für Drogen gebrauchende Menschen zum Besseren zu verändern. Einige von ihnen haben wir für magazin.hiv um eine ganz persönliche Würdigung anlässlich des 30-jährigen Bestehens von JES gebeten.

„Unersetzbare Partner_innen“

Prof. Dr. Gundula Barsch, Professorin im Lehrgebiet Drogen und soziale Arbeit an der Hochschule Merseburg; von 1994 bis 1998 Referentin für Drogen und Strafvollzug bei der Deutschen Aidshilfe

„JES ist mehr als eine klassische Selbsthilfegruppe für Drogenkonsument_innen, und das nicht nur, weil sie sich keinem Abstinenzparadigma verpflichtet.

Vielmehr bietet JES sowohl Junkies als auch Menschen in Substitutionsbehandlung und Ex-Konsument_innen ein gemeinsames Dach, unter dem es in erster Linie darum geht, sich von einem Schmuddel-Image zu befreien.

„JES ist mehr als eine klassische Selbsthilfegruppe“

Es ist die selbstgestellte Aufgabe, sich emanzipiert für die vollumfängliche Anerkennung als Bürger_innen dieser Gesellschaft einzusetzen und dazu auch an drogenpolitischen Regelungen zu rütteln, durch die Drogen konsumierende Menschen immer wieder in schwierige Lebenssituationen manövriert werden.

Ich durfte JES mehr als sieben Jahre sehr intensiv begleiten und lernte dabei erstaunliche und bewundernswerte Persönlichkeiten kennen, die bei mir die Gewissheit entwickeln halfen, dass Vertrauen, Verantwortung und eingeräumte Entscheidungsbereiche die entscheidenden Zutaten sind, durch die bis dahin oft stark stigmatisierte Menschen einen beeindruckenden Entwicklungsschub erhalten – durch den sie sich selbst emanzipieren und darüber auch zu wichtigen und vor allem unersetzbaren Partner_innen bei der Gestaltung neuer drogen- und gesundheitspolitischer Wege werden.“

„Eine äußerst wirkungsvolle Drogenkonsument_innen-Bewegung“

Mat Southwell, Projekt-Manager bei EuroNPUD, dem European Network of People Who Use Drugs

„Die Europäische Drogengebraucher_innen-Bewegung geht auf die 1970er-Jahre zurück, aber unsere Bewegung nahm an Stärke und Entschlossenheit zu, als sich in den 1980er-Jahren HIV bei Menschen verbreitete, die Drogen injizierten. JES ist eines der besten Beispiele für die Mobilisierung von Drogengebraucher_innen als Reaktion auf HIV.

„Eines der besten Beispiele für die Mobilisierung von Drogengebraucher_innen als Reaktion auf HIV“

JES wird von seinen fachlichen und politischen Partner_innen mit großem Respekt und großer Bewunderung für seinen Beitrag zu dem pragmatischen und humanen System der Schadensminimierung und Behandlung von Drogenabhängigkeit in Deutschland geachtet.

Wir von EuroNPUD sind stolz, unsere deutschen Peers als herausragendes Beispiel für eine nachhaltige und äußerst wirkungsvolle Drogenkonsument_innen-Bewegung würdigen und zu diesem erstaunlichen Meilenstein gratulieren zu dürfen!“

„Der Lebenswelt-Expertise von Menschen, die Drogen gebrauchen, Geltung verschaffen“

Astrid Leicht, Geschäftsführerin der Berliner Drogenhilfeeinrichtung Fixpunkt e. V.

„JES und Fixpunkt – im gleichen Jahr aus der Aids-Selbsthilfebewegung heraus gegründet – haben eine historische Verbindung und sind viele Wege gemeinsam gegangen.

„Unter dem Eindruck des Abstinenzdogmas nicht selbstverständlich“

Damals war es unter dem Eindruck des Abstinenzdogmas gar nicht selbstverständlich, dass ‚Junkies‘, ‚Ehemalige‘ und ‚Substituierte‘ ohne Vereinnahmung durch professionelle Helfer, aber sehr wohl gemeinsam, ihre Interessen formulierten.

Ich wünsche mir, dass JES auch zukünftig eine Plattform bietet, um der vielfältigen, manchmal auch widersprechenden Lebenswelt-Expertise von Menschen, die Drogen gebrauchen, Geltung zu verschaffen und sie in den gesellschaftlichen und politischen Diskurs einzubringen. Und dass JES sich unabhängig und kritisch zur Pharma-Industrie und Sozialen Arbeit beziehungsweise Suchtmedizin positioniert.“

„JES verdient einen Platz als Berater für die nationale Drogenpolitik“

Dr. Ingo Ilja Michels, Frankfurt University of Applied Sciences, Soziologe und Experte für HIV/Aids-Prävention und Suchtbehandlung, internationaler Koordinator des EU Central Asia Drug Action Programme (CADAP); von 1987 bis 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Referat für Drogen und Justizvollzug der Deutschen Aidshilfe

„Es ist toll und wichtig, dass JES jetzt 30 Jahre besteht und immer noch und berechtigt deutlich macht, dass die drogenpolitischen Reformen, die vor 30 Jahren eingeleitet wurden – Spritzenvergabe, Substitution, Heroinprojekt, Drogenkonsumräume – weitergeführt werden. Ich selbst konnte daran auch mitwirken.

„Die Reform des Substitutionsrechts hatte JES immer wieder eingefordert“

Aber diese Reformen dürfen nicht stehen bleiben! Bis zur notwendigen Reform des Substitutionsrechts hat es 25 Jahre gedauert; JES hatte diese immer wieder eingefordert!

Ich konnte die Gründung von JES unterstützen und wollte das auch fortsetzen in meiner Arbeit im Gesundheitsministerium. JES als Vertreter der Interessen und Rechte von Drogen gebrauchenden Menschen sollte eigentlich einen permanenten und wichtigen Platz als Berater für die nationale Drogenpolitik erhalten. Dies umzusetzen, ist mir leider nicht gelungen.

Umso wichtiger ist es, dass die JES-Frauen und -Männer nicht aufgegeben haben, sich weiter dafür einsetzen, dass Menschen, die psychoaktive Substanzen gebrauchen, nicht kriminalisiert werden!

Deutschland setzt sich international für die Menschenrechte von Drogengebraucher_innen (die als illegal erklärt wurden) ein – das muss konsequent im eigenen Land passieren! JES mahnt das zu Recht immer wieder an! Das ist gut so!“

„JES hat immer Klartext gesprochen, JES ist einfach mutig“

Dirk Schäffer, Referent für Drogen und Strafvollzug der Deutschen Aidshilfe

„JES ist seit 25 Jahren Teil meines Lebens. Ich habe JES viel zu verdanken, denn die Arbeit mit einer JES-Gruppe zum Beginn der 90er-Jahre war mitentscheidend für meine persönliche und berufliche Entwicklung.

JES hat immer Klartext gesprochen und keine Angst gehabt, Minderheitenmeinungen zu vertreten.

„Ich habe JES viel zu verdanken“

JES hat zum Beispiel die Heroinvergabe und Drogenkonsumräume schon eingefordert und begründet, als beide Angebote noch völlig unrealistisch erschienen. JES ist einfach mutig.

JES muss in den kommenden Jahren seine Arbeit auf das Thema Regulierung von Drogen fokussieren. Wenn wir jetzt nicht die Grundlagen von Drogenpolitik verändern, werden wir trotz vieler guter Angebote keine Fortschritte mehr erzielen.“

„Ein wichtiger, stabilisierender Bestandteil meines Lebens“

Mathias Häde, Mitglied im JES-Bundesvorstand und seit 1991 bei JES aktiv

„Sowohl bei der Harm-Reduction-Arbeit auf der Szene, als auch im fachlichen Diskurs zur Drogenpolitik und Drogenarbeit, um die Perspektive der Selbsthilfe einzubringen, sowie im zwischenmenschlichen Austausch über ganz persönliche Dinge: Die Mitwirkung im JES-Netzwerk hat sich für mich über die Jahrzehnte zu einem wichtigen, gewiss auch stabilisierenden Bestandteil meines Lebens entwickelt.

„Wichtigstes Ziel für die Zukunft: die Regulierung des Drogenmarktes“

Die immer noch praktizierte Kriminalisierung Drogen gebrauchender Menschen muss inzwischen klar erkennbar als überaus kontraproduktiv eingeschätzt werden. Wichtigstes Ziel von JES für die Zukunft ist daher die Regulierung des Drogenmarktes durch Legalisierung und kontrollierten Verkauf standardisierter psychotroper Substanzen in entsprechenden Fachgeschäften.

„Sprachrohr für das Recht auf Menschenwürde“

Urs Köthner, Geschäftsführer freiraum Hamburg e.V.

„Noch immer sind die Rahmenbedingungen für Drogengebraucher geprägt von Illegalität, Kriminalisierung, Stigmatisierung, Pönalisierung, Pathologisierung und Ausgrenzung. Die vorherrschenden Metaphern zum Thema Drogen sind immer noch Krankheit, Elend, Tod ­– und leider nicht Akzeptanz.

„Wichtiges Korrektiv für Fehlentwicklungen in der Drogenpolitik und praktischen Drogenarbeit“

Viele der sogenannten Drogenprobleme sind eher „Drogenpolitikprobleme“. Sie haben mehr mit der Prohibition und gesellschaftlicher Ausgrenzung zu tun – und weniger mit den konsumierten Substanzen und Suchtdynamiken.

JES ist einzigartig, unartig und ein unverzichtbares Sprachrohr für das Recht auf Menschenwürde von Drogengebrauchern und wichtiges Korrektiv für Fehlentwicklungen in der Drogenpolitik und praktischen Drogenarbeit. Ganz stark, bitte weiter so!“

„Ein wichtiger und kompetenter Partner für uns ‚Theoretiker‘“

Hubert Wimber, ehemaliger Polizeipräsident in Münster und seit 2015 Vorstandsvorsitzender von Law Enforcement Against Prohibition Deutschland (LEAP Deutschland)

„JES ist als akzeptierende Drogenselbsthilfe ein wichtiger und kompetenter Partner in unserem Bemühen als LEAP Deutschland, eine grundlegende Änderung der deutschen Drogenpolitik zu erreichen.

„Uns verbindet das gemeinsame Ziel einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes“

Uns verbindet das gemeinsame Ziel einer Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, auf dessen Grundlage Drogenkonsumierende nicht mehr kriminalisiert werden und ein aufklärender Verbraucherschutz gewährleistet ist.

Dass sich bei JES Menschen engagieren, die die Folgen einer verfehlten Drogenpolitik selbst erlebt haben, macht die Zusammenarbeit mit JES für uns ‚Theoretiker‘ besonders wertvoll.
Ich wünsche dem Jubilar und uns weiterhin eine vertrauensvolle Zusammenarbeit und dass wir nicht noch einmal 30 Jahre warten müssen, um substantielle Fortschritte auf dem Weg zu einer vernunftgeleiteten Drogenpolitik zu erzielen.“

„Eine inspirierende Organisation von aufrichtigen Menschen“

Rui Coimbra Morais, CASO (Consumidores Associados Sobrevivem Organizados) Portugal, EuroNPUD (European Network of People Who Use Drugs)

Für mich und CASO und auch für das Europäische Netzwerk von Menschen, die Drogen gebrauchen, ist JES eine inspirierende Organisation von aufrichtigen Menschen.

„Den traditionellen Gesundheitsdiensten immer einen Schritt voraus“

Ich denke, dass JES in vielen Bereichen den traditionellen Gesundheitsdiensten immer einen Schritt voraus war – und dass diese inspirierende Energie und dieses inspirierende Handeln meiner Meinung nach eine größere Bewegung ermöglicht haben, die über alle Arten von Maskierungen und Symbolpolitiken und von kapitalistischer, postmoderner Hypernormalisierung und Hyperindividualisierung mit all seinen narzisstischen kaputten Spiegeln hinausgeht …

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Axel Schock

Axel Schock, freier Autor und Journalist, schreibt seit 2010 Beiträge für aidshilfe.de und magazin.hiv.

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